Mitte Oktober stellte Donald Trump mit großem Pomp seinen „Friedensplan“ vor. Doch selbst dessen erste Stufe, der „Waffenstillstand“ im Gazakonflikt, verdient diesen Namen kaum. Bei nahezu täglichen israelischen Angriffen wurden bereits über 260 Palästinenser getötet, viele davon an der „gelben Linie“, mit der die israelische Armee ihre Besatzungszone markiert hat. Zwar sind das deutlich weniger Opfer als zuvor, doch vorbei sind die Angriffe nicht. Die nun beschlossene UN-Sicherheitsrats-Resolution 2803 soll zur Stabilisierung beitragen, liefert jedoch ebenso wenig Antworten auf zentrale Fragen wie Trumps Plan. Zudem drohen die faktische Aufteilung Gazas und neu geschaffene Parallelstrukturen in eine gefährliche Sackgasse zu führen.

Über eine Million Menschen, die meisten von ihnen Kinder, sind in Gaza weiterhin schutz- und obdachlos und müssen in Behelfsunterkünften zwischen den Trümmern leben. Was passieren wird, wenn nun im beginnenden Winter starke Regenfälle und Stürme einsetzen, ist bereits jetzt zu sehen: Zelte und provisorische Konstruktionen wurden kürzlich überschwemmt, die wenigen Gegenstände, die manche bei der Flucht noch retten konnten, gingen verloren. Die geschwächte Bevölkerung leidet unter Kälte und Krankheiten.

Besonders gravierend ist, dass die nach dem Waffenstillstand zugesagte humanitäre Hilfe bis heute nur unzureichend geleistet wurde. Gaza bleibt weiterhin weitgehend abgeriegelt: Lebensmittel gelangen nur in unzureichendem Umfang hinein, Baumaterialien und medizinische Güter nahezu gar nicht. Auch nach dem Waffenstillstand verbietet Israel internationalen Menschenrechtsorganisationen und ausländischen Journalisten den Zugang zu Gaza. Ein Vorgang, für den es keine Rechtfertigung gibt. Der Hintergrund liegt auf der Hand: die Sorge, weitere mutmaßliche israelische Kriegsverbrechen könnten aufgeklärt werden. Vorsorglich bezeichnete eine israelische Sprecherin eine künftig eventuell mögliche Berichterstattung bereits im Vorfeld als „Propaganda“.

Nun sollen die USA mit dem im Süden Israels gelegenen, neu gegründeten Civil Military Coordination Center (CMCC) eine stärkere Führungsrolle vor Ort übernehmen. Das Zentrum soll den Waffenstillstand überwachen, Hilfe koordinieren und den weiteren Prozess der Stabilisierung begleiten. Neben US- und israelischen Kräften sind dort zahlreiche weitere Staaten vertreten; auch Deutschland schickt drei hochrangige Offiziere sowie Vertreter aus dem Auswärtigen Amt. Palästinensische Repräsentanten haben dagegen keinen Zugang. Eine palästinensische Selbstbestimmung steht ebenso wenig auf der Tagesordnung wie Gerechtigkeit, die Aufklärung von Kriegsverbrechen oder irgendeine Form internationaler Gerichtsbarkeit.

Mit der umfangreichen zivil-militärischen Zusammenarbeit holen die USA ein Entwicklungsmodell aus der Mottenkiste, das bereits in Afghanistan und im Irak krachend gescheitert ist.

Mit der umfangreichen zivil-militärischen Zusammenarbeit holen die USA ein Entwicklungsmodell aus der Mottenkiste, das bereits in Afghanistan und im Irak krachend gescheitert ist. Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, auch ohne dieses Konstrukt eine Öffnung des Gazastreifens und den dringend benötigten, uneingeschränkten Zugang für alle UN-Organisationen zu erreichen. Dafür wäre freilich Druck auf die israelische Regierung nötig gewesen, welche die Vereinten Nationen zum Feind erklärt hat und insbesondere das Palästina-Hilfswerk UNRWA mit Verboten und einer beispiellosen Verleumdungskampagne überzogen hat.

Währenddessen bestätigte ein jüngstes Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) nicht nur, wie zentral die UNRWA für die Versorgung der Menschen in Gaza ist. Es stellte auch klar heraus, dass für die weitreichenden Vorwürfe gegen die Organisation keine Belege existieren. Doch die eindeutige Stellungnahme des IGH hat jene, die die UN-Organisation mit falschen Anschuldigungen verleumdet haben – so wie Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien, vor allem aus der CDU, die sogar die Auflösung des Hilfswerks forderten – nicht dazu bewegt, sich zu entschuldigen oder ihre Meinung zu ändern. Im Gegenteil: Die Bundesregierung enthielt sich offenbar auch auf deren Druck hin erstmals bei einer Abstimmung über die Verlängerung des UNRWA-Mandats. Das ist ein verheerendes außenpolitisches Signal, zumal in einem Moment, in dem das Palästina-Hilfswerk dringender gebraucht wird denn je.

Auch die nun auf Druck der USA im UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 2803 ignoriert die UNRWA und weist den Vereinten Nationen höchstens eine Nebenrolle zu. Stattdessen werden die vagen Prozesse und intransparenten Institutionen des „Trump-Plans“ faktisch bestätigt. Selten hat der Sicherheitsrat eine Resolution beschlossen, die handwerklich derart schwach ist und zugleich die Rolle der Vereinten Nationen so massiv marginalisiert. Mitgetragen wurde sie von der Mehrheit der Mitglieder, bei Enthaltung Russlands und Chinas, wohl einerseits aufgrund des massiven Drucks der USA und andererseits aus Sorge, sonst selbst in die Verantwortung genommen zu werden. Denn der „Trump-Plan“ ist derzeit das einzige Konzept, auf das sich die internationale Gemeinschaft überhaupt bezieht.

Abgesehen vom üblichen Verweis auf frühere Resolutionen – darunter theoretisch auch Resolution 242 von 1967, die den Abzug Israels aus den besetzten Gebieten fordert – sucht man in Resolution 2803 vergeblich nach Bezügen zum Völkerrecht oder zu internationalen Institutionen. Gleich zu Beginn begrüßt die Resolution stattdessen Trumps blumige „historische Erklärung“ über „anhaltenden Frieden und Wohlstand“ in Gaza und im Nahen Osten. Die Aussicht auf einen palästinensischen Staat wird dagegen ans Ende geschoben. Wenn die Palästinensische Autonomiebehörde „Reformen gewissenhaft ausgeführt hat und der Wiederaufbau Gazas fortgeschritten ist, könnten endlich die Voraussetzungen erfüllt sein für einen glaubhaften Weg zu palästinensischer Selbstbestimmung und Staatlichkeit“, lautet der zentrale Satz im Konjunktiv.

Auch die palästinensische Autorität wird auf diese Weise massiv geschwächt – und das zu einem Zeitpunkt, an dem Israels Sicherheitsminister Ben-Gvir öffentlich die Ermordung palästinensischer Minister und die Inhaftierung von Präsident Abbas fordert, sollte die Idee eines palästinensischen Staates vorangetrieben werden. Das ist zwar die extremste Position, doch auch Netanjahu und viele andere israelische Politiker hetzen gegen die Palästinensische Autonomiebehörde und schließen einen palästinensischen Staat kategorisch aus.

Die USA haben im Rahmen des „Trump-Plans“ Parallelstrukturen geschaffen, die nun von der internationalen Gemeinschaft abgesegnet wurden.

Die USA haben im Rahmen des „Trump-Plans“ Parallelstrukturen geschaffen, die nun von der internationalen Gemeinschaft abgesegnet wurden: das CMCC, das Board of Peace und eine künftig eingesetzte Technokraten-Regierung für Gaza. Der „Trump-Plan“ hat außerdem eine Teilung Gazas etabliert, die nun dauerhaft zu werden droht. Israel hat sich nach dem Krieg nicht aus dem gesamten Gazastreifen zurückgezogen, sondern hält einen breiten Streifen im Osten und im Süden besetzt – insgesamt 53 Prozent und damit den größeren Teil. Die überwiegende Mehrheit der intern vertriebenen Bevölkerung Gazas lebt dagegen im anderen, kleineren Teil des Gazastreifens.

Ironiefrei sprechen US-Beamte bereits von einer „grünen Zone“ – über Jahre bezeichnete dieser Begriff den halbwegs sicheren Teil von Bagdad, in dem sich die US-Botschaft befand, während im Rest der Stadt Anschläge und Gewalt zum Alltag gehörten. Die „rote Zone“, in der die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung lebt, bleibt dagegen unter Kontrolle der Hamas. Weder der „Trump-Plan“ noch die Sicherheitsrats-Resolution 2803 bieten eine Antwort darauf, wie dieses Dilemma gelöst werden kann.

Im besetzten Teil, der „grünen Zone“, hat die israelische Armee bereits mehr als 1 500 Gebäude zerstört. Zudem wurden Gärten, Obstplantagen und landwirtschaftliche Flächen vernichtet. Auch im Umfeld von Gaza-Stadt kam es zu groß angelegten Zerstörungen, die sich kaum mit einem „Waffenstillstand“ vereinbaren lassen. Nun kann dort Schutt abgetragen und neu aufgebaut werden. Allerdings geht dieser Wiederaufbau völlig an den Bedürfnissen der Palästinenserinnen und Palästinenser vorbei und dürfte stattdessen von den Investmentinteressen der USA und ihrer Partner am Golf geprägt sein. Die große Mehrheit der Bevölkerung sitzt derweil als Binnenvertriebene weiterhin in der völlig zerstörten „roten Zone“ fest, in der ein Wiederaufbau nicht möglich ist.

Dass die Bundesregierung angesichts der anhaltenden Angriffe, der unzureichenden israelischen Kooperation bei Hilfslieferungen und der eskalierenden Gewalt in der Westbank die Wiederaufnahme von Rüstungsexporten ohne Ausnahmen beschlossen hat, ist besorgniserregend und kontraproduktiv. Statt nun alle Anstrengungen in die vagen, teils undemokratischen und intransparenten Parallelstrukturen des „Trump-Plans“ zu investieren, müsste die deutsche und europäische Außenpolitik gegenüber den USA auf konkrete Schritte zur Verbesserung der Lage vor Ort drängen: unbeschränkten Zugang für Hilfsorganisationen und UN-Organisationen wie die UNRWA, für Journalisten sowie für Diplomaten; ungehinderte Einfuhr von Hilfsgütern; die Aufklärung von Kriegsverbrechen; Bewegungsfreiheit für Menschen aus Gaza, die für medizinische Versorgung oder aus anderen Gründen ausreisen müssen, sowie die verbindliche Zusicherung, dass sie nach Gaza zurückkehren können.

Mit ihrer Enthaltung zum UNRWA-Mandat hat die Bundesregierung die Handlungsfähigkeit der Organisation weiter geschwächt, statt sie mit Nachdruck zu stärken. Wenn es kein grundlegendes Bekenntnis zur territorialen Integrität des Gazastreifens als festen Bestandteil der palästinensischen Gebiete gibt und stattdessen die Teilung des Territoriums zum Dauerzustand wird, wird damit nicht nur ein zukünftiger palästinensischer Staat unmöglich. Es ist dann auch nur eine Frage der Zeit, bis vor Ort neue Konflikte und Gewalt ausbrechen.