Das Verhältnis zwischen Aserbaidschan und Russland wandelt sich grundlegend – zwischen wachsenden Spannungen und strategischen Neujustierungen sowie mit geopolitisch weitreichenden Folgen für den Südkaukasus. Was mit isolierten Vorfällen begann, die von einigen Beobachtern noch als bürokratische Revierkämpfe oder lokal begrenzte kriminelle Machenschaften abgetan wurden, wächst sich mittlerweile zu einer größeren geopolitischen Entzweiung aus. Die Achse Baku–Moskau, die früher auf einem festen transaktional-pragmatischen Fundament ruhte, gerät ins Wanken. Die beiden Länder trauen sich nicht mehr über den Weg, driften strategisch auseinander, und der Ton wird schärfer.
Lange war Aserbaidschans Russlandpolitik von einem empfindlichen Gleichgewicht bestimmt – im Ton maßvoll und diplomatisch, aber in der Sache selbstbewusst und nötigenfalls aggressiv. Baku schließt sich zwar keinem Anti-Russland-Block an und verhängt keine Sanktionen, hat aber keine Scheu, in der bilateralen Beziehung sehr bestimmt aufzutreten. So unterstützt Aserbaidschan die Ukraine militärisch und hilft ihr beim Wiederaufbau ihrer beschädigten Infrastruktur, wobei es dies nur in Form bilateraler Zusammenarbeit und nicht im Rahmen von Missionen unter westlicher Führung tun kann. Diese Entwicklung vollzieht sich vor dem Hintergrund einer generellen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Russland.
Trotz wiederholter Avancen hat der Kreml es nicht geschafft, Baku in seine Pläne einer eurasischen Integration einzubinden.
Dass Aserbaidschan außenpolitisch eigenständig handelt und zu allen Akteuren gleichermaßen Distanz hält, ist für Moskau häufig frustrierend. Trotz wiederholter Avancen hat der Kreml es nicht geschafft, Baku in seine Pläne einer eurasischen Integration einzubinden. Eine große Chance verpasste Russland nach dem Karabach-Krieg von 2020, als es bemüht war, seine militärische Präsenz in der Region zu festigen. Stattdessen drängte Aserbaidschan 2024 auf den vorzeitigen Abzug der russischen Friedenstruppe aus Karabach, obwohl das Mandat erst ein ganzes Jahr später auslaufen sollte. Bakus breit diversifizierte Außenpolitik – zu deren Fundament die strategische Verbundenheit mit der Türkei und Pakistan, eine zunehmend intensive Partnerschaft mit Israel und der Ausbau der Beziehungen zu China gehören – macht sich zunehmend unabhängig von Moskau. Was die Politiker in Russland besonders beunruhigt, ist die Tatsache, dass die Türkei ihren Einfluss im Südkaukasus ausbaut – vor allem durch ihre Allianz mit Aserbaidschan. Verschärft werden die Sorgen in Moskau dadurch, dass Baku die Ukraine seit Beginn der russischen Invasion geräuschlos, aber konsequent unterstützt, indem sie ihr humanitäre und infrastrukturelle Hilfe leistet und sie mit medizinischen Gütern versorgt.
In der Vergangenheit wirkte das persönliche Verhältnis zwischen den Präsidenten Alijew und Putin als stabilisierender Faktor und trug dazu bei, auf institutioneller Ebene aufkommende Unstimmigkeiten einzudämmen. Das letzte direkte Gespräch zwischen den beiden fand jedoch dem Vernehmen nach im Januar 2025 statt – ein Indiz dafür, dass die direkte Kommunikation auf höchster Ebene signifikant nachlässt. Inzwischen sind in Bakus politischen Kreisen viele überzeugt, dass das Blatt sich wendet und Russland stärker auf Aserbaidschan angewiesen ist als umgekehrt. Moskau, das durch die Sanktionen des Westens isoliert und von wichtigen Märkten und Transitrouten abgeschnitten ist, ist mehr und mehr darauf angewiesen, dass es über südliche Routen den Zugang zur Türkei, zum Iran und zum Persischen Golf behält. In dieser geopolitischen Konstellation, die sich gerade herausbildet, ist und bleibt Aserbaidschan das zuverlässigste und strategisch entsprechend unverzichtbare Bindeglied.
Dass die Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Russland sich verschlechtern, wurde unübersehbar, als im Dezember 2024 ein aserbaidschanisches Verkehrsflugzeug von der russischen Luftabwehr abgeschossen wurde. Baku beantwortete den beispiellosen Vorfall mit einer diplomatischen Sofortreaktion und verlangte, dass Russland sich offiziell entschuldigt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht und Entschädigungen leistet. Durch seine vage und zögerliche Reaktion hat Moskau die Gräben noch vertieft. Dass Präsident Ilham Alijew der Parade an Russlands Tag des Sieges – für den Kreml ein Höhepunkt des diplomatischen Zeremoniells – demonstrativ fernblieb, machte das Ausmaß des Zerwürfnisses deutlich.
Eine weitere Eskalationsstufe war die Massenverhaftung ethnischer Aserbaidschaner in Jekaterinburg im Juni 2025, die viele in Baku als koordinierte Repressalie oder als gezielte Einschüchterungsmaßnahme werteten. Ob die Operation aus lokalen Machtkämpfen resultierte oder von höherer Moskauer Stelle abgesegnet war – politisch hatte sie weitreichende Folgen. Aserbaidschan reagierte energisch, setzte den Betrieb der russischen Medienagentur Sputnik aus, inhaftierte mehrere russische Staatsangehörige unter dem Vorwurf des Online-Betrugs und des Schmuggels und zog in den einheimischen Medien mit kriegerischer Rhetorik gegen den Kreml zu Felde.
Russlands Einfluss im Südkaukasus schwindet bereits seit dem Karabach-Krieg von 2020, durch den die Machtdynamik in der Region umgekrempelt wurde.
Russlands Einfluss im Südkaukasus schwindet bereits seit dem Karabach-Krieg von 2020, durch den die Machtdynamik in der Region umgekrempelt wurde. Aserbaidschans militärischer Sieg über das traditionell mit Russland verbündete Armenien macht offensichtlich, dass Moskaus Sicherheitsgarantien und Rüstungsexporte nur begrenzte Wirkung haben. Vor allem aber hatte der Krieg damals zur Folge, dass die Türkei dank ihrer engen Allianz mit Baku ihren strategischen Einfluss in der Region ausweiten konnte. Der Karabach-Krieg war auch der Auftakt zu einer regionalen Neuordnung. Armenien will sich strategisch neu ausrichten und hat Gespräche mit der Türkei und mit Aserbaidschan eingeleitet, um sein Verhältnis zu beiden Ländern zu normalisieren. Sinnbildlich für diese Veränderung, durch die Moskau an den Rand gedrängt wird, nachdem es jahrzehntelang die dominierende Kraft im Friedensprozess war, waren der historische Besuch des armenischen Premierministers Nikol Paschinjans in Ankara und das armenisch-aserbaidschanische Gipfeltreffen in Abu Dhabi. Zusätzlich geschwächt wird Russlands Einfluss inzwischen auch durch das diplomatische Engagement der USA in der Frage des Sangesur-Korridors.
Auch durch den Krieg in der Ukraine verschlechtern sich die russischen Einflussmöglichkeiten. Moskau ist militärisch und diplomatisch in Beschlag genommen und verfügt nicht mehr über die nötige breite Präsenz, um seine traditionell beherrschende Stellung im Südkaukasus zu behaupten. Da die Alternativrouten aufgrund der westlichen Sanktionen und der internationalen Isolierung versperrt sind, ist Russland für den Zugang zur Türkei, zum Iran und zum Persischen Golf logistisch und geopolitisch zunehmend von Aserbaidschan abhängig. Bei seinen Bemühungen, nach dem Krieg seinen Einfluss zurückzugewinnen, wurde Moskau eine Abfuhr erteilt. 2024 drängte Aserbaidschan mit Erfolg auf den vorzeitigen Abzug der russischen Truppen, deren Mandat offiziell erst ein Jahr später enden sollte. Derlei hatte es in der post-sowjetischen Politik noch nie gegeben. Dieser Schritt demonstriert Aserbaidschans wachsendes Selbstbewusstsein und zeigt, dass Russland immer weniger in der Lage ist, den Lauf der Dinge in seiner vermeintlichen Einflusssphäre zu diktieren.
Jahrzehntelang hat Russland die langwierigen Konflikte im Südkaukasus als Instrumente genutzt, um Einfluss auf die Staaten in der Region zu gewinnen. Diese Strategie ist mittlerweile weitgehend wirkungslos – besonders im Verhältnis zu Aserbaidschan und zunehmend im Verhältnis zu Armenien. Bakus militärische Siege, seine strategische Allianz mit Ankara und sein wachsendes globales Partnerschaftsnetz verändern die geopolitische Architektur in der Region grundlegend. Russland dagegen muss inzwischen erkennen, dass sein Einfluss schwindet, seine Soft Power aufgezehrt ist und seine traditionellen Mechanismen des Zwangs immer wirkungsloser werden. Auf armenischer Seite hat die Lösung der Karabach-Frage ein seit Langem bestehendes Hemmnis beseitigt und für Jerewan Spielräume eröffnet, um sich außenpolitisch neu aufzustellen, die russische Dominanz zurückzudrängen und neue strategische Weichenstellungen auszuloten.
Der Bruch zwischen Aserbaidschan und Russland ist keine isolierte bilaterale Meinungsverschiedenheit, sondern symptomatisch für den grundlegenden geopolitischen Wandel im südlichen Kaukasus. Ob diese Transformation eine stabile neue Ordnung hervorbringt oder zu weiterer Fragmentierung führt, wird davon abhängen, wie die regionalen und globalen Akteure sich auf die neuen Realitäten einstellen. Klar ist allerdings, dass Aserbaidschan nicht mehr aus einer Position der strategischen Vorsicht heraus handelt. Es ist vielmehr dabei, sich als selbstbewusster, unabhängiger Akteur durchzusetzen, der für die Region eine ganz andere Vision im Sinn hat als Moskau. Die geopolitischen Konsequenzen reichen weit über den Kaukasus hinaus – und werden möglicherweise prägend sein für eine neue Ära in der eurasischen Politik.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld




