Die Diskussion um den Brexit ist bislang um die Frage gekreist, ob es im nationalen Interesse Großbritanniens ist, in der EU zu bleiben oder sie zu verlassen. Da die britische Öffentlichkeit in dieser Frage derzeit offenbar gespalten ist, steht das Ergebnis der Volksbefragung nach wie vor in den Sternen.

Weniger intensiv diskutiert wird die Frage, ob es im Interesse der EU ist, dass Großbritannien Mitglied bleibt. In Brüssel wird diese Frage gemeinhin positiv beschieden. Großbritannien solle Mitglied der EU bleiben. Ein Brexit wäre der Zukunft der Europäischen Union höchst abträglich. Aber stimmt das auch?

Früher glaubte ich auch, es sei gut für die EU, wenn das Vereinigte Königreich Mitglied bliebe. Mittlerweile habe ich meine Meinung geändert und glaube, es wäre besser für die EU, wenn eine Mehrheit des britischen Volks für einen Brexit stimmen und Großbritannien die Union verlassen würde.

In den britischen Medien und in großen Teilen der politischen Elite herrscht eine tiefe Feindseligkeit gegenüber der Europäischen Union. Diese Feindseligkeit fand in der Brexit-Bewegung ihren politischen Ausdruck. Ihre Verfechter können nicht akzeptieren, dass Großbritannien in Bereichen, in denen Zuständigkeiten auf die EU übergegangen sind, an Souveränität eingebüßt hat. Sie finden es grauenhaft, dass Großbritannien Entscheidungen, die in Brüssel getroffen werden, akzeptieren muss, auch wenn ihr Land dagegen gestimmt hat. Für das Brexit-Lager gibt es nur ein großes Ziel: die volle Souveränität nach Westminster zurückzuholen.

Wer meint, dass das Thema nach einem Referendum erledigt wäre, liegt falsch.

Wer meint, dass dieses Thema nach einem Referendum erledigt wäre, liegt falsch. Nehmen wir an, das Brexit-Lager unterliegt, und das Vereinigte Königreich bleibt in der EU. Das wird an der feindseligen Haltung derer, die das Referendum verloren haben, nichts ändern. Auch das Bestreben, Großbritannien seine volle Souveränität wiederzugeben, wird bestehen bleiben.

Wenn im Brexit-Lager klar ist, dass man die EU nicht verlassen kann, wird man sich auf eine andere Strategie verlegen, um die Macht wieder nach Westminster zu verlagern. Man wird sich eines trojanischen Pferdes bedienen und die Europäische Union einfach von innen aushöhlen. Diese Strategie zielt darauf ab, den Bereich, in dem Mehrheitsentscheidungen getroffen werden, zu verkleinern und durch eine rein zwischenstaatliche Zusammenarbeit zu ersetzen. Die britischen EU-Gegner werden darauf hinarbeiten, die EU langsam zu dekonstruieren.

Man mag einwenden, dass das Brexit-Lager, wenn es das Referendum verliert, an Einfluss verlieren wird. Das ist jedoch durchaus nicht sicher. Die Vereinbarung, die Cameron mit dem Rest der EU getroffen hat, holt keinerlei Souveränität nach London zurück. Das Brexit-Lager wertet das als großen Misserfolg, in dessen Folge es seine Dekonstruktionsstrategie intensivieren wird.

Für mich folgt daraus, dass die EU kein Interesse daran haben kann, ein Land in der Europäischen Union zu halten, das dem „acquis communautaire", dem Gemeinschaftlichen Besitzstand, weiter ablehnend gegenübersteht und ihn systematisch zu unterminieren versucht.

Die EU wird gestärkt aus dem Brexit hervorgehen.

Daraus wiederum ergibt sich für mich, dass es für die Europäische Union besser ist, wenn das Brexit-Lager das Referendum gewinnt. Geht Großbritannien, kann es die Europäische Union nicht weiter untergraben. Die EU wird gestärkt aus dem Brexit hervorgehen.

Ich will damit nicht behaupten, dass es die EU ohne das Vereinigte Königreich leicht haben wird, ihren Zusammenhalt zu bewahren. Vor allem die Eurozonen-Krise und die jüngste Migrations-Krise haben starke Auflösungskräfte innerhalb der Union entfesselt. Doch ich behaupte, dass die Briten, wenn sie in der EU bleiben, es vor allem darauf anlegen werden, die Macht Brüssels zu beschneiden; das würde die Bewältigung der anstehenden Aufgaben weiter erschweren.

Man hört bisweilen, wenn Großbritannien die EU verlasse, bestünde das Risiko eines Dominoeffektes, und auch andere Länder könnten ihren Austritt beschließen. Es steht zu bezweifeln, dass dies geschieht. In den meisten Ländern herrscht die Einsicht, dass viele wirtschaftliche Probleme (Handelsabkommen, Umwelt, Sicherheit) nur gemeinsam auf europäischer Ebene gelöst werden können. Doch wenn einige Länder entscheiden, es Großbritannien gleichzutun und die EU zu verlassen, dann sei es so. Die verbliebenen Mitgliedstaaten werden eine Koalition der Willigen bilden, statt Teil einer Koalition zu sein, deren Partner einander nicht ausstehen können.

Wenn die Briten für den Brexit stimmen, wird Großbritannien dadurch geschwächt, und es wird bei der EU anklopfen müssen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln. Dann aber hat es jegliche Druckmittel eingebüßt. Die EU wird den Briten ein Abkommen auferlegen können, das sich nicht grundsätzlich von dem unterscheidet, was Großbritannien heute als EU-Mitglied hat. Das Land, dem so daran gelegen ist, den Zusammenhalt der Union zu schwächen, wird dadurch an Macht verlieren.