Anfang Juli kamen bei der vierten internationalen Konferenz für Entwicklungsfinanzierung der Vereinten Nationen (FfD4) in Sevilla über 70 Staats- und Regierungschefs zusammen, um zu retten, was noch zu retten ist. In Zeiten, in denen sich jeder selbst am nächsten ist, sollten in einer gemeinsamen Großanstrengung Wege gefunden werden, die dringend benötigten Gelder für die Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele zu mobilisieren. Außentemperaturen von teilweise über 43 Grad Celsius machten die Beratungen nicht unbedingt leichter, veranschaulichten aber auf eindringliche Weise, wie der Klimawandel die Probleme weiter verschärfen wird. Zivilgesellschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten hatten Slogans wie „Polluters pay“, „Debt kills development“ oder „Tax the ultra rich“ auf Fächer drucken lassen, mit denen sich die Delegierten Luft zu wedelten.
Der Elefant im Raum war die Abwesenheit der USA, die zwei Wochen vorher ihren Ausstieg aus dem FfD-Prozess verkündet hatten. Erst der Rückzug der Großmacht machte eine konsensuale Annahme des Abschlussdokument „Compromiso de Sevilla“ durch die verbleibenden Mitgliedstaaten bereits im Vorfeld der Konferenz möglich. Die frühe Verabschiedung kam unerwartet. Bei den Vorgängerkonferenzen in Doha und Addis Abeba wurde bis zur letzten Minute verhandelt. Die Einigung wurde als wichtiges Lebenzeichen eines schon tot gesagten Multilateralismus gesehen, der zur Not auch ohne die USA weiter funktioniert. Immer wieder wurde die Wichtigkeit des Zusammenstehens in schwierigen Zeiten betont. Der „Compromiso“ macht seinem Namen indes alle Ehre. Er ist ein wahres Kompromissdokument, das den kleinsten gemeinsamen Nenner präsentiert. Zwar enthält es ein klares Bekenntnis zu gerechter und progressiver Besteuerung und Reformen der Schuldenarchitektur, bleibt in den Formulierungen aber vage. Konkret fehlt es an Operationalisierungsschritten, die den Erfolg in der Umsetzung messbar machen würden. Auch scheint es keinen Plan zu geben, wie die viel beschworene Mobilisierung privater Mittel tatsächlich mit den Zielen Nachhaltiger Entwicklung in Einklang gebracht werden sollen. Ähnlich wie schon beim Zukunftsgipfel im Vorjahr bestand der Erfolg vor allem im Nichtscheitern der Verhandlungen.
Handelskonflikte, sowie der Rückzug der USA aus der Entwicklungszusammenarbeit und insgesamt rückläufige Beiträge in den offiziellen Entwicklungsleistungen anderer Geberländer werden die Situation weiter verschärfen.
Dabei sollte FfD4 das dringend benötigte Momentum für die Entwicklungsfinanzierung schaffen und drängende Reformen der internationalen Finanzarchitektur auf den Weg bringen. Denn es braucht nicht viele Worte und Zahlen, um zu veranschaulichen, dass hier Grundsätzliches im Argen liegt. Geschätzte 4,2 Billionen US-Dollar fehlen jährlich zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele. Die internationale Staatsschuldenkrise und geringe Steuereinnahmen lassen Ländern des Globalen Südens kaum fiskalischen Handlungsspielraum, um in nachhaltige Entwicklung zu investieren. Handelskonflikte, sowie der Rückzug der USA aus der Entwicklungszusammenarbeit und insgesamt rückläufige Beiträge in den offiziellen Entwicklungsleistungen anderer Geberländer werden die Situation weiter verschärfen. 3,3 Milliarden Menschen leben weltweit in Ländern, die mehr für ihren Schuldendienst ausgeben, als für Bildung und Gesundheit, während das Vermögen der zehn reichsten Männer der Welt Schätzungen von Oxfam zufolge im Jahr 2024 pro Tag um 100 Millionen US-Dollar gewachsen ist.
Die internationale Finanzarchitektur ist von der Fortschreibung kolonialer Machtasymmetrien geprägt. In Deutschland wird gerne die Wichtigkeit von Partnerschaften auf Augenhöhe mit Ländern des Globalen Südens betont. Letztere hatten im Vorbereitungsprozess der FfD4-Konferenz ihre Prioritäten deutlich gemacht. Ein zentraler Punkt auf der Agenda waren die hohen Kosten, die für sie mit der Kapitalbeschaffung verbunden sind. Entwicklungs- und Schwellenländer sehen hierin einen ungerechten Wettbewerbsnachteil gegenüber dem Globalen Norden, da ihnen dadurch deutlich höhere Kosten beispielsweise bei Investitionen in Infrastruktur entstehen. Sie fordern deshalb eine Reform des Systems der Rating Agenturen, die die Risikobewertung mit den Zielen nachhaltiger Entwicklung in Einklang bringt – die Afrikanische Union hat hier mit der Entscheidung zum Aufbau einer afrikanischen Rating-Agentur Anfang des Jahres bereits konkrete Schritte unternommen. Eine weitere Forderung war die Reform der Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds, um Entwicklungs- und Schwellenländern in Krisenzeiten günstiges Kapital bereitstellen zu können, denn ist es wenig hilfreich, wenn diese vorrangig an reiche Länder wie Deutschland ausgeschüttet werden.
Die Reform der internationalen Finanzarchitektur steht auch im Rahmen der südafrikanischen G20-Präsidentschaft prominent auf der Agenda und wird ebenso Gegenstand der Klimaverhandlungen in Brasilien sein.
Ganz oben auf der Liste stand die Reform der Schuldenarchitektur. Die indische Ökonomin Jayati Gosh rief die Bundesregierung dazu auf, in der heutigen Schuldenrestrukturierung die gleichen großzügigen Bedingungen zu gewähren, die Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ermöglichten, wieder einen wirtschaftlichen Wachstumspfad zu beschreiten. Damals gab es einen umfassenden Schuldenerlass. Die Rückzahlung der verbleibenden Schulden wurde an die Erwirtschaftung von Überschüssen gekoppelt. Während die G7 Länder eine Reform des von den G20 geschaffenen „Gemeinsames Rahmenwerk für Schuldenrestrukturierung“ für ausreichend halten, fordern insbesondere afrikanische Länder die Schaffung eines inklusiveren Mechanismus unter dem Dach der Vereinten Nationen, in dem auch Schuldnerländer repräsentiert wären. Die Organisation für Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen hatte schon vor längerer Zeit die Schaffung einer entsprechenden „Globalen Schuldenbehörde“ vorgeschlagen. Für Enttäuschung sorgte deshalb, dass im „Compromiso“ nur von der Initiierung eines zwischenstaatlichen Prozesses bei den Vereinten Nationen die Rede ist, der Empfehlungen zur Verbesserung der Schuldenarchitektur und der Bewertungskriterien der Nachhaltigkeit erarbeiten soll. In zivilgesellschaftlichen Demonstrationen am Rande der Konferenz wurde der Ruf nach einer VN-Schuldenrahmenkonvention laut. In der Entwicklungsfinanzierung geht es um die gemeinsame Lösung globaler Herausforderungen, nicht um das Verteilen von Almosen. Im geringen Engagement der G7-Staaten in Hinblick auf die Schuldenkrise voranzukommen, sah Gosh einen Mangel an aufgeklärtem Eigeninteresse.
Wichtiger als der Inhalt des Abschlussdokuments werden die Schritte sein, die nach der Konferenz folgen. Der spanische Premierminister Pedro Sanchez betonte als Gastgeber, dass Sevilla nicht das Ende, sondern nur der Anfang des Prozesses sei. In der Folge von Sevilla wird sich zeigen, ob der Ruf nach einer Reform der internationalen Finanzarchitektur für den Globalen Norden ein Lippenbekenntnis bleibt oder im Zweifelsfall auch ohne die USA im Verbund mit Partnern im Globalen Süden wichtige Reformvorhaben weiter vorangetrieben werden. Auf der Grundlage des Abschlussdokuments des FfD4-Prozess wurden im Rahmen der Sevilla Platform for Action 130 konkrete Projektvorhaben lanciert. Unter anderem wurde von Brasilien, Spanien und Südafrika eine Koalition der Willigen für eine Besteuerung von Hochvermögenden initiiert. Weitere Vorhaben adressierten die Schuldenkrise, die Sanchez selbst als eine der größten Bedrohungen für Entwicklung beschrieb. Unter anderem wurde ein Club der Schuldnerländer gegründet, der Erfahrungsaustausch und gemeinsame Positionierung verschuldeter Länder ermöglichen soll. Eine Allianz will die Aussetzung des Schuldendienstes in durch Klimawandel oder Gesundheitskrisen ausgelösten Notsituationen vorantreiben. Die Reform der internationalen Finanzarchitektur steht auch im Rahmen der südafrikanischen G20-Präsidentschaft prominent auf der Agenda und wird ebenso Gegenstand der Klimaverhandlungen in Brasilien sein. Hier wird sich zeigen, inwiefern das Sevilla-Momentum trägt. „Turn Debt into Hope“, also „Schulden in Hoffnung verwandeln“ – dies war einer der zivilgesellschaftlichen Slogans der Konferenz, und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.