Seit Jahren prophezeien Wissenschaftler den Beginn eines „chinesischen Jahrhunderts“: eine Welt, in der China endlich sein enormes wirtschaftliches und technologisches Potenzial nutzen kann, die Vereinigten Staaten überholt und die globale Machtverteilung neu ausrichtet, wobei Peking zum neuen Dreh- und Angelpunkt der Welt wird.

Dieses Jahrhundert könnte bereits angebrochen sein. Wenn zukünftige Historikerinnen und Historiker zurückblicken, werden sie möglicherweise die ersten Monate der zweiten Amtszeit von Präsident Donald Trump als den Wendepunkt bezeichnen, an dem China sich absetzte und die USA hinter sich ließ. Es spielt keine Rolle, dass Washington und Peking in Trumps Handelskrieg jüngst einen vorläufigen Waffenstillstand erzielt haben. Der US-Präsident hat diese Einigung als Sieg gefeiert, doch das unterstreicht nur das grundlegende Problem der Trump-Regierung und der USA: Sie konzentrieren sich kurzsichtig auf belanglose Kleingefechte, während der größere Krieg mit China eindeutig verloren wird.

Trump zerstört die Fundamente der amerikanischen Macht und Innovationskraft. Seine Zölle gefährden den Zugang US-amerikanischer Unternehmen zu globalen Märkten und Lieferketten.

Trump zerstört die Fundamente der amerikanischen Macht und Innovationskraft. Seine Zölle gefährden den Zugang US-amerikanischer Unternehmen zu globalen Märkten und Lieferketten. Er kürzt die öffentlichen Forschungsgelder und ruiniert die Universitäten, sodass talentierte Forscher einen Wechsel in andere Länder in Betracht ziehen. Er will Förderprogramme für Technologien wie saubere Energie und Halbleiterfertigung zurückfahren und zerstört darüber hinaus die Soft Power der USA in weiten Teilen der Welt.

Chinas Kurs könnte nicht gegensätzlicher sein. Das Land ist schon heute global führend in zahlreichen Branchen – Stahl, Aluminium, Schiffbau, Batterien, Solarenergie, Elektrofahrzeuge, Windkraftanlagen, Drohnen, 5G-Ausrüstung, Unterhaltungselektronik, pharmazeutische Wirkstoffe und Hochgeschwindigkeitszüge. Im Jahr 2030 wird China voraussichtlich 45 Prozent der weltweiten Produktion ausmachen. Peking ist außerdem fest entschlossen, den Kampf um Zukunftstechnologien zu gewinnen: Im März kündigte die chinesische Führung einen nationalen Venture Capital Fonds in Höhe von 138 Milliarden  US-Dollar an, über den langfristig in Spitzentechnologien wie Quantencomputing und Robotik investiert werden soll. Darüber hinaus hat die chinesische Regierung ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöht.

Die Ergebnisse dieses Ansatzes sind beeindruckend. Als das chinesische Start-up DeepSeek im Januar seinen KI-Chatbot auf den Markt brachte, wurde vielen Amerikanern schlagartig klar, dass China im Bereich KI durchaus konkurrenzfähig ist. Dabei hatte es schon zuvor eine ganze Reihe ähnlicher „Sputnik-Momente“ gegeben. So hat der chinesische Elektroautohersteller BYD – den Trumps politischer Verbündeter Elon Musk einst als „Witz“ abgetan hatte – Tesla im vergangenen Jahr beim weltweiten Absatz überholt. Das Unternehmen baut weltweit neue Fabriken und erreichte im März einen Marktwert, der größer ist als der von Ford, GM und Volkswagen zusammen. China ist auch bei der Entwicklung neuer Pharmazeutika, insbesondere von Krebsmedikamenten, auf dem Vormarsch. Ebenso wurden 2023 in China mehr Industrieroboter installiert als im Rest der Welt zusammen. Im Bereich der Halbleiter – dem wohl wichtigsten Wirtschaftsgut dieses Jahrhunderts (und einer vormals langjährigen Schwachstelle Chinas) – baut das Land eine unabhängige Lieferkette auf. Wichtig sind dabei die jüngsten technologischen Durchbrüche des Huawei-Konzerns. Die Stärke Chinas in diesen und verwandten Technologiesparten führt zu einem positiven Kreislaufeffekt, in dem sich Fortschritte in mehreren miteinander verknüpften Sektoren gegenseitig verstärken und beschleunigen.

Und Trump? Der US-Präsident konzentriert sich weiterhin auf Zölle. Er scheint nicht einmal das Ausmaß der Bedrohung durch China zu begreifen. Bevor die beiden Länder sich kürzlich auf eine Senkung der Handelszölle einigten, hatte Trump Bedenken zurückgewiesen, seine zuvor eingeführten extrem hohen Zölle auf chinesische Waren könnten zu leeren Regalen in amerikanischen Geschäften führen. Er schlug vor, die US-Bürgerinnen und -Bürger sollten einfach weniger Puppen für ihre Kinder kaufen. Dieses Verständnis von China als einer einzigen riesigen Fabrik für billiges Spielzeug und anderen Ramsch ist vollkommen aus der Zeit gefallen. Die Vereinigten Staaten müssen erkennen, dass weder Zölle noch andere Handelsdruckmittel China dazu bringen werden, seine staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik, die sich für das Land so sehr bewährt hat, aufzugeben und plötzlich eine Industrie- und Handelspolitik zu verfolgen, die die US-Führung als fair betrachtet. Vielmehr dürfte Peking seinen staatlich gelenkten Ansatz verstärken und sich mit einer an das Manhattan-Projekt erinnernden Strategie darauf konzentrieren, die absolute Vorherrschaft in Hightech-Industrien zu erlangen.

Keine Frage: China steht vor eigenen großen Herausforderungen. Eine anhaltende Immobilienmarktflaute bremst weiterhin das Wirtschaftswachstum (wobei es erste Anzeichen für eine mögliche Erholung der Branche gibt). Langfristige Probleme wie eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung und eine alternde Gesellschaft zeichnen sich ebenfalls ab. Andererseits prophezeien Skeptiker schon seit Jahren den erreichten Höhepunkt und den nun folgenden, unvermeidlichen Niedergang Chinas – und werden jedes Mal eines Besseren belehrt. Die anhaltende Stärke eines staatlich kontrollierten chinesischen Systems, das sich nach Belieben neu ausrichten, seine Politik ändern und Ressourcen umverteilen kann, um die langfristige Stärke des Landes zu sichern, ist mittlerweile unbestreitbar, ob es den Befürwortern der freien Marktwirtschaft gefällt oder nicht.

Chinesische Fabriken auf der ganzen Welt werden für eine Neuausrichtung der Lieferketten sorgen, mit China als weltweit führender Technologie- und Wirtschafts-Supermacht im Zentrum.

Trump ist besessen von kurzfristigen Notlösungen wie Zöllen, während er gleichzeitig aktiv das untergräbt, was Amerika selbst stark macht. Damit dürfte er den Beginn einer von China dominierten Welt nur noch schneller herbeiführen. Wenn sich die derzeitige Entwicklung der beiden Länder fortsetzt, wird China zukünftig die High-End-Fertigung vollständig dominieren, von Autos und Chips bis hin zu MRT-Geräten und Passagierflugzeugen. Der Kampf um die Vorherrschaft im Bereich KI dürfte nicht zwischen den USA und China ausgetragen werden, sondern zwischen chinesischen Hightech-Hochburgen wie Shenzhen und Hangzhou. Chinesische Fabriken auf der ganzen Welt werden für eine Neuausrichtung der Lieferketten sorgen, mit China als weltweit führender Technologie- und Wirtschafts-Supermacht im Zentrum.

Die USA hingegen könnten letzten Endes als stark geschwächte Nation dastehen. Die hinter Zollschranken verbarrikadierten heimischen Unternehmen werden fast ausschließlich an inländische Verbraucher verkaufen. Der Wegfall der Auslandsumsätze wird die Profite der US-Unternehmen schmälern, sodass ihnen auch weniger Kapital für Investitionen zur Verfügung steht. Die amerikanischen Verbraucher werden mit in den USA hergestellten Waren vorliebnehmen müssen, die von mittelmäßiger Qualität, aber aufgrund der höheren Produktionskosten im Inland teurer sind als anderswo auf der Welt hergestellte Produkte. Familien aus der Arbeiter- und Mittelklasse werden sich einer steigenden Inflation und gleichzeitig stagnierenden Einkommen gegenübersehen. Traditionell hochwertige Industriezweige wie Autoherstellung und Pharmaindustrie gehen bereits an China verloren; wichtige Zukunftsbranchen werden folgen. Man kann sich die Entwicklungen Detroits oder Clevelands in einem nationalen Maßstab ausmalen.

Um dieses düstere Szenario zu verhindern, müssten in den USA sofort politische Entscheidungen getroffen werden, die eigentlich selbstverständlich sind und auch Unterstützung in beiden großen Parteien finden dürften: Investitionen in Forschung und Entwicklung, Förderung von Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft, Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen zu Ländern auf der ganzen Welt sowie Schaffung eines offenen und attraktiven Umfelds für internationale Fachkräfte und Kapital. Die Trump-Regierung tut jedoch in jedem dieser Bereiche das genaue Gegenteil. Ob dieses Jahrhundert chinesisch oder amerikanisch geprägt sein wird, hängt auch von Entscheidungen in den USA ab. Die Zeit für solche Entscheidungen wird langsam knapp.

Dieser Artikel erschien zuerst in The New York Times.

Aus dem Englischen von Tim Steins