In dieser Woche stehen die Niederlande erneut unter politischem Druck. Die anhaltenden Konflikte innerhalb der Regierungskoalition führten bereits vor dem Sommer zum Zerfall der Regierung. Nun muss das Land am 29. Oktober erneut wählen. Seit den Wahlen von 2023 hat sich die politische Landschaft der Niederlande stark gewandelt. Die verschiedenen konservativen und rechten Parteien, die die Regierung Schoof stützten, verzeichnen deutliche Verluste: Von einst 88 von 150 Sitzen sind sie laut den aktuellen Umfragen auf zusammen nur noch 47 bis 52 Sitze abgestürzt. Dagegen erlebt der Christlich-Demokratischer Aufruf (CDA), die traditionelle Mitte-rechts-Partei des Landes, nach ihrem schwachen Abschneiden 2023 ein deutliches Comeback. Auch die sozialliberale Partei Demokraten 66 (D66) gewinnt an Zustimmung. Eine weitere rechtspopulistische Partei, JA21, legt ebenfalls zu.

Und die gemeinsame Liste von der grünen Partei GroenLinks und der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA)? Laut Umfragen liegt sie mit 22 bis 26 Sitzen fast exakt auf dem Niveau von 2023. Trotz der politischen Turbulenzen der letzten Jahre bewegt sich auf der linken Seite also kaum etwas. Was bedeutet das für die niederländische Linke? Das niederländische Mehrparteiensystem unterscheidet sich grundlegend von Zweiparteiensystemen, wie beispielsweise dem des Vereinigten Königreichs. Dort führt Unzufriedenheit mit einer Mitte-rechts-Regierung in der Regel zu einem Wechsel zur Mitte-Links-Opposition. In den Niederlanden hingegen können unzufriedene Wählerinnen und Wähler auf eine Vielzahl anderer Oppositionsparteien ausweichen – in diesem Fall auf Christdemokraten, Sozialliberale oder die Rechtspopulisten.

Die Wähler sind unzufrieden mit der Regierung, befürworten aber weiterhin eine restriktive Migrationspolitik, marktwirtschaftliche Lösungen und setzen auf Wirtschaftswachstum anstelle von Klimaschutz.

Diese Wählerinnen und Wähler bleiben in ihrem Werteverständnis weiterhin rechts: Sie sind unzufrieden mit der Regierung, befürworten aber weiterhin eine restriktive Migrationspolitik, marktwirtschaftliche Lösungen und setzen auf Wirtschaftswachstum anstelle von Klimaschutz. Die gemeinsame Liste von GroenLinks und PvdA hingegen steht klar links – wirtschaftspolitisch, migrationspolitisch und ökologisch. Sie fordert den Bau bezahlbarer Mietwohnungen, strikte Maßnahmen gegen die Umweltbelastung durch Viehzucht, höhere Einkommen für Lehr- und Pflegekräfte sowie eine humane Asylpolitik. Warum also sollten rechte Wähler zu einem solchen Programm wechseln?

Die Konflikte innerhalb der rechten Schoof-Regierung haben dafür gesorgt, dass Migration ein zentrales Thema bleibt. Die radikal rechte Freiheitspartei monopolisiert es. Für GroenLinks-PvdA, angeführt vom ehemaligen EU-Klimakommissar Frans Timmermans, steht das Thema Klima im Mittelpunkt – doch für die niederländische Bevölkerung hat es derzeit scheinbar keine Priorität. Auch beim Thema Wohnen hat die Linke ihre Glaubwürdigkeit verloren: Als die sozialdemokratische PvdA gemeinsam mit der rechtsliberalen VVD vor zehn Jahren regierte, wurde das Wohnungsministerium abgeschafft und die Sozialbaugesellschaften durch neue Steuern massiv belastet. Heute gelingt es der Rechten, Migranten für die Wohnungsknappheit verantwortlich zu machen.

Ein weiterer Grund für die Stagnation ist die Person des Spitzenkandidaten. Frans Timmermans galt nach seinem Erfolg bei der Europawahl 2019 als Hoffnungsträger der Linken und potenzieller Premierminister. Doch laut einer Umfrage des Instituts IPSOS I&O hält ihn zwar etwa die Hälfte der niederländischen Bevölkerung für einen guten internationalen Vertreter des Landes – allerdings empfindet ihn nur ein Drittel als sympathisch, volksnah oder vertrauenswürdig. Unter einem so polarisierenden Kandidaten erscheint eine Ausweitung der Wählerbasis für GroenLinks-PvdA daher unwahrscheinlich.

Die Wahlen von 2023 waren für die niederländische Linke die schlechtesten seit einem Jahrhundert. Selbst bei einer weiten Definition – inklusive GroenLinks-PvdA, D66 sowie weiterer kleinerer progressiver, proeuropäischer und ökologischer Parteien – kam die Linke nur auf 50 von 150 Sitzen. Zum Vergleich: im Jahr 2012 verfügte sie noch über eine Mehrheit im Parlament. Aktuelle Umfragen sehen das linke Lager bei 54 bis 59 Sitzen. Die Zugewinne gehen vor allem auf das Konto von D66, die mit einer nationalistischen Rhetorik und marktorientierten Positionen vier Sitze von den Mitte-rechts-Parteien aus der ehemaligen Koalition abwerben konnte. Die übrigen kleineren Parteien verharren bei knapp zwei bis drei Prozent der Stimmen.

Trotz der insgesamt schwachen Bilanz stehen die Chancen nicht schlecht, dass am Ende doch noch ein oder zwei linke Parteien in die nächste Regierung eintreten.

Das Paradoxe an der Situation: trotz der insgesamt schwachen Bilanz stehen die Chancen nicht schlecht, dass am Ende doch noch ein oder zwei linke Parteien in die nächste Regierung eintreten. Nach zwei Jahren voller Konflikte und demokratiefeindlicher Vorstöße haben die meisten Parteien die Zusammenarbeit mit der radikal rechten Freiheitspartei von Geert Wilders öffentlich ausgeschlossen. Selbst wenn diese laut Umfragen stärkste Kraft bleibt, dürfte sie kaum Teil der nächsten Regierung werden. Angesichts der starken Fragmentierung wird die Regierungsbildung jedoch schwierig. Zwei Koalitionsmodelle erscheinen derzeit am wahrscheinlichsten: Entweder eine Regierung aus Christdemokraten, D66 und VVD, eventuell ergänzt um weitere Parteien aus der Mitte und der Rechten. Oder eine Koalition aus Christdemokraten, D66 und GroenLinks-PvdA, möglicherweise erweitert um andere Parteien aus der linken Mitte.

Sollte die gemeinsame Liste von GroenLinks und PvdA die stärkste Regierungspartei werden, könnte Frans Timmermans tatsächlich doch noch Premierminister werden. Laut Umfragen läuft es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz hinter der Wilders-Partei PVV hinaus. Sowohl die Christdemokraten als auch die GroenLinks-PvdA-Liste haben eine 50-prozentige Chance, die zweitstärkste Kraft zu werden – und damit möglicherweise die führende Partei einer Koalition. Die niederländischen Wählerinnen und Wähler gelten als extrem volatil: Mehr als die Hälfte hat sich laut Umfragen noch nicht entschieden. In der letzten Wahlkampfwoche kann sich also noch viel ändern – und diese letzten Verschiebungen könnten entscheidend sein. Sicher ist nur eines: Die Richtung, in die das Land steuert, bleibt offen. Doch vieles spricht dafür, dass die nächste Regierung stärker zukunftsorientiert sein wird als die scheidende – was dringend notwendig ist.

Die großen Herausforderungen für die Niederlande sind der Mangel an Wohnraum sowie der unzureichende Schutz von Klima und Natur. Diese Probleme lassen sich nicht individuell lösen. Der Wohnungsmangel ist das Resultat einer Politik liberaler Regierungen, die auf eine Verkleinerung der Wohnungsbaugesellschaften abzielte – aber auch Folge eines mangelhaften Naturschutzes. Weil die Regierungen zu wenig unternommen haben, um die Natur vor Stickstoffverschmutzung zu schützen, blockieren Gerichte inzwischen den Start neuer Bauprojekte. Die Niederlande muss die Stickstoffemissionen reduzieren, indem sie die Zahl der Kühe in der Agrarindustrie verringert. Das würde zugleich den Ausstoß von Treibhausgasen senken. Das Ende der Stickstoffsperren, verbunden mit einer großen Investition in den sozialen Wohnungsbau, ist die zentrale Aufgabe für eine neue Regierung.