In Europa scheint das Momentum für eine ambitionierte Klimapolitik vorüber. Grüne Parteien verlieren an Boden, konservative und rechtspopulistische Kräfte gewinnen an Einfluss. „Peak Green“, titelte jüngst Ernst Hillebrandt hier im IPG-Journal – und traf damit einen Nerv. Doch seine Diagnose bleibt unvollständig. Denn während Europa in eine Phase grüner Ernüchterung eintritt, entfaltet sich in Ost- und Südostasien eine gegensätzliche Dynamik. In Ländern wie Japan, Südkorea, Vietnam und China gilt der Klimawandel längst als zentrale Herausforderung – und zugleich als Hebel für Wachstum, Technologie und Wettbewerbsfähigkeit.

Die Gesellschaften der Region sind sich der Risiken des Klimawandels schmerzlich bewusst. Politische und wirtschaftliche Eliten stufen ihn in Befragungen regelmäßig als größte Bedrohung ein – noch vor Arbeitslosigkeit oder geopolitischen Spannungen. Laut dem Southeast Asia Climate Outlook Survey 2024 erwarten knapp 60 Prozent der Befragten, dass der Klimawandel ihr Leben in den nächsten zehn Jahren deutlich beeinträchtigen wird; rund drei Viertel sorgen sich um die Ernährungssicherheit. In Südkorea sehen 85 Prozent, in Japan 81 Prozent und auf den Philippinen über 90 Prozent den Klimawandel als ernste Gefahr – deutlich mehr als in vielen europäischen Ländern.

In der gesamten Region wird der Klimawandel als reale Gefahr für Wohlstand, Sicherheit und Zukunftschancen begriffen. Dieses Bewusstsein prägt politische Prioritäten und wirtschaftliche Strategien – in einer Deutlichkeit, die Europa zuletzt verloren hat. Am deutlichsten zeigt sich diese Dynamik in China, wo klimaverträgliches Wachstum Teil einer langfristigen industriepolitischen Strategie ist. Keine andere Volkswirtschaft verknüpft Investitionen in grüne Technologien so eng mit geopolitischem Kalkül und wirtschaftlicher Modernisierung. Die industriepolitische Steuerung schafft durch langfristige Subventionen, Kreditprogramme und Planungszyklen entscheidende Anreize.

Die industriepolitische Steuerung schafft durch langfristige Subventionen, Kreditprogramme und Planungszyklen entscheidende Anreize.

Das Ergebnis: Heute stammen rund 80 Prozent der weltweit produzierten Solarmodule aus chinesischer Fertigung; bei Batterien liegt der Anteil bei über 60 Prozent. Gleichzeitig drängen chinesische Automobilhersteller wie BYD, Geely oder SAIC auf internationale Märkte und überholen westliche Wettbewerber bei Stückzahlen, Exporten und Innovationszyklen. 2024 exportierte China erstmals mehr Elektroautos als Deutschland und Japan zusammen.

Gerade dieser Industriezweig zeigt schmerzhaft, woran es Europa fehlt: an Verlässlichkeit und Vertrauen in die eigene Strategie. Das Engagement, das China seit den 2000er Jahren zeigt, war auch in Europa einst spürbar – der European Green Deal und das vorläufige Verbrenner-Aus zeugen davon. Doch was nützen ambitionierte Ziele, wenn sie im Wochentakt infrage gestellt werden? Wenn staatliche Impulse in den Chefetagen verhallen und der politische Diskurs von einem Kulturkampf von rechts getrieben wird, der uns mit Bildern von Geschwindigkeit, Motorenlärm und Benzingeruch ein – ehrlich gesagt ziemlich männlich codiertes – Freiheitsgefühl einredet?

Auch jenseits von China ist das Momentum klar erkennbar. Südkorea investiert Milliarden in Wasserstofftechnologien und Kreislaufwirtschaft, Japan verknüpft Klimaschutz mit technologischer Innovation – von Energieeffizienz bis zur Digitalisierung der Stromnetze. Beide Länder zeigen damit, dass Klimapolitik kein Widerspruch zur Sicherung industrieller Führungspositionen sein muss. Konzerne wie Hyundai, SK oder LG Energy Solution prägen weltweit Standards bei Batterien und Brennstoffzellen, während etwa Mitsubishi und Panasonic Maßstäbe in Effizienz- und Steuerungstechnologien setzen. Hier zeigt sich, wie sich Industriestaaten zugleich mit und gegen China positionieren können: Sie erkennen die chinesische Dominanz in bestimmten Wertschöpfungsketten an, versuchen jedoch gezielt jene Segmente zu besetzen, in denen Peking noch keine vollständige Vorherrschaft erreicht hat.

Auch Entwicklungsstaaten wie Vietnam und Indonesien verstehen grünes Wachstum als Teil ihrer wirtschaftlichen Aufholstrategie. In Vietnam unterstützt die Just Energy Transition Partnership den Umbau der Energieinfrastruktur, um Zukunftsindustrien wie Halbleiterfertigung und Datenzentren anzusiedeln. Indonesien verknüpft seine grüne Industriepolitik mit Rohstoffsouveränität: Nickel und Bauxit dürfen nur noch exportiert werden, wenn sie im Land weiterverarbeitet werden – etwa in der Batterie- und Solarproduktion.

So unterschiedlich die Ansätze auch sind, das Prinzip ist ähnlich: Klimapolitik wird als Langstreckenprojekt verstanden – jenseits von Legislaturzyklen, als Verbindung von Wohlstandssicherung und Emissionsreduktion. Dahinter steht zugleich ein normativer Anspruch: das Recht auf Entwicklung als Bestandteil globaler Klimagerechtigkeit. All das ist richtig – und doch müssen auch die Schattenseiten dieser Entwicklung benannt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien geht mit einem anhaltend hohen Kohleverbrauch einher, um den wachsenden Energiehunger zu stillen. Das rasante Wachstum hinterlässt massive ökologische Spuren – von Smog und Luftverschmutzung bis hin zu Wasserknappheit.

Grünes Wachstum funktioniert nur, wenn es sektorübergreifend organisiert wird.

In Vietnam etwa zeigte der Fall Formosa Ha Tinh Steel, wie gravierend die ökologischen und gesellschaftlichen Kosten industrieller Modernisierung sein können: 2016 verseuchte ein taiwanischer Stahlkonzern mit Chemieabfällen weite Teile der zentralvietnamesischen Küste. Hunderttausende Menschen verloren ihre Lebensgrundlage, Proteste wurden schnell unterdrückt.

Der Vorfall bleibt ein Mahnmal für die Risiken einer Entwicklung, die ökologische Standards den Wachstumszielen unterordnet. Zivilgesellschaftliche Kritik findet nur begrenzt Gehör – vor allem in autoritär regierten Staaten, in denen ökologische Bewegungen kaum institutionelle Räume haben. Diese Realität gilt es anzuerkennen: die Ambivalenz zu sehen, ohne sie gegeneinander aufzurechnen.

Ein weiteres Puzzleteil der Erfolgsformel zeigt wiederum China: Grünes Wachstum funktioniert nur, wenn es sektorübergreifend organisiert wird. In den Worten von Adam Tooze: „Auf der einen Seite brauchen wir Solarzellen, auf der anderen Elektroautos – und dazwischen alles andere: Batterien, Stromleitungen, Ladestationen, industrielle Prozesse, selbst die Landwirtschaft.“ In Deutschland zählt es zu den Erfolgen der Transformation, dass im Jahr 2025 mehr als 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen werden. Gleichzeitig hinken der Gebäude- und Bausektor immer wieder ihren Klimazielen hinterher, ähnlich wie der Verkehrssektor.

Der Blick nach Ost- und Südostasien zeigt: „Peak Green“ ist kein Naturgesetz. Menschen, Staaten und Unternehmen der Region haben verstanden, dass Klimapolitik Zukunftssicherung bedeutet. Wenn Europa seine Wettbewerbsfähigkeit und seine ökologische Glaubwürdigkeit bewahren will, muss es erkennen, dass Klimaschutz und Wohlstand keine Gegensätze sind – sondern zwei Seiten derselben Zukunft.