Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die Zeit des Multilateralismus ist vorbei, die Epoche der liberalen Weltordnung zu Ende. Gründe sind schon seit den 2010er Jahren der Aufstieg Chinas und der selbstbewusste Zusammenschluss der BRICS-plus-Gruppe, die mittlerweile weit über die ursprünglichen Gründerstaaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika hinausgeht. Noch maßgeblicher wird die liberale Weltordnung jedoch von innen heraus untergraben: durch den früheren Hegemonen. Trump 2.0 steht für die geradezu lustvolle und atemberaubend schnelle Zerstörung bisheriger Strukturen, ohne dass sich Umrisse einer neuen Ordnung abzeichnen würden.

Die friedenspolitischen Kosten dieser Abrissunternehmung sind groß. Wurde seit den 1990er Jahren – oftmals im Rahmen der Vereinten Nationen – das Konzept eines liberalen und nachhaltigen Friedens verfolgt, dominieren im Moment Gegenkräfte in den regionalen Konfliktherden. Wo Waffenstillstände oder Friedensschlüsse möglich sind, entstehen machtbasierte Arrangements – eher ein Flickenteppich kurzfristiger Stabilisierungsversuche, als dass sie übergeordneten Designs folgten.

Stark betroffen von diesem, schon vor Trump 2.0 einsetzenden Epochenbruch waren Libyen und Syrien, die zum Spielball regionaler wie globaler Geopolitik wurden. Auch der Gaza-Krieg steht im Schatten geopolitischer Machtkonkurrenzen, bedarf aber einer eigenen Analyse. Stattdessen soll hier die Ukraine im Vordergrund stehen, in der seit dem Angriff Russlands der derzeit verlustreichste Krieg weltweit tobt und über deren Kopf hinweg jüngst in Alaska über Gebietsabtretungen verhandelt wurde.

Die veränderte Welt ist durch geopolitischen Wettbewerb charakterisiert. Welche Strategie die USA dabei genau verfolgen, ist noch umstritten. Während das neokonservativ geprägte Lager der Primacists an der weltweiten Überlegenheit der USA festhalten, favorisieren die Priorisierer ein Disengagement in Europa und Nahost, um besser für die Auseinandersetzung mit China gerüstet zu sein. Die Isolationisten hingegen stehen jedwedem globalen Machtanspruch skeptisch gegenüber und wollen sich auf den amerikanischen Kontinent konzentrieren.

Viel stärker als sein Amtsvorgänger Joe Biden, der Taiwan sichtbar unterstützte, verfolgt US-Präsident Donald Trump eine Politik der strategischen Ambiguität.

US-Präsident Donald Trump oszilliert in seinen wechselhaften Äußerungen zwischen den ersten beiden Lagern, lässt jedoch eine klare Tendenz für die Priorisierer erkennen. Ihm scheint bewusst zu sein, dass eine unmittelbare Konfrontation mit den nuklearen Großmächten China und Russland derzeit gefährlich wäre. Er scheint sich bis auf Weiteres auf eine Politik der Sicherung von Einflusssphären festgelegt zu haben, um Kräfte für den großen Konflikt mit China zu sammeln. Für die Interimsphase bis zum großen Showdown könnte es eine Art stillschweigendes Einverständnis zwischen Russland und den USA geben. Dies wäre dann eine Welt, in der die USA unter anderem Zugriff auf Grönland hätten – und in der die Ukraine von Russland kleingehalten und bevormundet würde, was erhebliche Rückwirkungen auf Friedensverhandlungen hätte. Ob in der Folge dieser Logik China dann auch seine Ansprüche auf Taiwan durchzusetzen vermag, scheint derzeit offen. Viel stärker als sein Amtsvorgänger Joe Biden, der Taiwan sichtbar unterstützte, verfolgt US-Präsident Donald Trump eine Politik der strategischen Ambiguität, bei der das Schutzversprechen mehrdeutig und vage bleibt.

Seit Ende der 1980er Jahr war weltweit und unter Führung der Vereinten Nationen der Versuch unternommen worden, ein anspruchsvolles Modell der Konfliktbeilegung und nachhaltiger Friedenssicherung zu etablieren. Es folgte liberalen Designs, die mit den Mitteln von Demokratie und Marktwirtschaft kriegszerrüttete Gesellschaften transformieren und nicht nur stabilisieren wollten. Heute scheinen wir von diesen Ansprüchen weiter entfernt denn je.

Verantwortlich hierfür ist zweifellos das Scheitern westlich dominierter Militäreinsätze in Afghanistan, im Irak und in der Sahel-Region. Zweitens haben sich seit geraumer Zeit Gegenmodelle des autoritären Konfliktmanagements beziehungsweise des illiberalen Peacebuilding entwickelt, wie zum Beispiel innerstaatliche Konflikte in Russland, Sri Lanka, China, Äthiopien, Ruanda und in der Türkei. Schließlich gibt es Kräfte, die sich explizit gegen einen nachhaltigen Frieden richten (counter peace). Ihnen ist das emanzipatorische Element des liberalen Peacebuilding ein Dorn im Auge. Derartig destruktiv wirkende Kräfte waren bereits im Libyen-Krieg aktiv, so etwa Russland, die Türkei, Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate.

Das Paradigma eines machtbasierten Friedens (power peace) zeigt sich besonders deutlich anhand des Krieges in Syrien, der viel zu spät und bis auf Weiteres nur vorläufig beendet wurde. Sinnbild dafür sind die Anfang 2017 begonnenen Astana-Gespräche zwischen Russland, dem Iran und der Türkei. In ihnen ging es letztlich um Deeskalation und kurzfristige Stabilisierung sowie um den Fortbestand eines autokratischen Regimes. Bezeichnenderweise waren diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt, denn die machtpolitischen Interessen Russlands, des Irans und der Türkei konvergierten nur bedingt. Stattdessen setzte sich 2024 der regional stärkste Spieler durch: Die Türkei nutzte die Gunst der Stunde und unterstützte die syrische Rebellenallianz Haiʾat Tahrir asch-Scham bei der Einnahme zentraler Gebiete und bei der Eroberung von Damaskus im Dezember 2024. Russland war zu dieser Zeit durch den Krieg in der Ukraine gebunden; und der Iran musste mit ansehen, wie Israel im Libanon die verbündete Hisbollah-Miliz entscheidend schwächte.

Das trilaterale Forum der Astana-Gespräche zielte nicht auf einen nachhaltigen Frieden. Zugleich stand es für einen begrenzten Multilateralismus, der zwar mit den UN-Bemühungen rivalisierte, aber zugleich auch die Anschlussfähigkeit an die UN-Diplomatie im Blick hatte. Schließlich gab es durch die Einbeziehung von Vertretern der syrischen Regierung und ausgewählter Oppositionsgruppen eine selektive Inklusivität.

Die betroffene Seite saß in Alaska nicht mit am Tisch – und auch die anderen Europäer waren ausgeschlossen.

Mit Trump 2.0 und seinem Ansatz im Russland-Ukraine-Krieg wird demgegenüber geopolitisches Verhandeln auf eine neue Stufe gebracht, die auf Exklusivität setzt. Sie kommt den Putin’schen Vorstellungen entgegen, den Ukraine-Krieg im Stil einer Jalta-Konferenz zu lösen. Mit einem wichtigen Unterschied allerdings zum Februar 1945: Beim Alaska-Gipfel vom 15. August 2025 verhandelte der Präsident des mächtigsten Staates weltweit mit einem Aggressor über das potenzielle Beutestück. Die betroffene Seite saß nicht mit am Tisch – und auch die anderen Europäer waren ausgeschlossen.

Die derzeitige US-Strategie öffnet einer revisionistischen Macht Tür und Tor, militärisch eroberte Gebiete nicht nur völkerrechtswidrig zu annektieren, sondern sogar mit einer internationalen Anerkennung rechnen zu können. Kiew ist dazu zwar nicht bereit. Doch sind die militärischen und wirtschaftlichen Hebel Washingtons gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj letztlich groß.

Steuern wir unwiderruflich auf ein Zeitalter der Geopolitik zu? Mit Blick auf die Ukraine scheint der Zug noch nicht völlig abgefahren zu sein. Denn ebenso wie in Syrien stoßen Großmacht-Deals auf inhärente Grenzen. Diese liegen für die USA nicht zuletzt darin, dass sie mit Blick auf die Sicherheitsgarantien für die Ukraine auf die Europäer angewiesen sind. Diese sollten sich nicht vorschnell auf Beiträge und Arrangements verpflichten, an deren Ausgestaltung sie nicht beteiligt werden. Sie haben nämlich durchaus Verhandlungsmacht, insofern sie bei einem Friedensschluss unabdingbar eine zentrale Rolle spielen müssen. Zudem könnten sie auch auf externe, außereuropäische Beobachter drängen, um in einem fortgeschrittenen Verhandlungsprozess mögliche Friedensgespräche multilateral zu öffnen.

Hierzu bedürfte es allerdings einer eigenständigeren Position in den transatlantischen Beziehungen, wie wir sie eher in Frankreich als in Deutschland finden. Konkret bedeutet dies: Mit Blick auf China sollte die EU einen abwägenden Kurs steuern, der die multilateralen Bemühungen der ostasiatischen Großmacht würdigt und nicht der Schwarz-Weiß-Vorstellung eines unausweichlichen Hegemonialkonflikts folgt. Angesichts der russischen Bedrohung ist das Vertrauen in amerikanische Sicherheitsgarantien brüchig geworden. Zugleich gibt es auch keinen Grund für Alarmismus, der das Szenario eines baldigen und quasi natürlichen russischen Angriffs auf die NATO an die Wand malt und die europäischen NATO-Kapazitäten kleinredet. Kurzum: Es ist in der derzeitigen Lage wenig hilfreich, dass Schmeichler wie der NATO-Generalsekretär Mark Rutte das Wort führen. Vielmehr sollte Klartext gegenüber der US-Administration geredet werden. Europäische Sicherheitsgarantien für die Ukraine sind möglich. Aber es muss betont werden, dass diese nur dann bereitgestellt werden, wenn die USA auch in dieses durchaus riskante Unternehmen einsteigen und die europäischen Bündnispartner nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Ansonsten drohen die Europäer am Katzentisch der Großmächtediplomatie zu landen und friedenspolitisch keinen Einfluss nehmen zu können.