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Portugal

Die sozialistische Regierung Portugals stemmte sich schon früh gegen die Ausbreitung des Corona-Virus. Am 19. März 2020 wurde der nationale Ausnahmezustand verhängt, der das Recht auf Bewegungsfreiheit stark einschränkt und der neben der Schließung der Schulen auch die Einstellung des Betriebes aller Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen sowie Gaststätten erzwang. Inzwischen wurde diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit nochmals verschärft, um der Ausbreitung des Virus im Zuge der Osterfeiern entgegenzuwirken.

Für internationale Aufmerksamkeit hat der Umgang mit Migranten und Flüchtlingen gesorgt. Am 27.3. erließ die Regierung ein Dekret zur Legalisierung des Status aller Immigranten, Flüchtlinge und Asylbewerber, die vor der Verhängung des Ausnahmezustands einen Antrag auf Aufenthaltsrecht bzw. Asyl eingereicht hatten. Der Nachweis der Antragstellung wird von den Behörden als gültiger Aufenthaltstitel anerkannt. Er gewährt die Inanspruchnahme des Nationalen Gesundheitsdienstes und der Leistungen der staatlichen Sozialversicherung. Die Antragsteller sind außerdem dazu berechtigt, Arbeitsverträge zu schließen, Wohnungen zu mieten, Bankkonten zu eröffnen und Verträge über grundlegende Dienstleistungen wie Wasser und Strom zu schließen. Diese Maßnahme steht im Einklang mit der seit der 1990er Jahren geltenden Einwanderungs- und Integrationspolitik der Sozialistischen Partei, die im Wesentlichen vom liberalkonservativen Staatspräsidenten mitgetragen wird. 

Die Entscheidung über die Verhängung des Ausnahmezustandes wurde über Parteigrenzen hinweg einvernehmlich vom Staatspräsidenten, der sozialistischen Regierung und dem Parlament getroffen. Auch die überwiegende Mehrheit der Sozialpartner unterstützte den Schritt in einer gemeinsamen Erklärung. Umfragen zufolge befürwortet die große Mehrheit der Bevölkerung sowohl den Ausnahmezustand als auch die konkreten Maßnahmen gegen das Virus. Die Wachstumsrate der Zahl der Neuinfizierten konnte stetig gesenkt werden und liegt seit Anfang April unter 10 Prozent. Die Gesamtzahl der Infizierten beträgt 13 141, die Zahl der Toten liegt bei 380 (Stand 8.4.2020). Allem Anschein nach ist es Portugal also gelungen, eine Katastrophe wie in Spanien oder Italien abzuwenden.

Premierminister António Costa gehörte zu denen, die eine starke solidarische Reaktion der EU auf die Corona-Krise einforderten.

Nun steht die Frage der europäischen Solidarität auf der Tagesordnung. Der in den letzten 10 Jahren unter großen Opfern stabilisierte Staatshaushalt kann die nötigen Mittel zur Bewältigung der Folgen der wirtschaftlichen Lähmung – Pleitewelle, Arbeitslosigkeit und massenhafte Kurzarbeit – nur kurz aufbringen.

Bei der Videokonferenz des Europäischen Rates am 26. März gehörte Premierminister António Costa zu denen, die eine starke solidarische Reaktion der EU auf die Corona-Krise einforderten. Wenige Tage vor der Konferenz hatte Costa seine Position im portugiesischen Parlament folgendermaßen umrissen: Die EU müsse „den asymmetrischen Auswirkungen“ der durch die Pandemie verursachten Krise entgegenwirken. Das 37-Milliarden-Paket der EU, die Suspendierung der 3 Prozent-Neuverschuldungsgrenze und das Eingreifen der EZB gegen das Risiko einer neuen Staatsschuldenkrise seien nicht ausreichend. Es werde dringend Geld benötigt, um die explodierenden Kosten der Pandemie zu decken. „Dies ist ein gemeinsames Problem für die gesamte EU, und deshalb brauchen wir eine gemeinsame Antwort der gesamten EU.“ Konkret forderte Costa ein „großes Investitionsprogramm auf europäischer Ebene“ und die Schaffung sogenannter Corona-Bonds, um die Länder in einem Kontext steigender Staatsverschuldung nicht isoliert dem Misstrauen der Märkte auszuliefern.

Im Anschluss an die Videokonferenz zeigte sich António Costa enttäuscht von dem Ergebnis. Darauf angesprochen, dass der niederländische Finanzminister Wobke Hoekstra eine Untersuchung gefordert hatte, warum einige Länder nicht über ausreichende finanzielle Kapazitäten verfügen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise zu bewältigen, reagierte António Costa in einem ungewohnt scharfen Ton: „Diese Äußerungen sind abscheulich. ... Wenn ein EU-Land glaubt, das Problem dadurch zu lösen, dass es dem Virus in anderen Ländern freien Lauf lässt, hat es nicht verstanden, was die EU ist. Diese immer wiederkehrende Kleinlichkeit untergräbt die EU. Wenn die Union überleben will, darf sie solche Äußerungen nicht zulassen.“

António Costa wird die traditionell konstruktive Rolle des Landes in der EU sicherlich beibehalten. Es wird aber deutlich, dass auch der „europäische Musterknabe“ Portugal von den wohlhabenderen Mitgliedsländern solidarisches Handeln einfordert, das nicht mit Zwangsmaßnahmen verbunden ist, wie sie den Interventionsländern von der Troika in der Eurokrise auferlegt wurden.

Reinhard Naumann, FES Portugal

Japan

Die Entscheidung für einschneidende Maßnahmen wurde lange verschleppt, die Bedrohung kleingeredet. Doch am 7. April 2020 erklärte der japanische Premierminister Shinzo Abe angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Corona-Virus für einen Monat den Notstand in sieben Präfekturen des Landes, vier davon im Großraum Tokyo. Auch wenn Japan über ein gut funktionierendes Gesundheitssystem verfügt und sich als Technologie-Nation versteht, hat kaum ein Land weniger Tests durchgeführt. Zwischen Anfang Januar 2020 und dem 24. März des Jahres wurden in Japan nur 18 000 Personen getestet, Anfang April wurde eine Gesamtzahl (!) von 40 000 Tests erreicht. Die offizielle Anzahl der mit Corona Infizierten überschritt daher erst Anfang April die Marke von 3 000, am 7. April lag sie bei 4 257.

Eine hohe Dunkelziffer wird vermutet, seriöse Schätzungen sind aber nicht möglich. Klar ist jedoch, dass das Bestreben, die offiziellen Zahlen niedrig zu halten, nicht von ungefähr kommt. Zunächst ist da die Angst der Regierung Abe, mit ihrer Wirtschaftspolitik („Abenomics“) zu scheitern, wenn die Bewegungsfreiheit der Menschen zu stark eingeschränkt wird — insbesondere durch Einschränkung des Nahverkehrs rund um die Großstädte, aber auch bei den Einreisebestimmungen, die nur sehr zögerlich verschärft wurden. Zweitens wehrte man sich lange gegen die Idee einer Verschiebung (oder Absage) der Olympischen Spiele. Erst am 25. März konnte man sich zu diesem Schritt durchringen. Drittens bedingten die seit Monaten angespannten Beziehungen zu Korea, dass Japan einen anderen Weg verfolgen musste als der ungeliebte Nachbar. Südkorea versuchte von Anfang an, potentiell Erkrankte aufzuspüren und zu testen, um eine unbemerkte Ausbreitung des Virus zu verhindern. Japan verfolgte demgegenüber die Politik der Identifikation von Clustern, wohingegen individuelle Tests auf ein Minimum beschränkt wurden. Nur Menschen, die nachweislich mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen waren, wurden zu einem Test zugelassen.

Seit Februar rief die Regierung die Bevölkerung und Organisationen aller Art dazu auf, Menschenansammlungen zu vermeiden. Dabei handelte es sich nur um eine Empfehlung ohne gesetzliche Grundlage, aber von Mitte Februar bis Mitte März fanden kaum größere Veranstaltungen statt. Geschäfte und Restaurants blieben aber durchweg geöffnet, das öffentliche Leben war (bis auf einige Panik-Käufe (Masken, Toilettenpapier, Nudeln) nur geringfügig beeinträchtigt. Vor allem aber drängten sich die Menschen nach wie vor in die vollen Bahnen der Großstädte — auf Home Office waren nur wenige Firmen vorbereitet, das Konzept vom social distancing blieb Makulatur, bevor es überhaupt diskutiert wurde.

Im Gegensatz zu anderen Ländern befürchtet kaum jemand eine Gefahr für die Demokratie in Japan, obwohl Shinzo Abe nicht wirklich als Freund demokratischer Prozesse bekannt ist.

Ende März gab das japanische Gesundheitsministerium seine eigene Version dieser global praktizierten Praxis bekannt — die Vermeidung der 3 C’s: Closed Spaces (schlecht gelüftete, abgeschlossene Räume), Crowded Places (größere Menschenansammlungen), und Close-range conversations (Gespräche in geringer Entfernung). Im Kern entsprechen diese Richtlinien dem, was anderenorts als social distancing praktiziert wird.

Allerdings wurden diese Richtlinien selbst von staatlichen Institutionen durchweg ignoriert. So gestattete das Bildungsministerium den Schulen die Durchführung der Ende März bzw. Anfang April jeden Jahres stattfindenden Jahresabschlussfeiern und Einschulungszeremonien. Bei diesen Events versammeln sich jeweils 300-500 Schüler, Lehrer und Eltern in meist schlecht belüfteten Mehrzweckhallen der Grund- und Mittelschulen. Selbst nachdem die Regierung am 6. April bekanntgegeben hatte, dass am 7. April der Notstand ausgerufen würde, wurden just an diesem Tag noch die Einschulungszeremonien durchgeführt. Trotz dieser bizarren Öffnung der Schulen für zeremonielle Zwecke bleibt der Unterricht ausgesetzt.

Zusammen mit der Ausrufung des Notstands hat die Regierung ein Konjunkturpaket verabschiedet — mit 108 Billionen Yen (916 Milliarden Euro) das größte, das Japan jemals gesehen hat. Es sieht Barzahlungen an Familien vor, deren Einkommen aufgrund der Corona-Krise signifikant zurückgegangen ist, sowie Krediterleichterungen für Solo-Unternehmer und Klein- und Kleinstfirmen.

Im Gegensatz zu anderen Ländern befürchtet kaum jemand eine Gefahr für die Demokratie in Japan, obwohl Shinzo Abe nicht wirklich als Freund demokratischer Prozesse bekannt ist. Er hat in den letzten Jahren fragwürdige Gesetze mit brachialer Gewalt im Parlament durchgesetzt, und die Einführung eines Notstandsgesetzes stand lange auf seiner politischen Agenda. Derzeit bemüht sich die Regierung aber darum, in der Bevölkerung keine zusätzlichen Besorgnisse aufkommen zu lassen. Das am 13. März verabschiedete Notstandsgesetz gibt der nationalen Regierung daher nur eingeschränkte Befugnisse; die Umsetzung obliegt den Präfekturen.

Ob die beschlossenen Maßnahmen trotz des halbherzigen Charakters ausreichen, um in den urbanen Ballungsräumen Japans eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, bleibt abzuwarten. Umstritten ist unter Experten auch, ob die Verschleppung der Ausbreitung eine sinnvolle Abmilderung der Wachstumskurve darstellt. Wie auch anderen Ländern könnte Japan vielmehr ein langer Kampf gegen Corona bevorstehen.

Sven Saaler, FES Japan

Mexiko

„Zu Hause bleiben und mich vor der Ansteckung schützen – das kann ich mir nicht leisten, wenn ich meine Familie ernähren will.“ So schätzen viele Straßenverkäufer in Mexiko-Stadt in Interviews von Journalisten ihre Lage ein. 60 Prozent der 130 Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner arbeiten im informellen Sektor. Sie leben meist von der Hand in den Mund, ohne Rücklagen für Extremsituationen ansparen zu können.  

Ende April wird der Höhepunkt der Covid-19-Pandemie in Mexiko erwartet. Aktuell sind knapp 2 800  Mexikaner mit dem Corona-Virus infiziert, 141 hat das Virus bereits das Leben gekostet. Obwohl bereits seit drei Wochen die Schulen geschlossen sind und Ende März der Gesundheitsnotstand ausgerufen wurde – und damit auch der Privatsektor aufgefordert wurde, seine nicht existientiellen Aktivitäten einzustellen – ist zweifelhaft, ob das mexikanische Gesundheitssystem ausreichend auf die erwarteten Herausforderungen vorbereitet ist. Bisher wird im wesentlichen an die Bevölkerung appelliert, zu Hause zu bleiben, Reisebeschränkungen aus dem bzw. ins Ausland existieren nicht. Mexiko gehört damit zu den Ländern, die der Krise mit den geringsten restriktiven Maßnahmen begegnen.

Experten schätzen, dass die mexikanische Wirtschaft um vier Prozent schrumpfen wird. Trotzdem wertet Präsident Andrés Manuel López Obrador die aktuelle Entwicklung nur als vorrübergehende Krise, der er mit einem am vergangenen Sonntag vorgestellten Aktionsplan zur Belebung der Wirtschaft begegnen will. Die enthaltenen Maßnahmen – öffentliche Bauprojekte, zinslose Kredite für Kleinunternehmen, Gehaltskürzungen bei hohen Staatsangestellten, Stipendien für Schülerinnen und Schüler, vorgezogene Rentenzahlungen und die Schaffung von zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen – fanden bei Wirtschaftsvertretern jedoch wenig Anklang. Kritisiert wird vor allem, dass wichtige Industrieunternehmen und Arbeitgeber, z.B. in der Autoindustrie, keinerlei Unterstützung erhalten. Die Regierung setzt stattdessen auf die Fortsetzung ihrer Austeritätspolitik, die Großinvestitionen in den Ausbau der Ölindustrie oder Infrastrukturprojeke ohne klar erkennbare Eingliederung in eine langfristige Entwicklungsstrategie vorsieht.

Angesichts des Verfalls der Rohölpreise werden insbesondere die Zahlungen an die staatliche Erdölgesellschaft Pemex und der Bau einer großen Raffinerie heftig kritisiert. Vorgesehen ist die Fortsetzung der zahlreichen assistenzialistischen Sozialprogramme, die sich vor allem an arme Bevölkerungsgruppen in ländlichen Regionen richten. Hilfen für den urbanen informellen Sektor sind dagegen kaum vorgesehen. Erstmals seit der Wahl des Präsidenten sind seine Zustimmungswerte nach einer am 5.4. von Mitofsky veröffentlichten Umfrage unter 50 Prozent gefallen.

Prekär ist die Situation der zahlreichen Migrantinnen und Migranten aus Zentralamerika, die auf mexikanischer Seite der Grenze auf die Entscheidung der US-Behördern über ihre Asylanträge warten. Nachdem in den USA die Bearbeitung der Anträge zum 10.4. eingestellt wurde, steigt die Zahl der in Mexiko Gestrandeten täglich. Eine Rückkehr in ihre Heimatländer ist ihnen aufgrund der dort drohenden Gefahren und mittlerweile durch die Schließung der Grenzen nach Guatemala, El Salvador und Honduras nicht mehr möglich. Die meisten harren in überbelegten Unterkünften aus und sichern ihr Überleben durch Arbeit im informellen Sektor. Die Anzahl der Gestrandeten steigt zudem, weil alle im Grenzgebiet der USA ohne gültige Dokumente aufgegriffenen Menschen mittlerweile direkt nach Mexiko ausgewiesen werden. Da zurückgeschickte Migranten nicht auf das Coronavirus getestet werden und die hygienischen Bedingungen in den meist überfüllten Unterkünften katastrophal sind, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Zahl der Infektionen an der Nordgrenze Mexikos ansteigen wird.

Astrid Becker, Regionalprojekt Sustainability der FES Mexiko