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Ein deutlicher Sieg von Wladimir Putin war zu erwarten. Gab es dennoch Überraschungen bei der Wahl?

Das Ziel der Putin-Kampagne „70/70“, also 70 Prozent der Stimmen für Putin bei 70 Prozent Wahlbeteiligung  wurde weitestgehend erreicht mit 76 Prozent für den Präsidenten bei 67 Prozent Wahlbeteiligung. Von den anderen sieben zugelassenen Kandidatinnen und Kandidaten hat es nur einer über die Zehn-Prozent-Marke geschafft – der für die Kommunistische Partei angetretene Pawel Grudinin brachte es auf immerhin knapp zwölf Prozent - und das ist die eigentliche kleine Überraschung. Der im Vorfeld medial massiv diffamierte Grudinin hat offenbar in Abwesenheit des nicht zur Wahl zugelassenen Alexey Nawalny den Großteil der Proteststimmen auf sich vereinen können, denn trotz der großen Zustimmung für Putin gibt es eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Menschen, die mit den gegenwärtigen Bedingungen, vor allem im Bereich Sozial- und Gesundheitspolitik, nicht einverstanden sind. An den realen Fakten ändert dies aber ebensowenig wie die schon fast endemisch auftretenden und nachgewiesenen Fälle von Wahlfälschung oder Einschüchterung am Wahltag. Fazit: Wladimir Putin hat nachgewiesen, dass mehr als zwei Drittel der russischen Bevölkerung hinter ihm stehen und seinen Kurs für mindestens weitere sechs Jahre unterstützen. Auch wenn sich Europa noch immer etwas anderes wünschen mag, muss es dies zur Kenntnis nehmen bei der künftigen Strategie, sofern es eine solche im Umgang mit Russland überhaupt gibt.

Es ging weniger um Themen oder alternierende Politikentwürfe, als darum, den vorab feststehenden Gewinner in den vorgegebenen Zielkorridor „70/70“ zu bringen.

Was waren die Themen des Wahlkampfs?

Die Anstrengungen des Putin-Lagers, einerseits eine dringend notwendige hohe Wahlbeteiligung zur demokratischen Legitimierung des Favoriten zu mobilisieren und der Wahl andererseits ein demokratisches Antlitz zu geben, waren enorm – nichts wurde dem Zufall überlassen. Es ging dabei weniger um Themen oder alternierende Politikentwürfe, als darum, den vorab feststehenden Gewinner in den vorgegebenen Zielkorridor „70/70“ zu bringen. Dabei ging man kein Risiko ein: der einzig ernstzunehmende Gegner – nicht im Kampf um den Sieg, wohl aber um wichtige Prozente –, Alexey Nawalny, wurde nicht zugelassen. Die anderen sieben Kandidaten waren absolut chancenlos. Während sich diese Zählkandidaten in teilweise peinlichen Live-TV-Debattenrunden aufrieben und diskreditierten, trat Putin lediglich mit seiner präsidialen Rede zur Lage der Nation auf und hielt sich komplett aus den Kandidatendebatten heraus. Der Wahltag selbst war ganz zufällig auf den Jahrestag der Krim-Annexion, oder in russischer Diktion, des „Tages der Heimholung der Krim“ gelegt worden – mehr Erinnerung an patriotische Verantwortung ging kaum. Selbst für russische Verhältnisse beispiellos jedoch waren die massiven Instrumente der Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler zur Teilnahme an den Wahlen – meist verbunden mit einer netten Wahlempfehlung. Abstimmungszwang in Kollektiven, Änderung des Wahlrechts – erstmals war es möglich, nicht am gemeldeten Wohnsitz zu wählen, sondern an dem Ort, an dem man sich am Wahltag aufhält – und eine flächendeckende sms-Kampagne mit der Aufforderung „die richtige Wahl zu treffen“ haben ihre Wirkungen offenbar nicht verfehlt.

Haben die jüngsten Spannungen zwischen Großbritannien und Russland noch eine Rolle gespielt?

Die Spannungen im Zuge des noch immer nicht vollständig aufgeklärten Nervengasanschlages auf Sergey Skripal und seine Tochter haben zu einer Mobilisierung der Putin-Wähler beigetragen. Jeder „Angriff von außen“, wie die russischen Medien die Schuldzuweisungen der britischen Regierung und der europäischen Partner darstellen, wird als Angriff auf den Präsidenten und das Land gewertet. Bedrohungen von außen, ob real oder konstruiert, haben bisher immer zum patriotischen Schulterschluss von Russlands Bevölkerung mit ihren Machthabern geführt.

Es wird ungleich schwerer als in Deutschland, Südafrika oder Brasilien, im Gastgeberland Russland ekstatische Fußballstimmung aufkommen zu lassen.

Russland wird auch als Austragungsort der Fußball WM im Fokus stehen. Hat das Auswirkungen auf die russische Politik?

Für Wladimir Putin ist die Ausrichtung der FIFA-Fußball-WM im eigenen Land eine großartige Gelegenheit, der Welt im Zuge des größten globalen Sportereignisses mit der entsprechenden medialen Aufmerksamkeit ein Land zu präsentieren, das ein sicheres, perfekt organisiertes und unvergessliches Turnier realisieren kann. Noch immer sitzt der Groll tief über die aus russischer Sicht ungerechte, einseitige und hämische Berichterstattung über die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi – so etwas darf sich aus russischer Sicht nicht wiederholen. Es wird allerdings ungleich schwerer als in Deutschland, Südafrika oder Brasilien, im Gastgeberland Russland ekstatische Fußballstimmung aufkommen zu lassen. Russlands Nationalsport ist das Eishockey, gefolgt von Basketball – Fußball spielt nicht die erste Geige und die derzeitige Fußballnationalmannschaft hat nur geringe Außenseiterchancen, über das Achtelfinale hinaus zu kommen. Ein frühes Ausscheiden des Gastgebers würde viele Russen sicher eher auf ihre Datscha treiben, als in die Stadien, um anderen Nationen zuzuschauen.

Das Momentum der Fußball-WM 2006 („Willkommen bei Freunden“), welches das Gastgeberland Deutschland auch gesellschaftlich enorm beflügelte und entkrampfte, ist nicht auf Russland 2018 übertragbar. Die Fußball-WM 2018 wird kaum oder keine Auswirkungen auf die derzeitige russische Außenpolitik eines destruktiv-aggressiven Isolationismus und auch innenpolitisch keinerlei Einfluss auf die derzeitige Machtvertikale des Kreml haben. Sie soll aber der Welt zeigen, welch großes Potential Russland hat, wie gastfreundlich die Menschen hier sind und wie perfekt und sicher man Mega-Veranstaltungen in Zeiten großer Terrorgefahr umsetzen kann.