Die Fragen stellte Niels Hegewisch.
Pakistan hat gerade ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen mit Saudi-Arabien unterzeichnet. Welche Vorteile hat das für das nuklear bewaffnete Pakistan?
Zunächst möchte ich davor warnen, den Begriff „nuklear“ automatisch zu verwenden, wenn man über Pakistan spricht. Dieser Begriff verzerrt das Bild. Westliche Beobachter sehen internationale Allianzen oft durch die Brille des Kalten Krieges – sie heben also ab auf Konzepte wie erweiterte Abschreckung und nuklearer Schutzschirm. Aber diese Logik greift hier nicht wirklich. Was wir hier sehen, ist die Kodifizierung einer Beziehung, die es schon lange gibt. Pakistan hat seit Jahrzehnten Truppen in Saudi-Arabien stationiert, während Saudi-Arabien für Pakistan stets eine der wichtigsten Quellen wirtschaftlicher Unterstützung war.
Deshalb wirkt dieses Abkommen in der Berichterstattung manchmal dramatischer oder weltbewegender, als es in Wirklichkeit ist. Ich sehe es eher als evolutionär denn als revolutionär. Es verschafft Riad die Gewissheit, dass die stärkste muslimische Militärmacht fest an seiner Seite steht. Und für Islamabad unterstreicht es die Tatsache, dass Saudi-Arabien einer seiner engsten strategischen Partner bleibt. In einer zunehmend fluiden Lage im Nahen Osten werden die arabischen Staaten weiterhin nach starken und verlässlichen Partnern suchen – und Pakistan erfüllt genau diese Rolle.
Was meinen Sie mit einer „fluiden“ Lage im Nahen Osten?
Das fragile Gleichgewicht, das in der Region nach dem Zweiten Weltkrieg existierte, ist zusammengebrochen. Eine Krise folgte auf die andere: der Arabische Frühling, der Bürgerkrieg in Libyen, der verheerende Konflikt im Jemen und nun der Krieg in Gaza. Die Region ist von Instabilität erschüttert. Iran war für die Golfstaaten schon lange eine Herausforderung, und der jüngste Zwölftagekrieg hat das Gleichgewicht weiter erschüttert. Verschärfend kam hinzu, dass Israel sogar das souveräne Territorium Katars angegriffen hat – etwas, das die arabischen Regierungen äußerst nervös macht.
Das Abkommen war lange in Vorbereitung, es sollte also nicht als unmittelbare Reaktion verstanden werden.
Das Abkommen selbst war lange vor diesen jüngsten Ereignissen in Vorbereitung, es sollte also nicht als unmittelbare Reaktion verstanden werden. Doch der zunehmend fluide und volatile Kontext macht solche Vereinbarungen wertvoller. Staaten, die sich verletzlich fühlen, suchen naturgemäß nach verlässlichen Partnern – und Saudi-Arabien bildet da keine Ausnahme.
Kann man sagen, dass Pakistan jetzt eine aktivere Rolle im Nahen Osten spielt?
Ich würde es nicht als „aktiver“ bezeichnen. Pakistan war im Nahen Osten immer stark engagiert. Wenn man in die 60er, 70er und 80er Jahre zurückblickt, war Pakistan konstant präsent. Seine Außenpolitik ruhte traditionell auf drei Hauptpfeilern: den Vereinigten Staaten, China und den Golfpartnern plus der Türkei. Dieses neue Abkommen stellt also keinen Bruch dar, sondern eine Fortführung. Neu ist lediglich, dass die Beziehung nun noch stärker formalisiert wurde, aber die zugrunde liegende Zusammenarbeit existiert seit Jahrzehnten.
Kommen wir zurück zur Nuklearfrage, da diese im Westen viel Aufmerksamkeit erhält. Ist Pakistan bereit, Saudi-Arabien einen nuklearen Schutzschirm anzubieten?
Dafür sehe ich keinerlei Hinweise. Im Gegenteil: Berichte, die eine solche Möglichkeit andeuteten, wurden von pakistanischer Seite schnell dementiert. Das Abkommen impliziert weder, dass Saudi-Arabien sich auf einen Nuklearkrieg vorbereitet, noch, dass es einen nuklearen Schutzschild benötigt. Diese Annahme entspringt westlichem Denken, in dem die USA ihren Verbündeten eine erweiterte nukleare Abschreckung boten. Doch der größte Teil der Welt denkt nicht in solchen Kategorien – und Pakistan schon gar nicht. Ich persönlich glaube nicht, dass Pakistan jemals ernsthaft in Erwägung gezogen hat, Riad oder irgendjemandem sonst einen nuklearen Schutzschirm zu bieten.
Könnte dieses Abkommen der embryonale Beginn einer „muslimischen NATO“ sein?
Das halte ich für übertrieben. Dies ist nicht der Beginn einer muslimischen NATO oder eines islamischen Äquivalents. Es handelt sich schlicht um ein bilaterales Abkommen, das eine seit Langem bestehende sicherheitspolitische Zusammenarbeit kodifiziert. Für Saudi-Arabien hat das Abkommen vielleicht vor allem symbolischen Wert. Es zeigt der Welt, dass Riad mehrere starke Sicherheitspartner hat und nicht von einem einzigen Verbündeten abhängig ist.
Manche sagen, das Abkommen solle Israel und die USA ausbalancieren. Bedeutet es für Pakistan den Eintritt in eine neue geopolitische Arena?
Aus pakistanischer Sicht geht es in diesem Abkommen nicht darum, jemanden auszubalancieren. Es geht darum, die enge Beziehung zu einem alten Partner zu bekräftigen. Pakistanische Soldaten haben seit Langem Seite an Seite mit ihren saudischen Kollegen trainiert und gedient.
Die eigentliche Bedeutung liegt in Südasien. Indien hat in den vergangenen zehn Jahren engere Beziehungen zu Saudi-Arabien aufgebaut, was Islamabad beunruhigte. Pakistan war historisch der traditionelle Golfpartner und ein einflussreiches Mitglied der Organisation für Islamische Zusammenarbeit. Das neue Abkommen hilft, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Indem erklärt wird, dass ein Angriff auf einen als Angriff auf beide gilt, sendet Pakistan eine Botschaft an Indien. Nach den jüngsten Scharmützeln will Islamabad Neu-Delhi wissen lassen, dass militärische Aggression gegen Pakistan schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen würde – nicht nur militärisch, sondern auch diplomatisch.
Wenn wir den Blick weiten: Welche Rolle kann Pakistan in einer entstehenden multipolaren Welt spielen?
Das ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit. Mittelmächte – Länder, die bedeutend sind, aber keine Supermächte – navigieren in einer Welt, die von der Rivalität zwischen den USA und China dominiert wird. Für sie besteht die größte Herausforderung darin, nicht gezwungen zu werden, sich einem Lager anzuschließen. Die Zukunft solcher Staaten liegt in der Multi-Alignment-Strategie. Das bedeutet, mit allen Großmächten – den USA, China, Europa und anderen – in Austausch zu treten, anstatt sich für eine Seite zu entscheiden. Pakistans aktuelle nationale Sicherheitsstrategie betont ausdrücklich, dass es „Lagerpolitik“ ablehnt. Ökonomisch ist Pakistan viel zu abhängig von mehreren Partnern, um sich Exklusivität leisten zu können. Handel und finanzielle Stabilität hängen von China, den USA und Europa gleichermaßen ab. Deshalb verfolgt Islamabad das Konzept einer „kooperativen Geo-Ökonomie“: Spannungen senken, gemeinsame Investitionen fördern und wirtschaftliche Interdependenz schaffen – und dabei die eigene Geografie als Knotenpunkt nutzen.
Die Beziehungen zu China bleiben dabei besonders eng und wurden durch Pekings starke Unterstützung im Konflikt mit Indien noch weiter gestärkt.
Die Beziehungen zu China bleiben dabei besonders eng und wurden durch Pekings starke Unterstützung im Konflikt mit Indien noch weiter gestärkt. Aber auch die Beziehungen zu Washington, die in der Vergangenheit belastet waren, verbessern sich wieder. Und nun signalisiert Pakistan mit diesem Golf-Abkommen, dass es seine Verbindungen in alle Richtungen pflegen und ausbauen will. Die Tragödie bleibt jedoch Pakistans schwierige Nachbarschaft: Afghanistan ist isoliert, Iran ist sanktioniert und die Beziehungen zu Indien sind eingefroren. Trotzdem sieht Pakistan Chancen, als Vermittler zu agieren: durch seine Geografie, durch Investitionsprojekte und sogar durch sicherheitspolitische Zusammenarbeit.
Und welche Rolle könnten Deutschland und Europa in Pakistans Außenpolitik spielen?
Europa hat eine echte Chance – wenn es bereit ist, zu handeln. In Zeiten der Instabilität können Akteure, die sich proaktiv anpassen, echten Einfluss gewinnen. Wer an der Vergangenheit festhält, riskiert dagegen, irrelevant zu werden. Europa könnte erheblich profitieren, indem es Freihandelsabkommen verfolgt, Investitionen ausbaut und Pakistan engagiert, ohne es zu zwingen, sich zwischen Europa und China zu entscheiden. Die Belt and Road-Initiative hat in Pakistan große Infrastruktur geschaffen – warum sollte Europa nicht ebenfalls davon profitieren? Tatsächlich könnten europäische und chinesische Unternehmen sogar in denselben Projekten zusammenarbeiten.
Der Schlüssel liegt darin, eine „Entweder-oder“-Logik zu vermeiden. Wenn Europa darauf besteht, Entscheidungen zu erzwingen, wird China für große Teile Asiens attraktiver bleiben. Europa muss zudem lernen, unterschiedliche Themen pragmatisch voneinander zu trennen. Sicherheitsbedenken gegenüber Russland und China sind real, aber sie sollten nicht jede wirtschaftliche Chance mit China überschatten. Andernfalls riskiert Europa, in Asiens Zukunft keine Rolle zu spielen.