Die internationale Politik befindet sich in einem tiefgreifenden und beschleunigten Wandel. China und Russland rücken enger zusammen und formieren sich gemeinsam mit dem Iran und Nordkorea zu einer „Achse des Umbruchs“, mit dem Ziel, einer aus ihrer Sicht westlich-dominierten Weltordnung entgegenzutreten. Auch die heutige US-Regierung begann ihre Amtszeit mit einer Art Umbruch: Sie veränderte zentrale politische Leitlinien, ordnete Partnerschaften neu und revidierte Vereinbarungen – auch solche mit ihren ältesten Verbündeten und engsten Handelspartnern in Europa. In den Vereinigten Staaten und anderswo steht das Konzept der aktuellen internationalen Ordnung als solches in der Kritik – und es mehren sich die Stimmen derer, die anscheinend weniger daran interessiert sind, die Kernbestandteile dieser Ordnung zu bewahren, als daran, ihre Schwachpunkte in den Vordergrund zu rücken.
Trotz wachsender Zweifel und vager, teils widersprüchlicher Vorstellungen darüber, was die internationale Ordnung im Kern ausmacht, profitieren die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten seit Jahrzehnten von ihren fünf tragenden Säulen: Die territoriale Ordnung schützt die nationale Souveränität und soll Eroberungskriege verhindern; die globale Handelsordnung reguliert ein offenes internationales Handelssystem, das Wohlstand ermöglicht; die Finanzordnung erleichtert die internationale Handels- und Investitionstätigkeit, fördert die Währungsstabilität und dient der Krisenprävention; die Nichtverbreitungsordnung zielt darauf ab, die Weiterverbreitung von Atomwaffen einzudämmen; und die Menschenrechtsordnung soll die Grundfreiheiten und Grundrechte des Einzelnen weltweit schützen. Jede Säule steht für Prinzipien, die es zu bewahren und zu verteidigen gilt – auch wenn sich konkrete Regeln und Institutionen verändern und weiterentwickeln.
Russland, China und andere Staaten reiben sich jedoch an einer Weltordnung, die aus ihrer Sicht weder ihre angestammten Einflusssphären noch die Legitimität ihrer autokratischen Systeme und auch nicht ihren Großmachtstatus anerkennt. Entschlossen arbeiten sie daran, Alternativen zu entwickeln. Die langfristige Konkurrenz zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten auf der einen Seite und einer revisionistischen „Achse des Umbruchs“ auf der anderen Seite dürfte sich damit zunehmend zu einem Wettstreit um die künftige Ausgestaltung der internationalen Ordnung entwickeln.
In diesem globalen Wettstreit werden sechs Staaten – die sogenannten globalen Swing States – eine Schlüsselrolle spielen: Brasilien, Indien, Indonesien, Saudi-Arabien, Südafrika und die Türkei. So unterschiedlich sie in vielerlei Hinsicht auch sein mögen, eint sie eine multilaterale Ausrichtung und das Bestreben, enge Beziehungen sowohl zum Westen als auch zu Russland und China zu pflegen. Ihre Entscheidungen haben globale Auswirkungen. Alle drängen auf eine Reform der bestehenden Regeln und Institutionen – und gemeinsam verfügen die sechs Länder über das geopolitische Gewicht, um die künftige Gestaltung der Weltordnung maßgeblich mitzubestimmen.
Indien versteht sich als aufstrebende Großmacht.
Brasilien ist mit der Hälfte der Bevölkerung Südamerikas und dem größten Bruttoinlandsprodukt der Region die führende Macht des Kontinents. Als gefestigte Demokratie spielt das Land sowohl in der G20 als auch innerhalb der BRICS-Gruppe eine führende Rolle und macht sich immer wieder für eine Reform der internationalen Ordnung stark. In Fragen von Demokratie und Menschenrechten teilt Brasilien traditionell die Werte der Vereinigten Staaten, aber zugleich pflegt das Land enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland und China.
Indien versteht sich als aufstrebende Großmacht. Um dieses Ziel zu erreichen, bewahrt es sich seine Blockfreiheit, unterhält enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und will gleichzeitig an der militärischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland festhalten. Indien ist Mitglied der BRICS-Gruppe und – nach China – die zweitgrößte aufstrebende Volkswirtschaft innerhalb der G20. Es gehört der Quad-Initiative an – einem informellen Verbund mit Australien, Japan und den Vereinigten Staaten, der ein Gegengewicht zu China bilden soll. Indien hatte den Vorsitz des jüngsten G20-Gipfels inne und engagiert sich aktiv in neuen Wirtschaftspartnerschaften wie der I2U2-Initiative.
Indonesien gehört zu den Gründungsstaaten der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN) und zählte auch zu den ersten Mitgliedern der Blockfreien Bewegung. In den vergangenen Jahren fühlt sich das Land zunehmend wohl mit dem Gedanken, eine Vermittlerfunktion zwischen Groß- und Mittelmächten zu übernehmen. 2023 gründete es gemeinsam mit den anderen Mittelmächten der G20 – Mexiko, Südkorea, Türkei und Australien – eine Brückeninitiative. Im Januar 2025 trat Indonesien der BRICS-Gruppe bei. Es beteiligt sich an der von China initiierten Regionalen Umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) und bewegt sich in Handels- und Investitionsfragen damit auf China zu, während es sich sicherheitspolitisch vorrangig auf die USA stützt.
Saudi-Arabien entwickelt sich zu einer wichtigen Mittelmacht, die in der Lage ist, an der Ausgestaltung einer sich wandelnden Weltordnung mitzuwirken – nicht zuletzt als zentraler Akteur auf den globalen Ölmärkten. Das Königreich betreibt eine ambitionierte Diversifizierung seiner Wirtschaft – insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Tourismus und Technologie – und intensiviert parallel seine Beziehungen zu den Großmächten. Riad hat zwar 2022 einen umfassenden strategischen Partnerschaftsvertrag mit China unterzeichnet und verhält sich in Russlands Krieg gegen die Ukraine neutral, bleibt aber sicherheitspolitisch von Washington abhängig: Rund 80 Prozent seiner Rüstungsgüter bezieht es von den Vereinigten Staaten.
Die politischen Entscheidungsträger im Westen sollten außenpolitisch andere Töne anschlagen.
Südafrika ist ein dominanter Akteur auf dem afrikanischen Kontinent und hat das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf aller großen afrikanischen Länder. Zugleich tritt es zunehmend als globaler Akteur in Erscheinung – als einziger afrikanischer Staat, der (neben der Afrikanischen Union) Mitglied der G20 ist, als Land mit Ambitionen auf eine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und als engagiertes Mitglied der BRICS-Staaten. Die südafrikanische Führung versteht China und Russland ebenso wie den Westen als Partner auf dem Weg zu einer Weltordnung, in der die Macht gerechter verteilt und der Globale Süden stärker eingebunden wird.
Nachdem die Türkei sich jahrzehntelang – im Kalten Krieg und später – eng mit Europa und den Vereinigten Staaten abgestimmt hat, nimmt sie heute eine entschieden multilateral ausgerichtete Position an der Schnittstelle zwischen dem Nahen Osten, dem Westen und Eurasien ein. Zu ihren institutionellen Mitgliedschaften zählen die G20, die NATO und die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC). Ankara hat sich in mancherlei Hinsicht als schwieriger NATO-Partner erwiesen und sucht nun wirtschaftliche, militärische und diplomatische Unterstützung beim Kreml. Mit seinem Antrag auf Mitgliedschaft in der BRICS-Gruppe unterstrich Ankara Ende 2024 seinen Anspruch, eine ausgleichende Rolle zwischen dem Westen und einer aufstrebenden Staatengruppe zu spielen, die gegen die bestehende Weltordnung ist und zu der unter anderem Russland und China gehören.
Jeder dieser sechs globalen Swing States wird auch künftig die Zusammenarbeit mit allen Großmächten suchen. Keiner dieser Staaten stellt sich vollständig auf die Seite des Westens – doch ebenso wenig gegen ihn. Angesichts der erheblichen geopolitischen Bedeutung dieser Länder sollten Washington und seine Verbündeten eine Politik verfolgen, die diese Länder erstens ermutigt und befähigt, zentrale Säulen der Weltordnung zu stärken, die zweitens verhindert, dass rivalisierende Staaten wie Russland oder China in Bereichen wie Militärpräsenz, Sicherheitskooperation, technologische Infrastruktur oder diplomatische Abstimmung im Vorteil sind, und die drittens den Bedürfnissen der Swing States zu ihren eigenen Konditionen die nötige Beachtung und Unterstützung zuteilwerden lässt – im Gegenzug für politische Maßnahmen und Programme, die die bestehende internationale Ordnung stützen.
Diese Empfehlungen sind alles andere als vollständig, aber es sollten doch einige zentrale politische Schritte aus ihnen abgeleitet werden. Die politischen Entscheidungsträger im Westen sollten außenpolitisch andere Töne anschlagen und die Handlungsmacht der Swing States jenseits des geopolitischen Wettbewerbs der Großmächte anerkennen. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sind gefordert, ihre Hard Power zu stärken, um unter den maßgeblichen Staaten ein Gefühl von Legitimität und ein insgesamt ausgewogenes globales Kräfteverhältnis zu wahren. Insbesondere Washington muss zudem seine Soft Power zurückgewinnen. Zugleich gilt es, den Reformbedarf des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen offen anzuerkennen und sich perspektivisch für dessen Erweiterung auszusprechen. Schließlich sollten minilaterale Gruppierungen unter Einbindung der globalen Swing States geschaffen werden.
Wichtiger als jedes einzelne politische Konzept ist jedoch, dass der konkrete Nutzen gewürdigt wird, den die tragenden Säulen der internationalen Ordnung weiten Teilen der Welt bringen. Keine dieser Säulen entfaltet ihre Wirkung aus sich selbst heraus – und alle Säulen sind bedroht. Auch wenn aktuell am Nutzen der Säulen gezweifelt wird, müssen Washington und seine Verbündeten aktiv an ihrer Stärkung mitwirken. Dieses Bemühen erfordert klare Prioritäten. Ein konzentrierter Blick auf die sechs globalen Swing States zeigt, in welche Richtung die Reise gehen muss.
Aus dem Englischen von Christine Hardung
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Fassung des Artikels „Global Swing States and the New Great Power Competition“, der beim Center for a New American Security erschienen ist.