Mitte Juli 2025 wurde in Brüssel eine politische Einigung über das seit 2016 verhandelte, umfassende Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien verkündet. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, dass „gleichgesinnte Partner in turbulenten Zeiten enger zusammenrücken müssen“. Das Abkommen CEPA (Comprehensive Economic Partnership Agreement) steht sinnbildlich für eine neue europäische Handelspolitik. In Zeiten von tektonischen Machtverschiebungen auf globaler Ebene sollen sozialökologische Standards, wirtschaftliche Interessen und geopolitische Resilienz in Einklang gebracht werden. Indonesien bietet sich als idealer Partner an – die größte Volkswirtschaft Südostasiens und Mittelmacht gewinnt international stetig an Bedeutung. Der multiethnische Staat zählt zu den 20 größten Volkswirtschaften und will bis 2045 unter die fünf führenden Wirtschaftsmächte. In Zeiten globaler Fragmentierung sendet die Partnerschaft mit dem BRICS-Mitgliedstaat ein starkes Zeichen für strategische Offenheit. Im Unterschied zur konfrontativen Handelspolitik der USA unter Donald Trump symbolisiert das Zustandekommen von CEPA eine partnerschaftliche Zusammenarbeit.
Mit dem Abkommen verschafft sich die EU neue strategische Optionen. Die Intensivierung der Beziehung zu einer aufstrebenden Mittelmacht soll die wirtschaftliche Abhängigkeit durch Diversifizierung reduzieren. Trotz der unbestrittenen Relevanz Indonesiens brauchte es nicht zuletzt aufgrund der behäbigen Brüsseler Bürokratie ein knappes Jahrzehnt bis zu einem politischen Durchbruch. Nach der anberaumten Unterzeichnung des CEPA im Herbst 2025 muss im nächsten Schritt das europäische Parlament zustimmen. Nach abgeschlossener Ratifizierung soll CEPA dann 2026 vollständig in Kraft treten.
CEPA verschafft europäischen Unternehmen Zugang zu einem der dynamischsten Zukunftsmärkte der Welt – Indonesien ist eine Nation mit über 270 Millionen Menschen.
Das Abkommen beinhaltet 21 Kooperationsfelder: Fachkräftemobilität, digitaler Handel sowie Rohstofflieferketten sind zentrale Bereiche der Zusammenarbeit. Ein weiteres wichtiges Element ist der Abbau von bestehenden Handelshemmnissen. Für die EU bietet CEPA eine Reihe strategischer Vorteile. Erstens verschafft es europäischen Unternehmen Zugang zu einem der dynamischsten Zukunftsmärkte der Welt – Indonesien ist eine Nation mit über 270 Millionen Menschen. Trotz seiner wirtschaftlichen Bedeutung steht Indonesien auf der Liste der wichtigsten Handelspartner der EU derzeit nur auf Platz 33 und rangiert auch im internen Vergleich der ASEAN-Staaten nur an fünfter Stelle.
Zweitens stärkt das Handelsabkommen die wirtschaftspolitische Präsenz Europas in einer Schlüsselregion globaler Machtverschiebungen. Ein umfassendes Regionalabkommen zwischen den beiden Handelsblöcken EU und ASEAN ist momentan aufgrund der internen Heterogenität von ASEAN nicht in Sicht. CEPA stellt neben den bestehenden Handelsabkommen mit Singapur und Vietnam einen weiteren Baustein zur Vertiefung der Handelsbeziehungen mit der gesamten Region Südostasien dar. Entsprechend könnte der Abschluss auch neue Dynamik in die sich in den Verhandlungen befindlichen Abkommen mit Malaysia, den Philippinen und Thailand bringen.
Drittens soll das Abkommen zur Absicherung kritischer Rohstofflieferketten beitragen. Indonesien ist zentraler Produzent der für Europas Energiewende bedeutenden Rohstoffe Kupfer, Nickel und Zinn. Gerade für die deutsche Automobilindustrie sind diese Ressourcen für die Batterieproduktion und zwecks Diversifizierung der Lieferketten entscheidend. Gleichzeitig verfolgt die indonesische Regierung einen industriepolitischen Kurs, der auf höhere lokale Wertschöpfung und mehr Verarbeitungsschritte im eigenen Land setzt. Wegen dieses Spannungsverhältnisses befindet sich Indonesien, der weltweit größte Nickelproduzent, seit 2021 aufgrund seines Ausfuhrverbots von unverarbeitetem Nickelerz in einem Rechtsstreit mit der EU. Nach einer Beschwerde der EU stufte die WTO den indonesischen Schutzmechanismus zugunsten der heimischen Weiterverarbeitung als rechtswidrig ein. Durch diesen Kurs untergräbt die EU nicht nur die Rohstoffsouveränität ihres Partnerlandes und reproduziert ein asymmetrisches Abhängigkeitsverhältnis, sondern sie gefährdet auch ihre eigenen wirtschaftsstrategischen Ziele. Während Brüssel an Streitbeilegungsverfahren gebunden ist, baut China seinen Einfluss in Indonesien konsequent aus. Inzwischen kontrollieren chinesische Unternehmen 90 Prozent des indonesischen Nickelsektors.
Viertens versucht die EU, ihre normative Handelspolitik in die Praxis zu überführen. Allerdings dominierten in den vergangenen Jahren Konflikte über Palmöl die Handelsbeziehungen. So verpflichtet die EU-Entwaldungsrichtlinie ihre Handelspartner dazu, ihre Agrarprodukte gegen Abholzung zu zertifizieren, was vor allem kleinbäuerliche Palmölproduzenten in Indonesien und nicht ihre multinationalen Konkurrenten belastet. Dies zog Vorwürfe des „regulatorischen Imperialismus“ nach sich, weil sich Indonesien durch einseitige Nachhaltigkeitsstandards auf seinem Entwicklungspfad benachteiligt sah. Gerade hier muss die EU vermeiden, Umwelt- und Sozialstandards im Partnerland nur dann durchzusetzen, wenn es ihren eigenen wirtschaftspolitischen Interessen entspricht. Ansonsten werden ihr legitimerweise Doppelstandards vorgeworfen. Frühere Konflikte sollen durch gegenseitige Verpflichtungen zu Umweltstandards, sozialer Nachhaltigkeit und fairen Handelsregeln entschärft werden. Ob es der europäischen Seite gelingt, ihre Rohstoffabhängigkeit mit einer fairen Partnerschaft zu verbinden, und ob diese Zusagen tatsächlich umgesetzt werden, bleibt jedoch abzuwarten.
Die Einigung zeigt, dass Handelsabkommen nicht zwangsläufig als bilaterale Deals unter politischem Druck, wie jüngst zwischen Indonesien und den USA, zustande kommen müssen. Damit steht CEPA exemplarisch für eine europäische Handelspolitik, die wirtschaftliche Interessen, Nachhaltigkeit und geopolitische Resilienz miteinander vereinigen kann. Das ist ein Modell für andere angespannte Handelsbeziehungen der EU im Globalen Süden. Indonesien verfolgt mit dem CEPA klare strategische Ziele. Die drittgrößte Demokratie und viertbevölkerungsreichste Nation der Welt will bis 2045 – zum hundertjährigen Unabhängigkeitsjubiläum – zu den fünf größten Volkswirtschaften der Welt zählen. Dafür strebt Präsident Prabowo ein Wirtschaftswachstum von acht Prozent an.
Das Abkommen mit der EU ist Teil von Jakartas Strategie ausgewogener Außenbeziehungen.
Das Abkommen mit der EU ist Teil von Jakartas Strategie ausgewogener Außenbeziehungen. Außerdem sollen dringend benötigte ausländische Direktinvestitionen angezogen werden, um das ambitionierte Wirtschaftsziel trotz schrumpfender Mittelschicht zu erreichen. CEPA verschafft Indonesien einen besseren Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt und soll die Industrialisierung beschleunigen sowie den Technologietransfer verbessern. Die Lockerung der bis dato strikten Zollbestimmungen kommt auf indonesischer Seite vor allem Produkten aus den Bereichen Automobilteile, Elektronik und Textilien zugute. Das könnte den unter Druck geratenen Textilsektor entlasten, der mit chinesischer Konkurrenz kämpft. Der breitere Zugang zum europäischen Markt könnte einen sektorübergreifenden Schub weg von einem reinen Preiswettbewerb hin zu mehr Innovation und Nachhaltigkeit bedeuten. Indonesien kann durch CEPA seine Abhängigkeit von Märkten wie China oder den USA verringern und neue Absatzchancen in Europa erschließen.
Gleichzeitig sendet Jakarta ein starkes Signal nach Peking und Washington, dass man sich nicht vereinnahmen lässt. Mit seinem außenpolitischen Kompass, der das Land geschickt zwischen den Riffen navigiert, will das Land unabhängig bleiben. Präsident Prabowo setzt auf wirtschaftliche Eigenständigkeit in einer sich wandelnden Weltordnung. In der Tradition der blockfreien Bewegung versteht sich Indonesien bis heute als Mittelmacht, die immun ist gegen außenpolitische Vereinnahmung. Der Zeitpunkt der politischen Einigung zwischen der EU und Indonesien ist kein Zufall. Wenige Monate zuvor hatten beide Seiten Strafzollankündigungen von der US-Regierung hinnehmen müssen. Indonesien reagierte auf den US-amerikanischen Druck mit einem bilateralen Abkommen, welches die Zölle auf Exporte in die USA bis 2029 auf maximal 19 Prozent begrenzt. Im Gegenzug musste sich die Prabowo-Regierung allerdings zu milliardenschweren Importen von Agrarprodukten, Boeing-Flugzeugen und US-Energie verpflichten.
Der Preis für diese vermeintliche Planungssicherheit ist hoch. Das Abkommen mit den USA spiegelt eine asymmetrische Handelspolitik wider, die Abhängigkeiten auf Seiten des wirtschaftlich schwächeren Partnerlandes verstärkt. Die EU und Indonesien müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass nur dieser externe Schock den zeitnahen Abschluss ermöglichte. Die zunehmende globale Fragmentierung – geprägt durch geopolitische Rivalität, neuen Protektionismus und den Rückzug zentraler Akteure aus multilateralen Institutionen – zwingt die EU zum Handeln. Die Orientierung an klassischen Partnern aus dem globalen Norden reicht nicht mehr aus, um sich auch in Zukunft wirtschaftliche Resilienz und geopolitische Handlungsfähigkeit zu sichern.
Stattdessen gewinnt die Kooperation mit aufstrebenden Akteuren des Globalen Südens an Bedeutung. In einer Welt, die sich neu ordnet, bildet das gemeinsame Interesse an der Reduktion von Abhängigkeiten eine Chance für neue Nord-Süd-Allianzen. Gerade in Zeiten zunehmender Regionalisierung gewinnt die Regionen-übergreifende Kooperation zwischen der EU und Südostasien an Bedeutung. Beide Regionen verbindet ihr Streben nach einer regelbasierten internationalen Ordnung. Vor dem Hintergrund dieser multiplen Chancen muss die EU aufpassen, dass sie in ihrem Hunger nach Rohstoffen nicht ein koloniales Modell der Rohstoffausbeutung reproduziert. Die Umsetzung von CEPA wird zeigen, ob partnerschaftliche Zusammenarbeit über Kontinente hinweg zur gemeinsamen Resilienz beitragen kann.