Die Aufregung im August war groß: Wladimir Putin in Alaska – empfangen auf dem roten Teppich, beklatscht von Donald Trump. Bedeutet das Treffen einen Durchbruch in Richtung Frieden? Oder verrät der US-Präsident die Ukraine? Wenig später dann das „Team Selenskyj“ im Weißen Haus – der ukrainische Präsident an Trumps Seite, unterstützt von seinen europäischen Partnern. Und was folgte danach?

Zwei Wochen nach dem Spektakel scheint es, als hätten diese Tage in Amerika einmal mehr nur heiße Luft produziert. Trumps jüngstes Ultimatum für ein bilaterales Treffen zwischen Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj ist erwartungsgemäß ohne Folgen geblieben.

Der Krieg an der Front im Osten der Ukraine geht derweil mit unverminderter, blutiger Intensität weiter, im Luftkrieg haben beide Seiten zuletzt sogar noch einmal nachgelegt. Und doch mehren sich die Anzeichen, dass dieser Krieg in seine Schlussphase eintreten könnte. Denn langsam kristallisieren sich mögliche Kompromissformeln für eine Friedensvereinbarung – oder zumindest für einen Waffenstillstand – heraus.

Zum einen hat sich in der Ukraine wie auch im Westen die Überzeugung durchgesetzt, dass ein NATO-Beitritt derzeit praktisch ausgeschlossen ist. Zugleich erscheint ein Friedensschluss nur dann sinnvoll, wenn er auf andere Weise einen erneuten russischen Angriff verhindert. Die praktikabelste Variante besteht darin, die Ukraine in ein „Stachelschwein“ zu verwandeln – sie also militärisch so zu stärken, dass Moskau von einem weiteren Angriff abgeschreckt wird. Eine von Marco Rubio geleitete „Task Force“ soll in diesen Tagen zudem Sicherheitsgarantien für die Ukraine erarbeiten. Wie diese allerdings ohne eine Beteiligung der USA aussehen sollen – die Trump immer wieder ausdrücklich ausgeschlossen hat –, bleibt fraglich.

Zum Zweiten hielten die Ukraine und mit ihr die meisten westlichen Partner lange an völkerrechtlich nachvollziehbaren Forderungen fest, allen voran am Rückzug der russischen Truppen vom ukrainischen Territorium oder zumindest auf den Stand vom 24. Februar 2022.

Putin will bis zu einem möglichen Waffenstillstand so viel Gebiet wie möglich einnehmen.

Doch auch hier hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass dies unter den gegebenen Bedingungen nicht zu erreichen ist. Realistisch erscheint vielmehr ein Einfrieren der Frontlinie – möglicherweise inklusive eines „Gebietstauschs“. Dieser könnte jedoch höchstens bedeuten, dass die russischen Truppen aus den kleineren besetzten Teilen von Sumy, Mykolajiw und Charkiw abziehen – und im Gegenzug ein ähnlich großes Gebiet in Donezk erhalten. Für die von Russland vor Alaska geforderte kampflose Aufgabe der heute noch unbesetzten Teile von Donezk, einschließlich der Agglomeration Kramatorsk, gibt es aus ukrainischer Sicht keinerlei Anlass. Gegenüber der eigenen Bevölkerung wäre das politisch nicht vertretbar, und strategisch wäre es im Hinblick auf einen möglichen erneuten Angriff Moskaus ein schwerer Fehler: Dieses Gebiet haben die Ukrainer zur Festung ausgebaut – und sie werden es bis zuletzt verteidigen.

Was Putin Trump offenbar weismachen wollte: Früher oder später werde die russische Armee diese Gebiete ohnehin erobern, da könne die Ukraine sie für einen sofortigen Frieden doch gleich preisgeben. Doch dem ist nicht so. Und offenbar gelang es Selenskyj und den Europäern, Trump davon zu überzeugen.

Zweifellos: Die Russen sind auf dem Vormarsch. In manchen Wochen eroberte die russische Armee in diesem Sommer 30 Quadratkilometer, in anderen über 150. Den Russen ist es gelungen, mehrere Städte wie Pokrowsk oder Kupjansk weitgehend einzukesseln. Eingenommen haben die Russen jedoch keine dieser Städte – und die Sommeroffensive neigt sich dem Ende zu. Das bedeutet: Obwohl die ukrainische Armee anders als die russische unter ständigem Personalmangel leidet, obwohl es an einzelnen Frontabschnitten immer wieder zu kleineren Durchbrüchen kommt, hält sie den russischen Angriffen weitgehend stand. Seit Ende August verlegt Russland nun gut ausgebildete Einheiten aus anderen Frontbereichen in das Gebiet Donezk. Das Ziel ist eindeutig: Putin will bis zu einem möglichen Waffenstillstand so viel Gebiet wie möglich einnehmen – und der Ukraine, den Europäern und insbesondere Trump beweisen, dass es eben doch besser wäre, das Gebiet kampflos aufzugeben.

Während sich also an der Front selbst die Lage kaum verändert hat, versucht die Ukraine, im Luftkrieg technisch mit Russland gleichzuziehen. Ende August präsentierte die Ukraine neu entwickelte Raketen, die sich schon in Serienproduktion befinden sollen. Neben einer Modernisierung der bestehenden „Neptun“-Rakete bietet insbesondere der jetzt vorgestellte Marschflugkörper „Flamingo“ mit einem Sprengsatz von über einer Tonne und einer Reichweite von bis zu 3 000 Kilometern den Ukrainern bislang unbekannte Möglichkeiten, etwa folgenschwere Angriffe auf russische Rüstungsunternehmen. 90 Prozent der russischen Rüstungsproduktion, so der ukrainische Militärexperte Walerij Romanenko, befänden sich nun in Reichweite der Ukraine. Und der wichtigste Aspekt: Die Ukraine bräuchte anders als im Falle der vom Westen gelieferten ATACMS- oder Storm-Shadow-Systemen für den Einsatz der eigenen Raketen auch gegen russisches Territorium nicht mehr die Erlaubnis aus Washington, London oder Paris.

Zugleich hat die Ukraine die Serienproduktion von FP-1-Kampfdrohnen aufgenommen, die vom Typ den russischen Angriffsdrohnen ähneln. Auf diese Weise wollen die Ukrainer die Strategie der Russen kopieren: mit billigen Drohnen die russische Raketenabwehr überlasten, damit später die Raketen weitgehend ungehindert ins Ziel fliegen können. Dass die Russen dieses Szenario fürchten, zeigen ihre jüngsten Angriffe, bei denen sie vor allem Rüstungsbetriebe angriffen, unter anderem eine im Bau befindliche Bayraktar-Fabrik und das Büro eines ukrainischen Drohnenproduzenten in Kiew.

Schon mit den bislang zur Verfügung stehenden Mitteln hat die Ukraine den Russen in den vergangenen Wochen mehr als nur Nadelstiche zugefügt.

Schon mit den bislang zur Verfügung stehenden Mitteln hat die Ukraine den Russen in den vergangenen Wochen in einem sensiblen Bereich mehr als nur Nadelstiche zugefügt: Mit Drohnen-Attacken auf Ölraffinerien tief im russischen Hinterland gelang es einer Berechnung von Reuters zufolge, 17 Prozent der russischen Ölproduktion zu unterbrechen – und damit die Produktion von 1,1 Millionen Barrel pro Tag. Die Ukraine versucht so, auch gegenüber Präsident Trump zu zeigen, dass sie durchaus fähig ist, sich gegen den Angreifer zur Wehr zu setzen.

Im Ölsektor – neben Gas das wichtigste Mittel Russlands zur Kriegsfinanzierung – erhöhen die westlichen Staaten den Druck. Die USA verhängten Ende August zusätzlich 25-prozentige Zölle gegen Indien, ausdrücklich als Strafe dafür, dass das Land Waffen und Öl aus Russland bezieht. Im ersten Halbjahr importierte Indien im Schnitt 1,73 Millionen Barrel pro Tag und war damit nach China der zweitgrößte Abnehmer. Experten erwarten, dass Indiens Ölimporte aus Russland bereits ab September zurückgehen.

Anfang September trat zudem eine neue Preisobergrenze der G7-Staaten in Kraft: Die bisher geltende Marke von 60 US-Dollar pro Barrel wurde auf 47,60 Dollar gesenkt. Damit steigt der Druck auf Russland nicht nur in der Produktion, sondern auch beim Export von Öl deutlich an.

Ist aufseiten Russlands also der Wille gewachsen, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden? Der stellvertretende Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR erklärte in einem Interview im August, interne russische Strategiepapiere enthielten eine klare Zielvorgabe: Der Krieg müsse bis zum Jahr 2026 beendet sein. Der wichtigste Grund: die immensen Kosten.

Zudem: Die USA unter Trump bieten Russland enge politische und wirtschaftliche Kooperation an – sollte Putin in Sachen Ukraine endlich einlenken. Die Vorstellung, ein goldenes russisch-amerikanisches Zeitalter auch ohne eine Lösung im Ukraine-Krieg einleiten zu können, hat sich seit Alaska erledigt. Die Zusammensetzung der russischen Delegation machte jedoch deutlich, dass man sich von dem Treffen genau dies erhofft hatte.

Aber auch die Vorstellung, ein von Trump per „ordre de mufti“ erzwungenes Treffen zwischen Selenskyj und Putin könne Frieden bringen, ist unrealistisch. Dafür sind viel zu viele komplexe Fragen offen, die zuvor auf der Ebene von Diplomaten und Experten verhandelt werden müssen. Aber sollte die Ukraine und der mehr oder weniger geeinte Westen Kurs halten und Russlands Kosten für eine Fortführung des Kriegs weiter steigern – durch konstante Waffenlieferungen an die Ukraine und eine zielgerichtete Reduzierung der russischen Einnahmen aus Öl und Gas –, dann ist ein Ende des Krieges zwar nicht greif-, aber zumindest sichtbar.