Erstmals seit 88 Jahren besucht mit Barack Obama ein amtierender US-Präsident Kuba. Wie kam es zu dieser historischen Entscheidung?

Obama ist als Präsidentschaftskandidat mit dem Versprechen angetreten, das Gefängnis in Guantánamo zu schließen und einen neuen Kurs in der Kubapolitik einzuschlagen. Die in ihn gesetzten Hoffnungen wurden aber in der ersten Amtszeit enttäuscht, in der es bei einigen zaghaften Annährungsversuchen blieb. Erst ohne den Druck der Wiederwahl wurden in seiner zweiten Amtszeit geheime Verhandlungen aufgenommen, die in der Ankündigung einer Normalisierung der Beziehungen am 17. Dezember 2014 resultierten. Der Tag ist als „17-D“ mittlerweile in den Sprachgebrauch übergegangen. Es folgten die Streichung Kubas von der Liste der Schurkenstaaten, die Wiedereröffnung von Botschaften und die Wiederaufnahme des direkten Flugverkehrs. Auch wenn es Obama bislang nicht gelungen ist, die notwendige Mehrheit im US-Kongress von dem Strategiewechsel zu ueberzeugen, ist der Wandel in der Kubapolitik ein wichtiger Teil seines politischen Vermächtnisses. Sein Besuch in Havanna liefert die entsprechenden Fotos für die Geschichtsbücher.

Was hat sich seit der Annäherung mit den USA in Kuba verändert? Es heißt Obama sei in Kuba inzwischen populärer als Fidel oder Raúl Castro.

Seit dem sogenannten „17-D“ wird die Insel von Besuchern überrannt. Obwohl die USA ihren Bürgern weiterhin nur eingeschränkte Reisen nach Kuba erlauben, sind die Touristenzahlen auf einem Rekordhoch; Unternehmer- und Politikerdelegationen geben sich die Klinke in die Hand; Hotels und Pensionen sind langfristig ausgebucht; die Flughäfen operieren längst am Kapazitätslimit. Da wundert es nicht, dass AirBnB als erstes US-Unternehmen den kubanischen Markt im Nu erobert hat. Darüber hinaus übersetzt sich der Besucheransturm allerdings kaum in die dringend benötigten ausländischen Wirtschaftsinvestitionen. Dafür gibt es noch zu viele Hindernisse, wie beispielsweise das doppelte Währungssystem oder die Tatsache, dass ausländische Firmen kubanisches Personal nicht direkt unter Vertrag nehmen können. Der Reformprozess ist im letzten Jahr ins Stocken geraten, und auch wenn in Zukunft der Dollar für internationale Transaktionen mit Kuba genutzt werden darf, bleibt die Wirtschaftsblockade der USA das zentrale Handelshemmnis. Obama erfreut sich trotzdem großer Beliebtheit. Zu den Errungenschaften der kubanischen Revolution zählen die Erfolge im Kampf gegen den Rassismus, und für viele Kubaner hat Obama als erster schwarzer US-Präsident schon aufgrund seiner Hautfarbe eine grosse Identifikationswirkung. Man rechnet ihm hoch an, dass er die in seiner Macht liegenden Hebel in Bewegung gesetzt hat, um die ein halbes Jahrhundert währende Feindschaft zwischen den beiden Nachbarstaaten zu beenden. Allerdings weiß man auf der Insel auch, dass Obama mit seiner Kubapolitik nicht den politischen Mainstream der USA hinter sich hat und nach dem Ende seiner Amtszeit wieder ein ganz anderer Wind aus Washington wehen könnte.

Wie wirkt sich die Öffnung Kubas auf die deutschen Beziehungen zu dem Inselstaat aus?

Das Ende der Eiszeit zwischen Kuba und den USA hat auch die Verhandlungsprozesse mit Deutschland und der EU beflügelt, die aber schon vor dem 17-D begonnen hatten. Die Beziehungen haben sich durch den Besuch Frank-Walter Steinmeiers im Sommer 2015 deutlich verbessert. Anfang des Jahres war Sigmar Gabriel mit einer deutschen Unternehmerdelegation in Havanna, um Investitionsmöglichkeiten auszuloten. Die EU hat mit Kuba gerade ein historisches Abkommen unterzeichnet, das einen rechtlichen Rahmen für die zukünftige Wirtschaftskooperation und politische Beziehungen etabliert. Die europäischen Wohlfahrtsstaatsmodelle sind eine wichtige Referenz im kubanischen Reformprozess und für Kuba ist es von zentraler Bedeutung, sich im Zuge der Normalisierung mit den USA nicht wieder in eine ausschließliche ökonomische Abhängigkeit zum mächtigen Nachbarn im Norden zu begeben.

Die kubanische Regierung spricht den USA die Legitimität in Menschenrechtsfragen ab, solange in Guantánamo Häftlinge einsitzen, denen nie der Prozess gemacht wurde.

Dem US-Präsidenten wird von den Republikanern vorgeworfen, er würde die Menschenrechte in den Beziehungen zu Kuba hintanstellen. Wie ist das zu bewerten?

Der Annäherungsprozess hat einen Rahmen geschaffen, in dem erstmals überhaupt konstruktiv über Menschenrechte gesprochen wird. Die Differenzen sind allerdings groß. Die US-Regierung kritisiert die weiterhin gravierenden Beschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die kubanische Regierung spricht ihrerseits den USA die Legitimität in Menschenrechtsfragen ab, solange in Guantánamo Häftlinge einsitzen, denen nie der Prozess gemacht wurde. Das Weiße Haus bekräftigt immer wieder, dass mit dem Politikwechsel keine Abkehr vom Ziel eines Regimewechsels in Kuba verbunden ist. Obama hat dieses Ziel in die Hände der kubanischen Bevölkerung gelegt. Er setzt auf Umarmung statt Konfrontation und darauf, dass die menschlichen Begegnungen langfristig auch zu politischen Veränderungen führen werden. In diesem Sinne wendet er sich in seinen Ansprachen immer wieder direkt an die Kubaner und verspricht, deren Lebensbedingungen zu verbessern. Verhaftungen politischer Gegner am Rande des Präsidentenbesuchs sind ein gefundenes Fressen für seine politischen Kontrahenten zu Hause, dessen ist man sich auch in Havanna bewusst. Sollte es der kubanischen Regierung hingegen gelingen, die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die kubanische Revolution auch nach mehr als einem halben Jahrhundert von einer breiten Bevölkerungsmehrheit getragen wird, hätte sie Obama mit seinen eigenen Mitteln geschlagen.

 

Die Fragen stellte Hannes Alpen.