Die aktuelle Debatte, ob wir zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aufbringen müssen, wie die Nato es auf ihrem Gipfel 2014 als Absichtserklärung formuliert hatte, führt nicht weiter. Zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP): Damit sind Griechenland und Estland (zusammen mit Frankreich und den USA) an der Spitze der NATO-Beitragszahler, ihre Bedeutung für das Militärbündnis ist aber relativ gering. Deutschland hingegen mit seiner starken Wirtschaftskraft müsste bald über 30 Milliarden Euro zusätzlich aufwenden. Dies zeigt deutlich – das Zwei-Prozent-Ziel hat wenig Aussagekraft. Sollte die Wirtschaft bei uns wieder schlechter laufen, sinkt auch das BIP und damit die zwei Prozent für Militärausgaben. Deshalb ist es viel wichtiger zu klären, welche Fähigkeiten die europäischen NATO-Staaten in das Bündnis einbringen sollten und welches Land in Europa diese Fähigkeiten hat. Daran sollte sich meiner Auffassung nach die Bedeutung für die NATO ausrichten.

Der NATO-Gipfel am 25. Mai 2017 wird zeigen, dass die Allianz an einer Weggabelung steht: Will sie weitermachen wie bisher oder will sie das Bündnis effektiver und stärker machen? Auch die Europäische Union steht zu Beginn der Austrittsverhandlungen mit Großbritannien und mit einem neuen französischen Präsidenten an einem Scheideweg. Beide Institutionen stehen für gemeinsame Werte und Grundsätze, haben ähnliche Interessen und Schwerpunkte. Und beide stehen angesichts des Terrorismus des „Islamischen Staates“, den anhaltenden Unsicherheiten in Osteuropa und den Flüchtlingsbewegungen durch die Bürgerkriege in Nordafrika vor enormen Herausforderungen.

Die NATO ist in ihrer Bedeutung für unsere Sicherheit unverzichtbar. Von dem Gipfel in Brüssel sollte deshalb ein starkes Signal der Einheit ausgehen, auch bezüglich gemeinsamer Verteidigungsausgaben. Die Anstrengungen der EU-Mitgliedstaaten für eine effektive gemeinsame Sicherheitspolitik müssen erhöht werden, auch wenn wir mittlerweile auf einem guten Weg dahin sind. Die Notwendigkeit, gerade die EU-Verteidigungspolitik auch finanziell auf eine bessere Grundlage zu stellen, bestreitet niemand in der Gemeinschaft. Aber zwischen null und zwei Prozent vom BIP ist noch viel Spielraum.

Deutschland leistet einen bedeutenden Beitrag für eine glaubhafte Abschreckung.

Deutschland leistet einen bedeutenden Beitrag für eine glaubhafte Abschreckung. Gerade in diesem Jahr hat Deutschland die Verteidigungsausgaben um 7,9 Prozent erhöht. Das sind elf Prozent des Bundeshaushalts und entspricht aktuell rund 1,2 Prozent des deutschen BIP. Der Löwenanteil davon fließt direkt in Verpflichtungen für die NATO. Weitere Steigerungen des Etats um rund zwei Milliarden Euro jährlich sind notwendig, um bestehende Lücke zu füllen. Das ist die Folge der verfehlten Reform zweier ehemaliger Unionsverteidigungsminister, durch die es der Bundeswehr seit 2008 an fast allem fehlt: an Personal, Ausrüstung und Infrastruktur. Tatsächlich wird es nach der vorliegenden Planung noch Jahre dauern, bis die Depots der Bundeswehr mit Gerät, Ersatzteilen oder Munition wieder so befüllt sind, dass die Streitkräfte das haben, was sie eigentlich haben müssten. Zwei Milliarden Euro im Jahr nur, um die Bundeswehr so auszurüsten, wie sie der Papierform nach längst sein müsste. Die Trendwenden beim Personal und bei der Finanzierung sind richtig, allerdings geht alles viel zu langsam.

Ja, Deutschland muss mehr Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen. Spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 als der deutsche Außenminister und der Bundespräsident beide diese Forderung erhoben, steht dieser Satz im Mittelpunkt der Debatte in Europa. Die Konzepte von „Rahmennation“ oder „Anlehnpartnerschaften“ sind das Resultat einer Debatte, die unser Land im Mittelpunkt sieht, wenn es darum geht, mehr für die Sicherheit in den Bündnissen zu tun.

In Wahrheit sind in der Vergangenheit die 36 Milliarden Euro, die im Bundesetat für Verteidigungsausgaben veranschlagt wurden, vielfach gar nicht ausgegeben worden.

In diesem Zusammenhang ist es verständlich, dass die USA von Deutschland erwarten, einen größeren Anteil an der Verantwortung für die Sicherheit der Welt zu übernehmen. Aber die Steigerung von Militärausgaben allein ist nicht gleichbedeutend mit der Steigerung von Sicherheit. Wir wissen doch längst, dass Krisenprävention, Wiederaufbau und wirtschaftliche Zusammenarbeit genauso wichtig sind wie das militärische Engagement. Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir uns nicht auf die zwei Prozent versteifen. Das gilt insbesondere für jene Politiker, die gerne öffentlich das Zwei-Prozent-Ziel postulieren, wohl wissend, dass sie das Thema nur ihren Nachfolgern vor die Füße werfen. Sie müssen sich fragen lassen, woher sie die Gelder nehmen wollen und wie sie den Bürgerinnen und Bürgern Ausgaben von rund 70 Milliarden Euro im Jahr allein für Verteidigung erklären wollen. Und sie müssen sich fragen lassen, was für solche Summen überhaupt angeschafft werden soll. In Wahrheit sind in der Vergangenheit die 36 Milliarden Euro, die im Bundesetat für Verteidigungsausgaben veranschlagt wurden, vielfach gar nicht ausgegeben worden, weil die Rüstungsgüter nicht oder viel zu spät kamen.

Wir sollten unseren amerikanischen Partnern wieder in Erinnerung rufen, wie verlässlich Deutschland bei der Bewältigung internationaler Krisen hilft. Das ist nicht nur eine quantitative Frage. Die Bundeswehr ist in vielen Einsätzen dabei, zum Teil zwar nur mit kleinen Kontingenten, die damit verbundene Logistik ist aber eine Riesenherausforderung für die derzeitige Bundeswehr. Und wir unterscheiden uns positiv von so manchem Partner in der NATO, der zwar an einem Einsatz teilnimmt, aber schnell wieder geht, wenn er länger dauert. Deutschland ist ein sehr verlässlicher Partner bei internationalen Stabilisierungsmissionen. Die hochwertigen Fähigkeiten, die Deutschland in das Bündnis einbringt, MedEvac, elektronische Aufklärung, U-Boote und anderes mehr, sollten mehr Gewicht bekommen, als das Schielen auf Zahlen und Prozente. Es wäre ein kluger Beitrag Deutschlands, sich besonders auf die teuren hochtechnologischen Fähigkeiten zu konzentrieren, statt personalintensive Truppenteile weiter aufzubauen.

Eine sinnvolle Arbeitsteilung wäre: die NATO als Instrument der Abschreckung und für Konflikte hoher Intensität und die EU als geeigneter Akteur bei der Stabilisierung fragiler Regionen.

Dies gilt insbesondere, wenn man weiß, dass internationale Krisen und Konflikte nur vernetzt erfolgreich gelöst werden können. Diese Lehre haben wir aus den Einsätzen in Bosnien, im Kosovo, aber insbesondere in Afghanistan schmerzlich ziehen müssen. Effizientes Krisenmanagement ist nur in einem ganzheitlichen Ansatz möglich, in dem sowohl zivile als auch militärische Elemente ihren Platz finden. Die Europäische Union ist mit ihren zivilen und militärischen Komponenten die prädestinierte Institution für die Konfliktbewältigung; sie verfügt über die nötigen Strukturen und Mittel. Hierin liegt die eigentliche Stärke Europas im Vergleich zur NATO.

Wenn es gelingt, zwischen NATO und EU auch politisch einen Prozess der Arbeitsteilung auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik zu etablieren und ihre enormen Möglichkeiten zur Lösung von externen Konflikten frühzeitig einzusetzen, wäre dies ein tatsächlicher Gewinn für die Sicherheit in der Welt: die NATO als Instrument der Abschreckung und für Konflikte hoher Intensität und die EU als geeigneter Akteur bei der Stabilisierung fragiler Regionen.

Eine Lösung der vielen sicherheitspolitischen Herausforderungen lediglich durch die Anhebung auf zwei Prozent für Verteidigungsausgaben in den NATO-Mitgliedstaaten ist dagegen kaum zu erwarten.