Das linke Wahlbündnis „Vereinigte Linke“, dem auch Ihre Partei angehörte, ist bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015 in Polen gescheitert. Damit sind zum ersten Mal seit 1989 keine <link kommentar artikel sejm-oder-nicht-sejm-das-ist-hier-die-frage-1387>linken Parteien im Sejm vertreten. Im Februar 2016 haben Sie mit anderen eine neue linke Bewegung gegründet, die „Initiative Polen”. Wer sind die Mitglieder und was ist ihr Ziel?
Zu den Mitgliedern zählen Menschen, die progressive Werte vertreten, die sich um die Belange der jüngeren Generation kümmern wie Bildung, Menschenrechte, Zugang zum Arbeitsmarkt, und Menschen, die Dialog und Kooperation bevorzugen. Es sind Menschen, die verschiedenen Parteien angehören. Ich bin Ko-Vorsitzende von „Deine Bewegung“, es gibt Mitglieder aus anderen kleineren linken Parteien, des Bundes der Demokratischen Linken (SLD), der Grünen und auch Parteilose. Wir wollen keine Partei sein, sondern gemeinsam zu bestimmten wichtigen Themen, wie Wohnen und Bildung, arbeiten.
Wie versuchen Sie, Einfluss auf die Regierung zu nehmen, ohne im Parlament vertreten zu sein?
Zunächst wurden wir als Vertreter der Sozialdemokratie Mitglied im Komitee für die Verteidigung der Demokratie (KOD). Dies ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die spontan im Internet entstanden ist, als die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) begann, das Verfassungsgericht zu demontieren. Wir haben an Demonstrationen teilgenommen und wurden Teil dieses Komitees. Dann wurden wir Teil der Koalition unter dem Schirm des KOD, die aus der Mehrzahl der Oppositionsparteien besteht. Unsere Aufgabe ist, das Komitee zu unterstützen. Wir bilden natürlich keine Koalition aus Sozialdemokraten und Neoliberalen, aber wir haben gewisse gemeinsame Anliegen, wie zum Beispiel unser Protest gegen die Zerstörung staatlicher Institutionen durch die PiS.
Die beiden von der Regierung im Eiltempo verabschiedeten Gesetze zu den öffentlich-rechtlichen Medien und zum Verfassungsgericht haben scharfe Proteste ausgelöst. Wie halten Sie von diesen Gesetzen?
Wir haben das Gesetz, welches das Verfassungsgericht quasi außer Gefecht setzt, vehement abgelehnt. Weil es nicht nur um das Verfassungsgericht als solches geht, sondern weil es ein Schritt hin zu einer autokratischen Regierungsform darstellt. Wenn das Gericht paralysiert ist und ihm nicht vertraut wird, verschiebt sich die Macht gänzlich auf die Regierung. Das ist zutiefst undemokratisch.
Das Mediengesetz war nur ein Schritt mehr in die Richtung, dass die Regierung die öffentlichen Medien absolut dominiert, was auch gegen demokratische Grundsätze verstößt. Wir haben auch gegen das neue Anti-Terror-Gesetz protestiert. Es greift viel zu stark in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ein. Da die PiS die Mehrheit im Parlament hat, kann sie tun, was sie will. Sogar durch die Art, wie sie die Gesetze verabschiedet, bricht sie Gesetze und Regeln. Das können wir nicht verhindern, wir können nur auf die Fehler und Gefahren dieser Gesetze aufmerksam machen.
Dies ist allerdings schwierig, da wir keinen Zugang zu den Medien haben. Wir werden von den Fernsehsendern nicht eingeladen. Wir haben wenig Instrumente, um die Öffentlichkeit zu informieren. Wir nutzen das Internet und private Medien und organisieren Demonstrationen.
Welche anderen Gesetzesvorlagen gibt es, die problematisch sind?
Vor zwei Monaten haben ultrakonservative, rechtsextreme Organisationen eine Vorlage für ein neues Abtreibungsgesetz eingebracht, das Abtreibung gänzlich verbietet. Im Moment ist Abreibung erlaubt bei Vergewaltigung, wenn der Fötus nicht lebensfähig oder das Leben der Mutter in Gefahr ist. Ein solches Gesetz würde die Menschenrechte von Frauen massiv verletzen. Natürlich können zivilgesellschaftliche Organisationen Vorschläge machen und dafür Unterschriften sammeln. Aber Ministerpräsidentin Beata Szydło und der Vorsitzende der PiS, Jarosław Kaczyński, haben bereits gesagt, dass sie es unterstützen würden.
Um das zu verhindern, haben wir ein Komitee gegründet, das einen eigenen Vorschlag vorgelegt hat, der Abtreibung legalisieren würde. Wenn das Parlament zwei Vorschläge aus der Zivilgesellschaft vorliegen hat, die weit auseinander liegen, könnte es sich für das bestehende Gesetz als Kompromiss entscheiden. So hoffen wir, diesen Unsinn zu stoppen.
In unserem Gesetzesvorschlag fordern wir auch die Einführung von Sexualkundeunterricht in den Schulen, den es derzeit nicht gibt, uneingeschränkten Zugang zu Verhütungsmitteln und die Veröffentlichung der Namen derjenigen Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibung verweigern.
Weitere problematische Entwicklungen betreffen den Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt und die Zunahme an Übergriffen auf Homosexuelle. Die Polizei tut nichts, um dies zu verhindern. Es gibt keine Gesetze, die registrierte Partnerschaften zwischen Homosexuellen erlauben oder gar die Homoehe. Wir haben das vorgeschlagen, aber die vorherige konservative Regierung hat das blockiert.
Sehen Sie eine echte Gefahr, dass Polen autokratisch wird?
Ja, die sehe ich. Alle Zeichen weisen darauf hin. Kaczyński ist nicht daran interessiert, Institutionen am Leben zu halten, die ihn kontrollieren können. Er hat gezeigt, dass der Präsident nicht zählt. Der Präsident tut, was der Parteivorsitzende ihm sagt, einschließlich des Absegnens von Gesetzen und Nominierungen mitten in der Nacht. Der Präsident ist nicht mehr wichtig für die polnische Gesellschaft. Kaczyński nennt die Ministerpräsidentin ein „Experiment“ – eine etwas merkwürdige Sicht auf die eigene Regierung. Jeder in Polen weiß, dass er die Minister ernennt. Da nun das Verfassungsgericht lahmgelegt ist, wird ihn nichts mehr aufhalten, die Dinge so zu gestalten, wie es ihm gefällt, seien es die Medien, sei es die Polizei, sei es die Justiz. Das alles ist ein großer Schritt in Richtung einer autokratischen Regierungsform.
Besteht auch die Gefahr einer zunehmend antieuropäischen Haltung?
Die polnische Gesellschaft ist proeuropäisch. Es wäre nicht so einfach für Kaczyński, das zu ändern. Polen profitiert von der EU-Mitgliedschaft auch in finanzieller Hinsicht. Die PiS ist klug genug, diese Kanäle nicht zu kappen. Aber sie spielt die Bedeutung der EU herunter. Sie spricht von Souveränität, die natürlich wichtig ist. Die Polen haben sich in ihrem Referendum für die Mitgliedschaft in der EU und damit für das Abgeben eines gewissen Grades an Souveränität ausgesprochen. Und die Mehrheit der Polen ist damit einverstanden.
Die nächsten Parlamentswahlen in Polen sind im Jahr 2019. Vorher finden einige Kommunalwahlen statt. Haben Sie einen Plan, was Sie bis dahin erreichen wollen?
Wir haben Positionen für verschiedene Szenarien erarbeitet. Wenn sich die PiS zum Beispiel zu sehr in Richtung Autoritarismus bewegt, ist nicht ausgeschlossen, dass sich eine sehr große Koalition gegen die PiS bildet, um die Demokratie zu verteidigen. Das zweite Szenario besteht darin, dass die Linke wieder Vertrauen zurückgewinnt. Das bedeutet viel Basisarbeit, das Kümmern um die Anliegen der Menschen, gute Praxisbeispiele und Lösungen anzubieten – das, was wir in der „Initiative Polen“ versuchen zu tun. Die Kommunalwahlen sind sehr wichtig, insbesondere für unsere Mitglieder, die viel in den Stadträten gearbeitet haben. Ziel ist zu zeigen, dass sozialdemokratische Politik funktioniert, nützlich und effektiv ist.
Da die Wahlen in Polen komplex sind, sind wir nicht sicher, ob wir uns auf alle Kommunalwahlen konzentrieren sollten. Wichtig sind vor allem die Europa-Wahlen 2019. Ich hoffe, dass die europäische sozialdemokratische Familie Vertreter aus Polen haben wird.
Die Fragen stellte <link ipg unsere-autoren autor ipg-author detail author anja-papenfuss>Anja Papenfuß.




