Die Fragen stellten Thomas Greven und Lennart Oestergaard.

Viele Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent haben durch die Pandemie ihre Arbeit verloren. Vor allem für die Jugend waren die beruflichen Perspektiven aber auch schon vor der Krise schlecht. Woher kommt der strukturelle Mangel an Arbeitsplätzen in Afrika?

Die Transformation in den 55 Ländern Afrikas schreitet mit großen Schritten voran. Aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums – auch in den Städten – ist die Nachfrage nach Arbeitskräften viel geringer als das Angebot. Dies hat vor allem damit zu tun, dass es zu wenige wachsende lokale Mittelstandsunternehmen gibt. Wir sprechen von der missing middle. Die Folge: Menschen müssen ihr Überleben in der informellen Ökonomie durch Kleinhandel, einfache handwerkliche Jobs, Reparaturbetriebe, Werkstätten oder Transportdienstleistungen sichern. Die Verwaltungen, die großen Firmen und auch die ausländischen Unternehmen stellen hingegen nur sehr wenige Menschen ein. So suchen zum Beispiel in Uganda jedes Jahr circa 400 000 Menschen einen Arbeitsplatz, der formelle Sektor stellt jedoch lediglich 50 000 Arbeitskräfte ein. Die Pandemie hat diese Lücke noch weiter vergrößert.

Wie kommt es, dass in den letzten Jahren kaum neue Arbeitsplätze entstanden sind, obwohl das nominelle Wirtschaftswachstum vor der Pandemie in vielen afrikanischen Ländern hoch war?

Das hohe Wirtschaftswachstum der meisten afrikanischen Länder speiste sich durch die wachsende Nachfrage nach Exportgütern aus China, der Europäischen Union und einigen Schwellenländern. Die große Nachfrage wirkte sich auch auf die Preise für Energie, mineralische Rohstoffe und landwirtschaftliche Güter aus, so dass eine große Zahl von Ländern deutliche Wachstumsschübe verzeichnete. Vor allem durch kapitalintensive ausländische Investitionen, beispielsweise in der Produktion von Erdöl oder Bauxit, in der mechanisierten Landwirtschaft und in der weitgehend automatisierten Textil- oder Automobilproduktion entstehen durchaus neue Jobs.

Im Durchschnitt führt in den afrikanischen Ländern 1 Prozent Wirtschaftswachstum lediglich zu 0,4 Prozent Beschäftigungswachstum. 

Im Durchschnitt führt in den afrikanischen Ländern jedoch 1 Prozent Wirtschaftswachstum lediglich zu 0,4 Prozent Beschäftigungswachstum. Verglichen mit den asiatischen Ländern fällt Afrika hier deutlich zurück. Die anfangs erwähnte Urbanisierung kann durch die steigende Binnennachfrage letztendlich aber auch eine Chance für neue Jobs sein.

Jedes Jahr kommen circa 20 Millionen Menschen auf den afrikanischen Arbeitsmarkt. In welchen Sektoren und Wirtschaftszweigen gibt es die besten Aussichten auf neue Jobs in Afrika?

Die besten Aussichten auf Jobs gibt es vor allem in der modernen Landwirtschaft und der Agroindustrie, die die urbanen Zentren mit Nahrungsmitteln bedient. Hier finden auch Jobsuchende einen Arbeitsplatz, die nicht so gut ausgebildet sind – wie die meisten jungen Arbeitskräfte. Zudem lebt die Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung aktuell noch auf dem Land. Die Landwirtschaft ist in gewisser Weise ein Jobtreiber.

Andere Sektoren sind vor allem in den urbanen Zentren und den mittelgroßen Städten zu finden, weil hier die ausländischen Unternehmen, aber vor allem das lokale Unternehmertum, agieren. Hier ist es vor allem der Bausektor, denn die Städte wachsen schnell. Ferner sind in den letzten Jahren Arbeitsplätze im Konsumgüterbereich – zum Beispiel Nahrungsmittel und Kleidung –, im Transport und auch in der urbanen verarbeitenden Industrie entstanden.

Die schnelle Urbanisierung trägt zur wachsenden Wirtschaftsdynamik in afrikanischen Ländern bei.

Eine zunehmend größere Nachfrage nach Arbeitskräften wird auch durch die neuen Kommunikationstechnologien hervorgerufen. Denn nicht nur die urbanen Eliten fragen Produkte wie Handys, Smartphones oder Laptops nach, sondern auch die Bauern, die Mittelschicht und die Arbeitskräfte in der Landwirtschaft sowie in den Industrie- und den Dienstleistungssektoren. Dieser Nachfrageschub – hervorgerufen vor allem durch die schnelle Urbanisierung – trägt auch zur wachsenden Wirtschaftsdynamik in afrikanischen Ländern bei.

Natürlich ist die Lage je nach Land sehr unterschiedlich. So hat sich in den Mitteleinkommensländern wie Südafrika oder Marokko eine relativ diversifizierte Industrie herausgebildet, während Länder wie Burundi oder Äthiopien in einer Rohstofffalle gefangen sind. Letztere fokussieren sich fast ausschließlich auf den Export von Rohstoffen.

Vom Urbanisierungstrend haben wir schon gesprochen. Welchen Einfluss haben andere Trends wie die Digitalisierung? Welche Chancen sind damit verbunden?

Es gibt durch die neuen Technologien große Chancen für Beschäftigungswachstum, vor allem für gut ausgebildete Arbeitskräfte. Neue Megatrends wie die Roboterisierung können aber zugleich die Möglichkeiten für nicht so gut ausgebildete Beschäftigte reduzieren. Die sogenannte „Globotik-Revolution“ – eine Kombination aus Globalisierung und Roboterisierung – eröffnet Chancen vor allem für technische Berufe; die Nachfrage nach Hochqualifizierten wächst. Das zeigt die wachsende Zahl an Startup-Unternehmen, die sich in afrikanischen Staaten etabliert. Und auch die globalen und regionalen Lieferketten, in die sehr viele afrikanische Länder eingebunden sind, erzeugen einen Schub, auch wenn dieser bei weitem nicht ausreicht.

Eine These zur Erklärung der Schwierigkeiten auf den afrikanischen Arbeitsmärkten ist, dass der verarbeitende Sektor nicht ausreichend wächst, um genug Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft absorbieren zu können. Diese wandern deshalb „zu früh“ in den weitgehend informellen Servicesektor ab – bevor die industrielle Produktion zu Wohlstand geführt hat. Wie können sich afrikanische Länder industriell weiterentwickeln und was muss passieren, damit Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung entstehen?

Die meisten afrikanischen Länder – Ausnahmen sind Südafrika, Marokko oder Mauritius – kommen in der Globalisierung zu spät. Anders als Vietnam, Bangladesch oder auch Kambodscha haben sich viele afrikanische Staaten aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit vor allem auf die Produktion von Agrargütern und Rohstoffen konzentriert und dadurch versäumt, die Industrialisierung mit Nachdruck zu verfolgen. Viele Industrialisierungskonzepte der Siebziger- und Achtzigerjahre schlugen fehl, auch aufgrund der Strukturanpassungsmaßnahmen der internationalen Finanzinstitutionen. Afrika muss also Rückstände aufholen, was angesichts des Globalisierungsdrucks besonders schwer ist.

Afrika muss also Rückstände aufholen, was angesichts des Globalisierungsdrucks besonders schwer ist.

Die These vieler Experten, Afrika könne sich deshalb nicht industrialisieren, ist jedoch zu hinterfragen. Erstens treiben viele afrikanische Länder seit einigen Jahren ihre Industrialisierung voran, vor allem durch lokale Unternehmen, die die Versorgung der heimischen Märkte und zunehmend auch der afrikanischen Märkte in Angriff genommen haben. Zweitens sind einige Länder durchaus in der Lage, auch die Weltmärkte mit industriell gefertigten Produkten zu bedienen, beispielsweise Autos, Pharmazeutika, Textilien oder Nahrungsmitteln. Hier werden Jobs geschaffen, die zum Teil auch gut bezahlt werden. Natürlich ist es angesichts der globalen, vor allem chinesischen Konkurrenz nicht einfach, sich in industriellen Nischen zu entwickeln.

Gelänge es afrikanischen Ländern, ihren Mittelstand zu stärken und die Lieferketten so zu gestalten, dass sie mit der lokalen Industrie stärker verknüpft würden, dann gäbe es auch Chancen für einen afrikanischen Industrialisierungsschub mit einer entsprechenden Nachfrage nach Jobs. Die afrikanischen Regierungen sind daher gefordert, ihre Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu reduzieren und stattdessen eine nachhaltige Wirtschaft zu gestalten, die auch zu mehr Jobs führt. Aufgrund der globalen Transformationen, die durch die Energiewende und die Erfordernisse des Klimawandels entstehen, sind afrikanische Länder gewissermaßen angehalten umzusteuern, je eher, desto besser. Industriepolitik und die Modernisierung der Agrarökonomie müssen in den Mittelpunkt von endogenen Entwicklungsstrategien gestellt werden.

Können externe Akteure zur Lösung des Problems beitragen?

Es wird oft behauptet, ausländische Investoren würden einen großen Beitrag zur Reduktion von Arbeitslosigkeit leisten. Das ist allerdings eine Fehleinschätzung. Ausländische Unternehmen haben in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt gerade 150 000 Jobs pro Jahr geschaffen, das ist weniger als 1 Prozent aller Jobs. Natürlich entstehen in ausländischen Firmen Beschäftigungsmöglichkeiten, jedoch sind diese bei weitem weniger als man in der Öffentlichkeit glaubt. Pro 1 Million US-Dollar Investitionen entstehen weniger als drei Jobs. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Manch ein Unternehmen schafft zwar auch hochwertige Arbeitsplätze und gelegentlich wird der Technologietransfer ermöglicht, aber die meisten bieten Billigjobs für geringqualifizierte Arbeitnehmer an, zum Beispiel in der Landwirtschaft oder der Bekleidungsproduktion. Meist sind diese Firmen in Sonderwirtschaftszonen tätig, ohne eine tiefe Verbindung zu lokalen Unternehmern. Ausländische Unternehmen wollen die Kosten senken und suchen nach Produktionsstandorten, an denen internationale Sozial- und Umweltstandards nicht gelten. Afrika ist sozusagen am Ende der Lieferkette.

Was kann speziell Deutschland zur Schaffung von Jobs und guter Arbeit in Afrika beitragen?

Deutsche Unternehmen sind vor allem in der industriellen Fertigung, in Dienstleistungssektoren und in der Nahrungsmittelindustrie tätig. Dort werden mehr Arbeitsplätze geschaffen als im Rohstoffbereich. Gleichzeitig muss Deutschland die Zukunftsperspektiven Afrikas viel stärker antizipieren, das heißt die urbanen Entwicklungen mit deutlich wachsenden Mittelschichten und wachsender Nachfrage nach gut bezahlten Jobs berücksichtigen. Es geht darum, die Verbindung zum lokalen Unternehmertum zu vertiefen und nachhaltig zu gestalten. Dazu gehört auch eine Strategie von decent jobs, also angemessene Bezahlung, Arbeitsstandards, Sicherheit am Arbeitsplatz und sozialem Schutz für Familien, Organisationsfreiheit, Chancengleichheit und Gleichbehandlung für Frauen und Männer.
Hier könnte Deutschland Zeichen setzen und Maßnahmen ergreifen, die sich vom Lohndumping multinationaler Konzerne und chinesischer Investoren unterscheiden und somit Kinderarbeit und niedrige Löhne vermeiden. Afrikanische Arbeiter, Gewerkschaften und Zivilgesellschaften fordern dies seit langem. Wir sollten nicht länger in neokolonialen Beziehungen verharren.

Welche weiteren Schwerpunkte sollte die Afrikapolitik der Ampelregierung setzen?

Die deutsche Afrikapolitik benötigt dringend einen Neuanfang. Natürlich ist es sinnvoll, in Sachen Klimakrise Zeichen zu setzen. Aber die brennendsten Herausforderungen liegen in der Zukunft der Arbeit und der Zunahme der Armut.

Deutsche Afrikapolitik sollte endlich den Paternalismus der vergangenen Jahrzehnte ad acta legen.

Deutsche Afrikapolitik sollte endlich den Paternalismus der vergangenen Jahrzehnte ad acta legen und sich der wichtigsten gemeinsamen Herausforderungen annehmen: Diese betreffen vor allem die Handelsfragen, beispielsweise durch die Förderung der panafrikanischen Handelszone auf europäischer Ebene sowie die Gestaltung der Verhandlungen zwischen der Afrikanischen Union und der EU. Ebenfalls sehr wichtig sind Programme zur Technologie- und Wirtschaftskooperation, insbesondere durch inklusive Strategien, wie Unternehmenskooperationen zum Aufbau des afrikanischen Mittelstands und zur Bewältigung der extremen Beschäftigungskrise. Damit der Neustart in der Afrikapolitik gelingt, braucht es einen besseren Austausch zwischen deutschen und afrikanischen Experten, Gewerkschaften, Unternehmern und zivilgesellschaftlichen Akteuren.