Die Manipulation von Gedanken, Emotionen und Handlungen ganzer Truppen, die Schaffung eines vollständig kontrollierbaren, roboterähnlichen Übersoldaten mit nahezu galaktischen Fähigkeiten – Alltag im Krieg der Sterne oder in Star Trek. Die faktische Ausschaltung des freien Willens und die feindliche Übernahme des Gehirns als Waffe – großes Kino, ohne jeden Realitätsgehalt? Keineswegs. Neurowissenschaftler halten solche Szenarien nicht für Science Fiction, sondern für die Kriegsführung der Zukunft.

Ein Team um Miguel Nicolelis von der Duke University in Durham, USA, hat die Gehirne von drei Affen mit einem Computer verbunden. Jeder Affe sollte versuchen, mit Hilfe eines virtuellen Arms einen Gegenstand in einer 3-D-Umgebung zu ergreifen, und zwar allein Kraft seiner Gedanken, mit Hirnwellen, die von implantierten Elektroden an den Computer übertragen wurden. Das Experiment lehrte die Affen, ihre Gedanken und damit ihre neuronalen Impulse so aufeinander abzustimmen, dass sie den virtuellen Computerarm gemeinsam in allen drei Dimensionen bewegen konnten, obwohl jedem von ihnen allein nur die Kontrolle über zwei Dimensionen möglich war. Nicolelis ging noch einen Schritt weiter: Er implantierte vier Ratten Elektroden, die den Austausch von Informationen mit einem Computer und unter den Tieren selbst erlaubten. Anschließend erhielt jede Ratte eine bestimmte Information (Luftfeuchtigkeit, Temperatur etc.) zur Vorhersage des Wetters. Die Tiere tauschten diese Informationen so untereinander aus, dass jede von ihnen zu einer exakten Wettervorhersage in der Lage war und sich beispeilsweise einen Unterschlupf vor Regen suchen konnte. Die miteinander vernetzten Ratten waren in Analysefähigkeit, Geschwindigkeit und Treffsicherheit erfolgreicher als ein einzelnes Tier, das über alle Informationen auf einmal verfügen konnte: Nicolelis hatte eine Art Supercomputer aus vernetzten Rattenhirnen geschaffen, der in der Lage war, Informationen autonom zu bewerten und zu handeln.

Diese Ergebnisse, veröffentlich in der Zeitschrift Nature im Juli 2015, sind beispielhaft für eine ganze Reihe von Fortschritten im Bereich der Neurotechnologie in jüngerer Zeit. Erfolge bei der Kartierung des menschlichen Gehirns erlauben ein besseres Verständnis des hochkomplexen und immer noch weitgehend rätselhaften menschlichen Organs. Hirnfunktionen können zunehmend präzise bestimmten Arealen zugeordnet werden. Die Entstehung von Emotionen, Gedanken und Handlungen lässt sich immer detaillierter nachvollziehen. Durch neuronale Interfaces und Algorithmen zur Decodierung, Stimulierung oder Blockierung von Neuronen eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten der unmittelbaren und immer gezielteren Beeinflussung des Gehirns und seiner Funktionsweise.

Wenn ein gesundes menschliches Gehirn mit einem kranken durch die Übertragung neuronaler Aktivität kommunizieren kann, wird ein solches „Brainet“ die Behandlung von  neurologischen Schäden und psychischen Erkrankungen revolutionieren. Ganz nebenbei eröffnet sich auch vielen Branchen ein neuer, potentiell sehr lukrativer Markt. Allein 2014 sind nach Angaben des Forschungsinstituts „Sharpbrains“ 1.600 neue Patente im Bereich der Neurotechnologie angemeldet worden, die geheimen Patentanmeldungen durch militärische und geheimdienstliche Einrichtungen noch gar nicht mitgerechnet.

Was, wenn die Manipulation der Gehirnaktivität den Arm eines Menschen zu einer Waffe macht?

Das Experiment mit den Affen zeigt aber auch: Mit dem fortschreitenden Verständnis des Gehirns und seiner komplexen Funktionsweisen sowie der Weiterentwicklung von technologischen Möglichkeiten zur gezielten Aktivierung, Blockierung oder Steuerung von neuronaler Aktivität wächst auch die Gefahr des Missbrauchs. Was, wenn die Manipulation der Gehirnaktivität – denn um nichts anderes handelt es sich bei der Hirn-zu-Hirn-Kooperation – den Arm eines Menschen zu einer Waffe macht? Was, wenn die positive Beeinflussung der Gehirnaktivität im Falle eines Traumapatienten in eine Gehirnwäsche ausartet? Das militärische Potential der Neurotechnologie ist unglaublich groß, zumal in einer zunehmend technologisierten Umwelt, in der es immer weniger Menschen braucht, um durch Angriffe auf Schlüsselinfrastrukturen immer größeren Schaden anzurichten.

Die Beeinflussung des Gegners (oder auch der eigenen Bevölkerung) durch Propaganda ist vermutlich so alt wie die Kriegsführung selbst. Ohne Frage wurde sie durch sogenannte asymmetrische oder hybride Kriegsführung noch aufgewertet, offensichtlich sehr zur Überraschung der westlichen Staaten, die sich schwer tun, eine adäquate Antwort darauf zu finden. Propaganda allerdings muss mit einem gewissen Aufwand und über einen längeren Zeitraum betrieben werden – und bleibt in der Wirkung doch ungewiss. Sie kann erwünschte Handlungen begünstigen, den Boden für sie bereiten und sie in gewissen Grenzen steuern –Handlungen unmittelbar und kontrolliert erzwingen aber kann sie nicht. Der freie Wille wird zwar beeinflusst, aber nicht vollständig ausgeschaltet.

Das wirklich Neue und Beunruhigende an der Neurotechnologie ist hingegen die Möglichkeit zur vollständigen und unmittelbaren Kontrolle des Menschen. Gelingt es eines Tages, menschliche Gehirne gezielt und ohne Zuhilfenahme von implantierten Elektroden oder Verkabelung zu manipulieren, wäre die menschliche Entscheidungsautonomie, die einen freien Willen voraussetzt, nicht mehr gegeben. Der Manipulierte ließe sich bedienen wie eine Maschine. Mehr noch: Er könnte dazu gebracht werden, sein ferngesteuertes Handeln für das Ergebnis seines vermeintlich eigenen freien Willens zu halten. Ohne eine Chance auf Gegenwehr, auf Bewahrung des eigenen Ichs: Seine Persönlichkeit, seine Identität, sein Menschsein wäre im Grunde ausgelöscht.

Für den Bioethiker Jonathan Moreno von der University of Pennsilvania würde die Vernetzung von Gehirnsignalen zweier oder mehrerer Menschen nach dem Vorbild des Ratten-Experiments der Geburt eines Super-Kriegers gleichkommen: „What if you could get the intellectual expertise of, say, Henry Kissinger, who knows all about the history of diplomacy and politics, and then you get all the knowledge of somebody that knows about military strategy, and then you get all the knowledge of a DARPA (U.S. Defense Advanced Research Projects Agency) engineer, and so on. You could put them all together.” Die Schaffung einer unabhängigen Intelligenz, die selbstständig Entscheidungen trifft und in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit das menschliche Individuum bei weitem übertrifft: Wer soll eine solche menschliche Supermaschine noch kontrollieren?

Abbau von Angst, Hemmungen, moralischem Empfinden, Empathie, die Freisetzung ungezügelter Aggression oder auch das gezielte „Einschläfern“ eines Kämpfers oder gar ganzer Kampfverbände

Die U.S. Air Force untersucht zurzeit, wie die Gehirne von Soldaten mittels niedrig dosierter Elektrizität so stimuliert werden können, dass größere und längere Aufmerksamkeitsspannen erreicht werden. Anders als beim Einsatz von Psychopharmaka in Kampfeinsätzen wäre mit dieser Technologie ein gezieltes, jederzeit umkehrbares und vermeintlich Nebenwirkungs-armes Aufputschen der Soldaten möglich. Abbau von Angst, Hemmungen, moralischem Empfinden, Empathie, die Freisetzung ungezügelter Aggression oder auch das gezielte „Einschläfern“ eines Kämpfers oder gar ganzer Kampfverbände, ist das Programm der Air Force erfolgreich, lässt sich die Liste potentieller Anwendungsgebiete leicht fortschreiben.

Die DARPA, die dem U.S.-Verteidigungsministerium zuarbeitet, investiert seit einiger Zeit in ein neurotechnologisches Programm zur Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten für Posttraumatischen Stress, Depressionen und Suchterkrankungen. Treiber für die Entwicklung der Systems-Based Neurotechnology for Emerging Therapies (SUBNETS) war die wachsende Zahl von U.S.-Veteranen, die mit schweren neuropsychologischen Schäden aus dem Einsatz zurückkehrten. Allerdings ist die hieb- und stichfeste Unterscheidung zwischen Heilung und Manipulation schon im medizinischen Bereich eine moralische und ethische Herkulesaufgabe. Ein politischer, ideologischer oder militärisch-strategischer Missbrauch einer so tief in die Hirnfunktion des Menschen eingreifenden Technologie kann niemals sicher ausgeschlossen werden. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es immer Gruppierungen und Individuen geben wird, die einen solchen Missbrauch gezielt und skrupellos betreiben, weil ihnen ethische und moralische Bedenken fremd sind oder der von ihnen verfolgte Zweck aus ihrer Sicht alle Mittel heiligt.

Technologischer Fortschritt lässt sich auf Dauer nicht in Hochsicherheitslabors einsperren, das Mögliche wird irgendwann zur Anwendung gebracht. Bereits 2008 warnte die U.S. Defence Intelligence Agency vor den Auswirkungen neurotechnologischen Fortschritts auf die nationale Sicherheit und erklärten das Gehirn zum Kriegsschauplatz der Zukunft. Dem Cyberspace und der Autonomisierung von der Kriegsführung sind längst ganze Arbeitseinheiten in Ministerien und internationalen Sicherheitsorganisationen gewidmet. Sie sind jedoch diejenigen Herausforderungen von heute, denen besser bereits gestern begegnet worden wäre. Nun bleibt nur der Versuch einer Einhegung mit ungewissem Erfolg. Von den Möglichkeiten zur Manipulation von Individuen bis hin zur Schaffung eines organischen Supercomputers mit geballter, aber kaum noch durch einzelne Menschen kontrollierbarer kognitiver Leistung: Die Gefahr, die von der militärischen Nutzung des neurotechnologischen Fortschritts ausgehen wird, kann heute vielleicht noch wirksam eingehegt werden, muss dazu aber erst einmal auf die sicherheitspolitische Agenda gesetzt werden. Das Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr in Deutschland, der Strategieprozess bei der NATO und die Erarbeitung der neuen Europäischen Sicherheitsstrategie in Brüssel bieten den Entscheidern dazu eine hervorragende Gelegenheit. Möge die Macht mit ihnen sein.