US-Präsident Donald Trump hat in diesem Sommer Zölle gegen fast 100 Länder verhängt. Das hat die Märkte erschüttert, Proteste in den Hauptstädten der Verbündeten ausgelöst und Handelsrechtler auf den Plan gerufen. Das Weiße Haus behauptet zwar, es setze die Zölle als Druckmittel ein, um (unter anderem) Handelsdefizite auszugleichen, aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Würden die Zölle wirklich auf die Verringerung von Handelsdefiziten zielen, wäre die Logik einfach: Die höchsten Zölle würden Ländern auferlegt, in denen der Wert der US-Importe den Wert der US-Exporte im Verhältnis zur Größe der US-Wirtschaft am deutlichsten übersteigt. Die größten bilateralen Warenhandelsdefizite – China ausgenommen – bestehen demnach gegenüber der Europäischen Union, Mexiko, Vietnam und Japan.
Bei einer defizitorientierten Politik stünden diese Volkswirtschaften an der Spitze. Stattdessen zahlt die EU nur 15 Prozent, Mexiko 25, Vietnam 20 und Japan 15 Prozent. Höhere Zölle treffen jedoch Länder, mit denen die USA sogar Überschüsse oder nur minimale Defizite haben – etwa Brasilien mit 50 Prozent oder Laos mit 40.
Wäre das Ziel der Zölle tatsächlich der Abbau von Handelsdefiziten, müssten jene Länder mit den größten Defiziten besonders stark belastet werden. Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall: Die höchsten Zölle entfallen auf Staaten, gegenüber denen die USA nur geringe Defizite oder sogar Handelsüberschüsse haben.
Das Weiße Haus von Trump belohnt Anpassung, bestraft Unabhängigkeit und nimmt Sektoren ins Visier, die mit strategischen Rivalen verbunden sind.
Ginge es bei den Zöllen um Druckmittel, würden jene Länder am meisten zahlen, die stark vom US-Markt abhängig sind, aber selbst wenig importieren – etwa Vietnam, Guyana, Kambodscha, Mexiko und Nicaragua. Mit Ausnahme Mexikos, für das ein Zollsatz von 25 Prozent gilt, liegen die Zölle für all diese stark von den USA abhängigen Länder bei höchstens 20 Prozent. Die höchsten Zölle hingegen treffen Staaten, die vergleichsweise wenig vom US-Markt abhängig sind – etwa Brasilien und Indien.
Weder Defizite noch Druckmittel erklären diese Zahlen. Stattdessen ergeben sie mehr Sinn, wenn man sie durch die Brille der Politik betrachtet. Das Weiße Haus von Trump belohnt Anpassung, bestraft Unabhängigkeit und nimmt Sektoren ins Visier, die mit strategischen Rivalen verbunden sind. Nehmen wir Bosnien und Herzegowina: Das Land ist ein vernachlässigbarer US-Defizitpartner mit minimaler Abhängigkeit von den USA, aber sein Werben um chinesische Infrastrukturinvestitionen (darunter Wasserkraftprojekte und Autobahnen im Rahmen von Chinas Initiative Neue Seidenstraße) positioniert es als politisch fehlangepasst.
In ähnlicher Weise ist das mit einem Zollsatz von 40 Prozent belegte Myanmar ein vernachlässigbarer Defizitpartner der USA und nur in sehr geringem Maße von ihnen abhängig. Es bleibt jedoch stark von der militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung Chinas abhängig und hat seit dem Putsch von 2021 seine Verteidigungsbeziehungen zu Russland intensiviert.
Serbien, das mit einem Zollsatz von 35 Prozent belegt ist, weist ein geringes US-Defizit und eine ähnlich geringe Abhängigkeit von den USA auf, zeichnet sich aber durch seine strategische Ausrichtung im Energie- und Sicherheitsbereich auf Russland aus (das Land ist auf russisches Gas angewiesen und hatte wiederholt US-Sanktionsbefreiungen für sein mit Russland verbundenes Ölunternehmen erhalten). Brasilien ist einer der wenigen ins Visier genommenen Handelspartner, gegenüber denen die USA einen kleinen Handelsüberschuss erzielen. Als wichtiger Eisenerzlieferant genießt das Land jedoch inmitten sich verändernder globaler Lieferketten ein wachsendes strategisches Gewicht im Bergbau, und es hat sich geweigert, Trumps politischen Forderungen nachzugeben.
Der Zugang zum US-Markt ist zum politischen Privileg geworden, das an Bedingungen geknüpft und widerrufbar ist und zur Überwachung der Angleichung genutzt wird.
Andere waren da weitaus nachgiebiger. Die EU hat eine stärkere Anhebung vermieden, indem sie sich zur Zusammenarbeit bei Exportkontrollen und beim Datenaustausch bereiterklärte. Australien sicherte sich den Basissatz von zehn Prozent, indem es seine Verteidigungsbeziehungen zu den USA vertiefte. Japans Zollsatz stieg, blieb aber unter dem Höchstsatz, nachdem es seine Halbleiterpolitik an die US-Ziele angepasst hatte.
Die Verwendung von Zollsätzen zur Belohnung der Einhaltung von US-Zielen und zur Bestrafung von Autonomie ist ein scharfer Bruch mit dem regelbasierten System, das unter dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und dessen Nachfolger, der Welthandelsorganisation (WTO), vorherrschte. Zwar verknüpften auch die US-Präsidenten Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama den Handel mit Sicherheitszielen, doch taten sie dies durch formelle Abkommen und multilaterale Vereinbarungen, die den guten Willen bewahrten. Trumps Vorgehen ist unverblümt, schnell und öffentlichkeitswirksam – von der Ankündigung reziproker Zölle am als „Tag der Befreiung“ bezeichneten 2. April (unter Berufung auf Notstandsbefugnisse) über die Neufassung vom 31. Juli und die Erhöhung der Kupferzölle im August bis hin zur Entscheidung, die Zollfreigrenze von 800 Dollar abzuschaffen.
Der Zugang zum US-Markt ist zum politischen Privileg geworden, das an Bedingungen geknüpft und widerrufbar ist und zur Überwachung der Angleichung genutzt wird. Dieser Ansatz mag kurzfristig Erfolge bringen. Er birgt jedoch die Gefahr, die Bündnisse und Institutionen zu schwächen, welche die wirtschaftliche Macht der USA über Jahrzehnte hinweg gestärkt haben. Trumps Zollpolitik ist kein wirtschaftlicher Plan – er ist eine Scorecard und bildet die strategischen Prioritäten dieser Regierung ab.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Originalartikels von Project Syndicate.
Aus dem Englischen von Jan Doolan