In Iran verfolgte ein Großteil der Menschen die Atomverhandlungen mit so viel Spannung wie ein Fußballspiel. Als das Abkommen von Wien dann verkündet wurde, löste dies Freudenfeste der Erleichterung in der iranischen Bevölkerung aus. Der Außenminister und Verhandlungsführer Javad Zarif wurde als nationaler Held gefeiert. In Teheran und anderen Städten Irans bildeten sich Autokorsos, Menschen tanzten auf den Straßen und verteilten Süßgebäck untereinander.

Diese Emotionalität ist für westliche Beobachter bisweilen schwierig nachzuempfinden, sie zu analysieren ist für das Verständnis der iranischen Gesellschaft und nicht zuletzt des Staates Iran aber unabdingbar. Denn den Ängsten, Hoffnungen und Ambitionen, die die Iranerinnen und Iraner mit dem seit 2003 anhaltenden Konflikt verknüpften, musste das diplomatische Team um Javad Zarif in den Verhandlungen gerecht werden.

In verschiedenen Gesprächen mit iranischen und westlichen Diplomaten ist herauszuhören, dass am Verhandlungstisch erkannt wurde, welche Sensibilitäten zu berücksichtigen waren. Das Abkommen wäre sicher nicht möglich gewesen, wenn sich die Verhandlungsführer der P5+1 nicht auf kontextrelevante Aspekte fernab von technischen und juristischen Details eingelassen hätten. Dem iranischen Verhandlungsteam war es eindrucksvoll gelungen, den Verhandlungspartnern zu vermitteln, mit welcher innenpolitischen Gemütslage sie sich auseinandersetzen mussten.  

Hassan Rouhani warb während seiner Präsidentschaftskandidatur mit einem großen Schlüssel als Symbol für das Einläuten einer neuen Ära, sollte er ins Amt gewählt werden. Er verstand es, die verschiedenen Sorgen, Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen mit dem Ausgang der Verhandlungen zu verknüpfen.

 

Die Ängste und Sorgen

Zu den Ängsten gehörte die reale Sorge vor einem neuen Krieg. Ranghohe offizielle in Washington und Tel Aviv betonten gebetsmühlenartig, dass eine Militäroption stets „auf dem Tisch“ bleibe. In einer Bevölkerung, die tagtäglich auf verschiedene Weise an die verheerenden Folgen des verlustreichen Krieges gegen den Irak (1980-88) erinnert wird, rufen solche offenen Kriegsdrohungen unmittelbare Ängste hervor. Somit war die Einigung in den Augen der Menschen Irans auch die erfolgreiche Abwendung eines neuen Krieges.

Die größte Sorge der Skeptiker des Abkommens im Land ist eng mit dieser Kriegsangst verknüpft. Sie ist verbunden mit dem Unbehagen, dass ausgeweitete Inspektionen und größere Transparenz des Nuklearprogramms einen zu tief gehenden Zugang internationaler Akteure in das Herz des iranischen Sicherheitsapparats zulassen.

Hierbei spielt nicht nur das Misstrauen gegenüber westlichen Staaten eine Rolle, sondern auch das bestehende Misstrauen gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Dieser wurde häufig fehlende Neutralität bis hin zur Weiterleitung vertraulicher Informationen vorgeworfen. Erst eine Reise des IAEA-Generalsekretärs Yukiya Amano nach Teheran und dessen Gespräche mit Staatspräsident Hassan Rouhani und dem stellvertretenden Vorsitzenden des iranischen Hohen Nationalen Sicherheitsrats, Ali Shamkhani, machte möglich, dass ein separates Abkommen über umfassende Inspektionsmaßnahmen der Behörde am iranischen Nuklearprogramm geschlossen wurde. Diese neue Ebene der Vertraulichkeit ebnete den Weg für pragmatische Lösungsansätze.

 

Die Hoffnungen und Ambitionen

Die wohl wichtigste und drängendste Hoffnung der iranischen Bevölkerung ist eine Verbesserung der Wirtschaftslage. Mit dem Ende der Isolation Irans und der schrittweisen Aufhebung von Sanktionen des iranischen Finanz- und Energiesektors verbindet ein Großteil der 78 Millionen Menschen im Land die Zuversicht, dass ein Wirtschaftsaufschwung eingeleitet wird. Hier besteht durchaus Vertrauen in die Rouhani-Regierung, weil diese erfahrene Technokraten und Ökonomen aufweist.

Die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung erfordert, einen Arbeitsmarkt vorzufinden, der in der Lage ist, hochqualifizierte Arbeitskräfte aufzunehmen. Anders lässt sich der „brain drain“ nicht stoppen. Die florierende Start-Up-Szene Irans zeigt jedoch, dass sich immer mehr private Entrepreneure selbst der Verwirklichung ihrer Ambitionen annehmen. Und da in diesem Fall der Staat dankbar ist über so viel Arbeitsplatz schaffende Dynamik, unterstützt er diese Szene, wo er kann – mit der Schaffung von Medienpräsenz bis hin zur Bereitstellung von Räumlichkeiten oder Gründungsfonds.

Ebenso sehnt sich die iranische Bevölkerung nach der Stärkung und Einhaltung ihrer Bürgerrechte. Die ersten zwei Jahre der Rouhani-Präsidentschaft zeigen in dieser Hinsicht Fortschritte und Rückschläge gleichermaßen. Auch hier gehen Hoffnungen mit dem Nuklearabkommen einher. Denn durch diesen politischen Erfolg werden fraktionsübergreifend moderate und pragmatische Kräfte gestärkt. Diese politische Strömung ist es, die eine Besserung der gesellschaftspolitischen Verhältnisse herbeiführen kann.

Mit dem Nukleardeal in der Tasche, wird Präsident Rouhani nun liefern müssen, was er im Wahlkampf an Verbesserungen versprochen hat. Dies ist er einer Bevölkerung schuldig, die ihn als ihren Hoffnungsträger mit breitem Mandat ins Amt gehievt und den Nuklearverhandlungsprozess geduldig begleitet hat.

 

Eine Frage der Würde

In einem wesentlichen emotionalen Aspekt hat die Regierung Rouhani allerdings bereits geliefert: bei der Frage von nationaler Würde. Diese sahen Iraner im In- und Ausland besonders durch die Jahre der Präsidentschaft Mahmoud Ahmadinedschads (2005-13) massiv geschädigt. Zwar gibt es eine Klientel, welche seine populistisch-konfrontative Politik als richtigen Ansatz zur Stärkung der regionalen und globalen Position Irans ansah. Doch zeigten innen- und regionalpolitische Realitäten, wie kostspielig eine solche Ausrichtung gewesen ist.

Zwei lebensnahe und gleichzeitig aussagekräftige Gradmesser des Empfindens von „nationaler Würde“ sind laut dem iranischen Analysten Mohammad Ali Shabani der Wert der Landeswährung „Rial“ und die Reisefreiheit iranischer Staatsbürger. Denn je stärker die Kaufkraft und je weniger die Visaprobleme jedes einzelnen Bürgers, umso besser ist es um die internationale Situation des Iran bestellt.

 

Partner in einer Krisenregion

Die jüngsten Entwicklungen in der Region und der Kampf Irans gegen die Terrormiliz ISIS erwecken zudem ein neues Empfinden von Stolz gegenüber dem eigenen Militärapparat. Die Armee weiß dies geschickt zu nutzen, indem sie versucht, die Jugend über ein Musikvideo des Hiphop-Sängers Amir Tataloo auf einem Kriegsschiff an sich zu binden. Der international mit Argwohn beäugte General Ghassem Soleimani ist in Iran beliebter als jede andere uniformierte Person.

Hieraus erwächst gleichzeitig die Forderung, dass auch auf internationaler Ebene erkannt wird, welche bedeutende Rolle Iran zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus in der Region spielen kann.

Die Rolle der Revolutionsgarden, der dem Revolutionsführer direkt unterstellten Armee zur Verteidigung der Revolution, gewinnt seit dem Erstarken von ISIS an neuer Bedeutung. Hierbei wird jedoch zwischen ihrer internen und externen Rolle unterschieden. Die allzu prominente Position der Garden in der iranischen Politik und Wirtschaft wird zum Teil lautstark kritisiert; gleichzeitig werden ihre Operationen in Irak gegen ISIS begrüßt – eine einleuchtende Differenzierung.

In Zeiten regionaler Bedrohung durch Terrorismus und nicht-staatlicher Milizen gewinnt die jetzige iranische Regierung für ihren neuen, auf Kooperation und Partnerschaft setzenden außenpolitischen Ansatz populären Zuspruch. Der Sieg der Diplomatie in Wien wird als Stärke der Diplomatie Irans empfunden. Die international positive Resonanz auf Präsident Rouhani und Außenminister Zarif nimmt man in Iran allzu gerne zur Kenntnis.

Im Zuge der Intensivierung der politischen Beziehungen mit Iran sollte immer auch die emotionale Dimension berücksichtigt werden. Positive Resonanz für eine westliche oder europäische Politik wird man innerhalb der Bevölkerung nur dann erzielen, wenn sie dieser nicht zuwiderläuft.