Wer immer den Wahlsieg der griechischen Syriza kommentiert, erwähnt zugleich die spanische Podemos. Die Partei (übersetzt: „Wir können es“) wurde Anfang 2014 gegründet und erzielte bei den Europawahlen mit 1,2 Millionen Stimmen aus dem Stand fast 8 Prozent. In aktuellen Umfragen erreicht Podemos seitdem– je nach Umfrage – den ersten, zweiten oder dritten Platz und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie aus den Parlamentswahlen Ende 2015 als Sieger hervorgeht. Das wäre eine Wiederholung des Erfolgs der Syriza in Griechenland – allerdings in einem Land, dessen Bevölkerung fünf Mal und dessen Sozialprodukt sieben Mal größer ist.
Das Produkt einer doppelten Krise
Podemos ist das Produkt einer doppelten Krise: Zunächst der Wirtschaftskrise, die Spanien seit 2008 heimsucht, und dann der sozialen Konsequenzen der von außen aufgezwungenen Austeritätspolitik. Zugleich ist sie aber auch Reaktion auf eine Krise der spanischen Institutionen, die aus dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie (transición) hervorgegangen waren und die politische Identität Spaniens geprägt haben. Aus der transición entstand ein stabiles Zweiparteiensystem, dominiert von der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) und der konservativen Volkspartei (PP). Diese Aufstellung reproduzierte die Fronten des spanischen Bürgerkriegs, ohne die Vergangenheit des Bürgerkriegs und der Diktatur zu thematisieren.
In Krisenzeiten bot das Zweiparteiensystem den Wählern einen einfachen Weg für die Artikulation von Unzufriedenheit: Sie konnten die regierende Partei aus dem Amt jagen und die jeweils andere an die Regierung bringen. Da die Krisenzyklen in der Vergangenheit kürzer waren als die Legislaturperioden, war das System weitgehend in der Lage, wirtschaftliche Notwendigkeiten, soziale Interessen und politische Präferenzen zum Ausgleich zu bringen.
Die derzeitige Krise dagegen geht nun in ihr achtes Jahr. Der Mechanismus des Wechsels hat nicht gewirkt. Beide Parteien hatten ihre Chance. In dieser Situation entstand das Bedürfnis nach einer radikalen Wende, das sich 2011 zunächst in der Bewegung der „Empörten“ Ausdruck verschaffte. Diese spontane Jugendbewegung verschwand nach den spektakulären Aktionen des Jahres 2011 von den Titelseiten der Zeitungen. Sie verschwand aber nicht aus der Realität.
Podemos sieht sich in der Nachfolge der „Empörten“. Die neue Partei übernahm das Grundmotiv der Konfrontation der „Leute“ (la gente) mit der herrschenden politischen Oligarchie: der „Kaste“. Aber im Unterschied zu den „Empörten“ ließ sich Podemos im März 2014 für die Europawahlen als politische Partei registrieren. Überrascht vom guten Abschneiden und mehr noch vom anschließenden Aufstieg in den Umfragen gab sich Podemos in einer konstituierenden Versammlung dann ein organisatorisches Profil. Tatsächlich ist dieses den anderen spanischen Parteien mittlerweile ziemlich ähnlich.
Politische Ausrichtung: Kalkulierte Schwammigkeit
Im europäischen Wahlkampf forderte Podemos noch die Aussetzung der Schuldenzahlungen, ein bedingungsloses Grundeinkommen und ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren. In einem von der Partei im Herbst 2014 in Auftrag gegebenen Wirtschaftsprogramm dagegen wurde das Rentenalter auf 65 Jahre angehoben. Die Aussetzung der Schuldenzahlungen wurde durch eine Neuverhandlung ersetzt. Das gesamte Programm wurde als „sozialdemokratisch“ präsentiert. Merkwürdig profillos blieben die Aussagen zu den angekündigten (nun eingestellten) reaktionären Veränderungen des Abtreibungsrechts. Insgesamt weigern sich die Wortführer von Podemos, ihre Partei auf einer Rechts-Links-Achse zu verorten. Die Unterschiede zwischen Rechts und Links, so Generalsekretär Pablo Iglesias, seien zweitrangig gegenüber dem Gegensatz von „oben und unten“. Die Partei tritt dabei nicht als Vertretung sozialer Interessen auf, sondern – wie die rechtspopulistischen Parteien im Norden – als Vertretung der „Leute“ gegen die Elite.
Die Partei tritt dabei nicht als Vertretung sozialer Interessen auf, sondern – wie die rechtspopulistischen Parteien im Norden – als Vertretung der „Leute“ gegen die Elite.
Diese populistische Grundhaltung steht im Kontrast zu einer eindeutigen und gar nicht verleugneten linken Grundhaltung der Wortführer, die in der Kommunistischen Partei und in der anti-Globalisierungsbewegung politisch sozialisiert wurden. Sie demonstrieren offen Sympathie für Syriza und schlossen sich der Parteifamilie der vereinigten Europäischen Linken im Europäischen Parlament an.
Dieses Oszillieren zwischen populistischen und klassisch linken Positionen verweist auf den lateinamerikanischen Hintergrund einiger der Wortführer, die als Berater von Hugo Chávez in Venezuela, Rafael Correa in Ecuador und Evo Morales in Bolivien tätig gewesen sind. So verfasste der Leiter der Wahlkampagne von Podemos, Iñigo Errechón, eine Dissertation über die Morales-Bewegung in Bolivien.
Die oszillierende Haltung von Podemos, der bewusste Verzicht auf ein eindeutiges Programm und eine identifizierbare Ideologie könnte auf ein einfaches Kalkül zurückgehen: Wenn keine klaren Positionen bezogen werden, sinkt das Risiko, potentielle Wähler vor den Kopf zu stoßen. Auffällig ist, dass sich die Wortführer einer Sprache bedienen, die sich an den lateinamerikanischen Neo-Populismus anlehnt. So verwendet Podemos Begriffe wie „Vaterland“ und „Würde“. Derlei wurde von der Franco-Diktatur inflationär gebraucht und ist im heutigen Spanien eigentlich aus der Mode gekommen. Der britische Journalist John Carlin wies in der Tageszeitung El País darauf hin, dass der politische Diskurs von Podemos an einen moralischen Kreuzzug erinnere und indirekt religiös geprägt sei. Er ziele „auf das Herz anstatt auf den Intellekt“. Die „Kaste“, das sind die „Pharisäer“. Podemos gehe nun daran, wie Jesus die Wechsler und Händler aus dem Tempel zu vertreiben. In einem post-religiösen, aber von starken religiösen Traditionen bestimmten Land kann dieses Bild durchaus politische Bedeutung erlangen.
Basisdemokratie und Personenkult
Podemos trat zunächst als radikal basisdemokratische Organisation an. Basiseinheiten waren dabei offene lokale „Kreise“, an denen sich jeder beteiligen konnte, der über eine E-Mail-Adresse verfügte. Von diesen offenen Kreisen bestehen derzeit mehr als tausend. Über die sozialen Medien bewältigte Podemos unter anderem den komplexen Auswahlprozess der Kandidaten für die Europawahlen.
Seit der konstituierenden Versammlung vom Herbst 2014 wird dieses offene Netzwerk von einer formalen Parteiorganisation überlagert. Da Podemos sich durch Crowd-Funding finanziert, zahlen Mitglieder keine Beiträge. Mittlerweile zählt Podemos mit 210 000 Mitgliedern mehr Parteigenossen als die PSOE. Aufgestellt wurde auch eine Führungsstruktur: Ein Generalsekretär – Pablo Iglesias – und ein 10- bis 15-köpfiger „Koordinationsrat“. Dieser wird nicht gewählt, sondern vom Generalsekretär ernannt– was durchaus auf innerparteiliche Kritik gestoßen ist. Im Koordinationsrat, der dem Generalsekretär eigentlich nur technisch assistieren soll, sind die wichtigsten informellen Figuren von Podemos vertreten. Ihm ist ein 81-köpfiger „Bürgerrat“ nachgeordnet. Dabei handelt es sich um ein Kontrollgremium, das mindestens alle drei Monate zusammentreffen soll. Das formal höchste Organ der Partei ist eine „Bürgerversammlung“, für die keine Delegierten vorgesehen sind. Jedes Podemos-Mitglied kann sich dort an Abstimmungen beteiligen.
Podemos ist die Kreation einer Reihe linksradikaler Hochschullehrer und Intellektueller, die die Bruchlinien im politischen System identifiziert und für ihren politischen Aufstieg instrumentalisiert haben.
Die Verfassung der Podemos sieht die Möglichkeit der Abwahl von Funktionären und interne Referenden vor, die auf elektronischem Wege organisiert werden können. Obwohl die Verfassung also basisdemokratische Elemente enthält, ist der Kontrast zwischen basisdemokratischen Prinzipien und der realen Führungsstruktur unübersehbar.
Podemos ist weitgehend die Kreation einer Reihe linksradikaler Hochschullehrer und Intellektueller, die sich aus der politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Complutense rekrutieren. Es handelt sich um eine bestens ausgebildete und international erfahrene Gruppe junger Politik-Unternehmer, die die Bruchlinien im politischen System Spaniens identifiziert und für ihren politischen Aufstieg instrumentalisiert haben. Besonders deutlich wird der Kontrast zwischen basisdemokratischen Prinzipien und Realität in der herausragenden Stellung des Generalsekretärs. Anstelle eines Partei-Logos zierte sein Porträt die Stimmzettel zu den Europawahlen. Der Personenkult ist kalkuliert: Vor den Europawahlen war der Talkshow-Gast und -master Iglesias das einzige bekannte Gesicht der Partei. Er soll das Gesicht von Podemos bleiben. Und mehr als das: Mit dem von seinen Anhängern besetzten Koordinationsrat kontrolliert er das mächtigste innerparteiliche Gremium. Dass der basisdemokratische Anspruch der Partei auf diese Weise ramponiert werden könnte – damit kann Podemos bislang leben.
Ausblick: Unbequeme Koalitionen
Sollten sich die heutigen Umfragewerte in Wahlergebnissen spiegeln, dürfte die nächste Regierungsbildung schwierig werden. Spanien hätte dann drei annähernd gleich starke Parteien mit jeweils weniger als 30 Prozent der Stimmen, die miteinander kaum koalieren können. Eine Koalition PSOE-Podemos ist unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen. Obwohl die PSOE für Podemos als „Systempartei“ gilt, lassen die Wortführer bisweilen eine gewisse Sympathie für einfache Mitglieder und eine (begrenzte) Anerkennung für die historische Leistung der Sozialisten bei der Überwindung der Franco-Diktatur durchblicken. Eine große Koalition aus PSOE und PP ist infolge der ultrakonservativen Rigidität der PP wenig wahrscheinlich und würde die PSOE in eine unkomfortable Lage bringen. Als größte Oppositionspartei könnte Podemos täglich die „Kaste PPSOE“ kritisieren. Eine Koalition Podemos-PP ist wohl ausgeschlossen.
Wie Syriza ist Podemos eine post-marxistisch-linkspopulistische Antwort auf die europäische Krise. Für Podemos wird deshalb viel vom Ausgang der Auseinandersetzungen zwischen der Syriza-Regierung und den nordeuropäischen Gläubigern Griechenlands abhängen. Wenn Alexis Tsipras zumindest einige Wahlversprechen erfüllt, einen für Griechenland akzeptablen Deal mit den Gläubigern zustande bringt und Reformen durchsetzt, die nicht mehr nur auf Kosten der Ärmeren gehen, würde Podemos automatisch profitieren. Sollte Tsipras scheitern, würde auch Podemos an Attraktivität verlieren.
Gleichwohl bleibt Podemos auch ein spezifisch spanisches Phänomen, und zwar nicht nur wegen des Rückgriffs auf den lateinamerikanischen Neo-Populismus, sondern auch und vor allem wegen der Identifizierung der „Kaste“ und des „Regimes von 1978“ als politischer Gegner. Der Erfolg von Podemos zeigt an, dass das von der transición bestimmte politische System Spaniens an sein Ende gekommen ist. Dabei spricht für dieses System, dass es als Fundamentalopposition eben Podemos hervorgebracht hat – und nicht den dumpfen, fremdenfeindlichen und anti-europäischen Rechtspopulismus des europäischen Nordens.
8 Leserbriefe
Zum Schluss: Sollte das Projekt SYRIZA Anfang März scheitern scheitert auch PODEMOS. Ich wünsche es nicht.
Besondere Bedeutung hat die Tatsache, dass die meisten spanischen Familien nicht zur Miete wohnen sondern in Eigentumswohungen die i.d.R. mit Hypotheken belastet sind und oft auch als Sicherheit für andere Kredite z.B. zum Eintritt in die Selbständigkeit herangezogen werden, oft auch von Familienangehörigen. Daraus ergaben und ergeben sich in der Krise Situationen die das soziale Gleichgewicht nachhaltig stören und in kritischen Kreisen der spanischen Gesellschaft zur Solidarisierung mit Familien die von der Zwangsräumung betroffen sind geführt haben. Spanien kennt auch keine private Insolvenz; d.h. oft bleiben die Familen auch noch nach der Zwangsräumung auf einen kaum abzuleistenden Schuldenberg sitzen. Ich selbst habe in der Vergangenheite Petitionen auf dem Portal chang.org unterschrieben wo u.a. Zwanggsräumung von Familien mit schwerkrnaken bzw. stark behinderten Kindern vollzogen werden sollten.
Das ganze erinnert mich an ein bekannten Experiement aus der physikalische Chaostheorie. Dort wird ein Pendel angestossen und der Stoss wird stufenweise verstärkt. Ab einem Grenzwert verlässt das Pendel seine gleichmässige Bewegung, von Pablo Iglesia als Tick-Tack bezeichent, und geht in eine chaotische Bewegung über; d.h. Quantität schlägt in eine neue Qualitiät um. Die politschen und wirtschaftlichen Eliten sollten darüber nachdenken und nicht leichtfertig von Populismus sprechen. Populismus von welcher Seite auch immer rechts oder links ist i.d.R. Ausdruck des Versagens eines bestehenden Systems und ihrer Eliten.
ich denke nicht dass podemos so etwas lernen muss, denn die geschichte Kataloniens zeigt auf, dass das ehemalige Königreich kalalonien Jahrhunderte (seit der Einverleibung durch Spaniens krone) lang an die zeche spanies zahlen musste. katalanien hat eine eigene sprache und Kultur und hat schlicht und einfach das recht, seine Politik selber zu bestimmen. ob es Madrid passt oder nicht !
das hat mit Griechenland nichts zu tun.
Den faulen und korrupten parlamentariern entspricht der Volkskoerper, der lieber einen trinken geht als sich um die "Res Publica" zu kuemmern. Deshalb muessen diese Suedlaender schleiunigst ihre eigene waehrung bekommen!
Hierzu kommen Aussagen wie die, dass es "nicht um Links oder Rechts" gehe, dass "gängigen Einordnungen der Parteien nicht wichtig sind". Desweiteren ist überall in Europa ersichtlich, dass ganz geschickt eben jene Elemente aus allen politischen Lagern kombiniert werden welche sich vergleichsweise leicht zu einer grundsätzlich (mindestens) reaktionären Mischung re-kombinieren lassen.
Wenn man dann noch die intensive Kooperation all dieser Parteien innerhalb Europas (und vermutlich darüber hinaus) sowie den fast ausnahmslos charakteristischen Antisemitismus mit einbezieht, sollten ALLE Alarmglocken läuten.