Als die Knesset am 23. Juli 2025 in einer symbolischen Resolution Israels „Anrecht“ auf Judäa und Samaria (so bezeichnen die israelischen Behörden das besetzte Westjordanland) bekräftigte, war die Annexion bereits im Gange, verwirklicht mithilfe eines geräuschlosen Umbaus des Verwaltungsapparats. Inzwischen haben sich die Entwicklungen weiter zugespitzt: Finanzminister und eine Führungsfigur der Siedlerbewegung Bezalel Smotrich bringt die Zivilverwaltung – die israelische Behörde, die das zivile Leben im Westjordanland verwaltet und früher zumindest nominell auf der Grundlage des Militärrechts agierte – immer stärker unter seine Kontrolle. Diese Behörde, die reformiert und jetzt der israelischen Zivilverwaltung unterstellt wurde, treibt aktiv die Erteilung von Planungsgenehmigungen für den Siedlungsbau voran.

Ein deutliches Zeichen für die Beseitigung der inneren Leitplanken setzte Israel in diesem Monat mit der Entlassung von Tomer Carmi, der lange als ranghoher Beamter über die Grundbucheintragungen in der Zone C wachte, die 60 Prozent des Westjordanlandes ausmacht und seit dem Osloer Abkommen vollständig von Israel kontrolliert wird. Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten mit Smotrichs Verbündeten über die Genehmigung von umstrittenen Grundstücksgeschäften für den weiteren Ausbau der Siedlungen. Carmis Rauswurf zeigt deutlich, dass die Besatzungsmacht sogar ihren Verwaltungsapparat umbaut, um die Annexion zu beschleunigen.

Die am 23. Juli in der Knesset verabschiedete Resolution, aus der Netanjahu zuletzt in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung zitierte, wurde im In- und Ausland als „Beginn der Annexion“ des Westjordanlandes dargestellt. In Wahrheit verhält es sich ganz anders: Die Resolution ist keineswegs der Anfang. Sie ist eine Nebelkerze, die verschleiern soll, dass die Annexion bereits längst stattfindet – nicht mit dramatischen Verfassungsänderungen, sondern durch geräuschloses, konsequentes und triviales gewöhnliches Verwaltungshandeln.

Herzstück der Verschleierungstaktik ist die Behauptung, für den Vollzug einer Annexion bräuchte es eine formelle Erklärung. Dieser irreführende Gedanke verschafft zum einen der rechten Regierung die Möglichkeit, im Westjordanland als Souverän zu agieren, ohne international dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, dass sie das zum Grundbestand des Völkerrechts gehörende Annexionsverbot verletzt. Zum anderen verschafft dieser Gedanke der Opposition die Möglichkeit, nur rein rhetorisch gegen die Annexion zu „opponieren“ oder aber – je nachdem, wen man fragt – sich darüber zu beklagen, dass die Koalition die Annexion nicht voranbringt.

Die öffentliche Diskussion in Israel und auch die Politiker des rechten Lagers und der linken Mitte gehen von der Grundannahme aus, eine Annexion müsste durch einen gesetzgeberischen Akt oder eine öffentliche Erklärung offiziell verkündet werden, indem der Status der betreffenden Gebiete verändert wird. Diese Vorstellung machen sich allem Anschein auch andere Länder zu eigen. Das zeigte sich kürzlich an den Warnungen, mit denen arabische Staaten Israel von einer Annexion des Westjordanlandes abhalten wollten. Diese Annahme ist aber juristisch falsch. In Wahrheit braucht es für die Annexion von Gebieten weder eine Erklärung noch einen Rechtsakt.

In Wahrheit braucht es für die Annexion von Gebieten weder eine Erklärung noch einen Rechtsakt.

In einem wissenschaftlichen Artikel im Oxford Journal of Legal Studies haben wir dargelegt: Um festzustellen, dass gerade eine Annexion stattfindet, genügt ein Blick auf den normativen Organisationsrahmen, mit dem der Staat das betreffende Gebiet verwaltet – auf die Organisationsstrukturen und den Verwaltungsapparat des Staates und die symbolische Ausübung von Macht. Formelle Erklärungen oder Rechtsakte sind dafür nicht erforderlich.

Auch der Internationale Gerichtshof (IGH) stellte sich in einem Gutachten vom Juli 2024 auf den Standpunkt, dass Annexionen nicht offiziell erklärt müssen. Er stellte fest, dass Israel zumindest Teile der Zone C bereits annektiert hat. Mit anderen Worten: Auch eine Annexion, die nicht verkündet, sondern durch Verwaltungshandeln vollzogen wird, ist eine Annexion. Es gibt wohlgemerkt keine Kriterien, die dafür erfüllt sein müssen. Nicht zuvor angekündigte Annexionen sind keine bloßen „De-facto-Annexionen“, die sich von offiziell verkündeten „De-jure-Annexionen“ unterscheiden würden. Die Nutznießer solcher Verschleierungsmanöver sind jene Staaten, die in aller Stille und ohne Aufhebens die Norm verletzen. Die Bedeutung des Begriffs „Annexion“ ist klar und hängt nicht davon ab, ob irgendetwas verkündet wird. Wichtig ist, abgesehen davon, dass Annexionen völkerrechtlich streng verboten sind und nie als gültig anerkannt werden.

Durch das Handeln seiner Regierung in den vergangenen zwei Jahren hat Israel die Annexion von Gebieten bereits vollzogen, ohne sie offiziell verkündet oder durch Rechtsakte herbeigeführt zu haben. Geschehen ist das, indem Israel die Befugnisse der in den Gebieten tätigen Staatsorgane massiv ausgeweitet, die Kontrolle dieser Organe strukturell und methodisch neu gestaltet hat und die Haushaltsmittel so zuweist, dass das Westjordanland rechtlich in den Staat Israel integriert wird – und zwar so tiefgehend, dass es nicht mehr von Israel zu unterscheiden ist.

Den Militärapparat, der das Westjordanland in den vergangenen Jahrzehnten verwaltete und der sich selbst als Völkerrechtssubjekt verstand, gibt es nicht mehr. Bis vor zwei Jahren galt das Westjordanland als vom Militär regiertes Gebiet; heute wird es von zivilen israelischen Ministerien regiert. Die Zivilverwaltung untersteht inzwischen Bezalel Smotrich, der auch stellvertretender Verteidigungsminister ist. Zivile Ministerien wie die Ressorts für Verkehr, Bildung und Landwirtschaft nutzen das Militär mittlerweile nur noch als Subunternehmer für Vorhaben, die dazu dienen sollen, Zone C und sogar Teile von Zone B unter israelische Kontrolle zu bringen.

Parallel werden neue Amtsträger ernannt, um die Annexion intensiver und schneller voranzutreiben – unter anderem ein stellvertretender Leiter der Zivilverwaltung, der die Interessen der Siedlerbewegung vertritt und nicht dem Militär unterstellt ist, sondern dem Minister, der ihn ernannt hat. Dem unabhängigen Justiziar der Militärverwaltung wurde die Zuständigkeit für viele Bereiche entzogen, die in eine neu geschaffene und dem politischen Apparat untergeordnete Rechtsabteilung im Verteidigungsministerium verlagert werden. Durch Zerschlagen der Befehlskette hat Smotrich bereits einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Annexion vollzogen: Er hat die Befehlsgewalt des Militärs über zivile Angelegenheiten in den Gebieten Chef des Zentralkommandos der israelischen Streitkräfte – er ist der Militärbefehlshaber im Westjordanland – an eine israelische Zivilbehörde übertragen.

Diese Annexion findet nicht auf den Titelseiten der Zeitungen statt, sondern im Stillen.

Diese Annexion findet nicht auf den Titelseiten der Zeitungen statt, sondern im Stillen: Verwaltungsdokumente werden auf eine bestimmte Weise formuliert, Haushaltsposten umgewidmet, Planungsgrundsätze verändert, Genehmigungsverfahren beschleunigt, die Befugnisse für die Verwaltung von Grund und Boden verlagert; die Infrastruktur für die Siedlungen wird weiter ausgebaut, und die Siedlungen werden rechtlich in den Staat Israel integriert. In diesen Maßnahmen manifestiert sich, dass Israel in den Gebieten als Souverän agiert.

All das macht deutlich, dass die im Juli von der Knesset verabschiedete Resolution kein Wendepunkt ist, sondern Teil einer Desinformationskampagne. Sie gibt der politischen Mitte ein bequemes Narrativ an die Hand (die Behauptung, Annexionen müssten verkündet werden), mit dem sie weiter die Realität leugnen kann, als fände keine Annexion statt, weil keine Annexion verkündet wurde. Schlimmer noch: Sie nimmt die rechtlichen, administrativen und politischen Strukturen, die den Annexionsprozess routiniert ins Werk setzen, aus der Verantwortung.

Hinzu kommt, dass die Infrastruktur und die staatlichen Strukturen, mit denen die Gebiete kontrolliert werden sollen, auf institutionalisierter Diskriminierung aufbauen, indem sie der palästinensischen Bevölkerung ihre Bürgerrechte vorenthalten und sie bei der Verteilung von Haushaltsmitteln und Ressourcen systematisch benachteiligen. Somit ist die Annexion auch ein Demokratieproblem, denn eine Annexion ohne Gleichberechtigung ist ein Apartheidsystem. Wenn in ein und demselben Gebiet zwei Bevölkerungsgruppen leben, die von der gleichen Regierung regiert werden, aber verschiedenen Rechtsordnungen unterstehen, sodass sie nicht die gleichen Rechte haben und in den politischen Institutionen nicht gleichberechtigt vertreten sind, dann handelt es sich um ein strukturell und systematisch diskriminierendes System. Und wenn gewählte Amtsträger leugnen, dass die Annexion in Wirklichkeit schon geschieht, tragen sie dazu bei, dass die Rechtsverstöße sich fortsetzen und das demokratische Wertefundament, auf das Israels politische Ordnung sich angeblich stützt, weiter erodiert.

Noch etwas kommt hinzu: Die Auswirkungen der Annexion sind dabei, durch die Grüne Linie (die 1949 gezogene Waffenstillstandslinie zwischen Israel und den besetzten Gebieten) durchzusickern und das Fundament des Staates Israel zu zerstören. Die signifikante Zunahme der Gewalt gegen Palästinenser im Westjordanland – und die unzähligen Angriffe und Brandstiftungen durch Siedlergruppen, teils mit praktischer Unterstützung durch die Armee – sind Vorboten einer Bewegung, die über ein Apartheidregime mit unterschiedlichen Rechtsordnungen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen hinausgeht und zu einem Regime überleitet, in dem Rechtsstaatlichkeit vollends zur Fiktion wird und die Exekutive oder ihre Stellvertreter absolute Macht besitzen und ungestraft agieren können – außer in den seltenen Fällen, in denen ein Bürokrat oder Soldat den Befehl verweigert. Wenn das Rechtsstaatsprinzip in den Gebieten negiert wird, führt dies dazu, dass es in ähnlicher Weise auch innerhalb der Grünen Linie und in allen anderen Gebieten negiert wird, in denen die israelische Armee operiert.

Die Hindernisse zu beseitigen, die der Annexion im Weg stehen, ist eines der Hauptziele der Justizreform – jenes von Premierminister Netanjahu und seiner Regierung vorangetriebenen Maßnahmenpakets, mit dem die demokratische Gewaltenteilung in Israel geschwächt werden soll. Es ist an der Zeit, zu erkennen, dass dieses Ziel bereits erreicht ist. Und wie ein Kreislauf, der sich aus sich selbst speist, schafft die Annexion die Voraussetzungen dafür, dass dieser justizielle Staatsstreich immer tiefere Wurzeln schlägt.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Fassung des Artikels „Israel Has Already Annexed the West Bank in Practice“, der bei Haaretz erschienen ist.