Die Fragen stellte Philipp Kauppert.

Trotz der aktuellen Waffenruhe in Gaza sehen wir weiterhin israelische Militäroperationen, mit jüngsten Berichten über neue Angriffe und Opfer. Funktioniert Trumps sogenannter Friedensplan, der kürzlich vom UN-Sicherheitsrat unterstützt wurde?

Was wir im Moment haben, ist eine Waffenruhe, keinen Friedensplan. Es als Friedensplan zu bezeichnen, schafft falsche Erwartungen. Die Region kennt seit Tausenden von Jahren unterschiedliche Formen von Vereinbarungen, daher ist die Vorstellung, dies sei etwas völlig Neues, schlicht falsch. Worte sind wichtig: Wenn man etwas einen Friedensplan nennt, schließen die Menschen daraus, dass der Frieden gescheitert ist, sobald die Vereinbarung verletzt wird. Aber es gibt keine Friedensvereinbarung. Es gibt eine Waffenruhe – und diese wird gebrochen.

Die Vereinigten Staaten haben sich als Schiedsrichter positioniert, aber die Interpretationen des Dokuments gehen dramatisch auseinander. Der Text spricht von einem palästinensischen Staat, während Premierminister Netanjahu darauf besteht, dass er sich gegen einen solchen Staat richtet. Der Text fordert die Entwaffnung der Hamas, doch die Hamas lehnt eine Entwaffnung ausdrücklich ab. Die erste Phase war bedeutsam: Die meisten lebenden Geiseln wurden übergeben, ebenso wie die meisten Leichen. Die eigentliche Frage ist jedoch, ob eine der beiden Seiten bereit ist, in die zweite Phase einzutreten. Für die Hamas würde dies das Ende ihrer quasi-militärischen Herrschaft in Gaza bedeuten; für Israel eine politische Anerkennung eines Weges hin zu einem palästinensischen Staat. Keine der beiden Seiten scheint dazu bereit. In diesem Sinne könnten sowohl die Hamas als auch die aktuelle israelische Regierung es vorziehen, in Phase 1 stecken zu bleiben.

Zur Aussicht auf einen palästinensischen Staat: Sehen Sie irgendwelche politischen Akteure, die die Verhandlungen realistischerweise wieder aufnehmen könnten?

Im Moment ist Trump der einzige Akteur, der den notwendigen Einfluss besitzt, um auf einen palästinensischen Staat zu drängen. Wenn er darauf besteht, könnte sich etwas bewegen. Wenn nicht, bewegt sich nichts. Der nächste wichtige Moment auf israelischer Seite sind die Wahlen im Oktober 2026. Niemand weiß, was passieren wird, aber es scheint unwahrscheinlich, dass Netanjahu als Premierminister zurückkehrt – obwohl natürlich alles möglich ist. Eine neue Regierung könnte sich dem Thema anders nähern. Vor den Wahlen wird niemand offen über einen palästinensischen Staat sprechen, weil man fürchtet, als „links“ abgestempelt zu werden. Nach den Wahlen könnten einige Parteien das Thema wieder auf die Agenda setzen. Meine eigene Partei, die Demokratische Partei, wird sich auf jeden Fall dafür einsetzen, und andere könnten sich anschließen. Letztlich muss Israel anerkennen, dass es ohne eine definierte Grenze und ohne einen palästinensischen Staat an seiner Seite weder jüdisch noch demokratisch bleiben kann. Niemand möchte die Bedingungen des südafrikanischen Apartheidregimes reproduzieren. Auf palästinensischer Seite liegt das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und nach einem Ende der Besatzung ohnehin klar auf der Hand.

Das zentrale Hindernis heute ist die Ausweitung der Siedlungen.

Das zentrale Hindernis heute ist die Ausweitung der Siedlungen. Als die Oslo-Abkommen unterzeichnet wurden, lebten rund 100 000 Siedler im Westjordanland; heute sind es mehr als eine halbe Million. Wenn Menschen also sagen, sie unterstützten eine Zwei-Staaten-Lösung, frage ich: Wie wollen Sie diese umsetzen? Kein israelischer Premierminister wird all diese Siedler evakuieren. Deshalb haben Hiba Husseini und ich Vorschläge erarbeitet, um die Siedlungsfrage anzugehen – ein Thema, das in der Oslo-Ära weit weniger zentral war. Damals dominierten andere Fragen die Debatte, etwa Jerusalem und die Flüchtlinge. Unser Vorschlag ist die Schaffung einer palästinensisch-israelischen Konföderation, um einen neuen Rahmen für die Verhandlung einer dauerhaften Friedenslösung zu schaffen. Anstatt Massenumsiedlungen zu verlangen, würden die beiden souveränen Staaten Israel und Palästina ihren Bürgern erlauben, auf beiden Seiten der Grenze unter vereinbarten rechtlichen Bedingungen zu leben.

Wie spiegelt sich diese Debatte in der israelischen Gesellschaft wider? Gibt es Initiativen, die politischen Führungspersonen Druck für einen neuen Ansatz machen?

Die Idee ist zurück auf der Tagesordnung. Vor einigen Jahren galt die Zwei-Staaten-Lösung in weiten Kreisen als ziemlich unrealistisch. Der dominante Ansatz war, den Konflikt „zu managen“: das Leben im Westjordanland und im Gazastreifen zu verbessern, soziale Systeme zu stärken, von den Palästinensern verantwortungsvolles Verhalten zu verlangen und so weiter – ohne den politischen Kern des Konflikts anzugehen.

Heute wird die Zwei-Staaten-Lösung wieder ernsthafter diskutiert. Netanjahus Beharren darauf, sie abzulehnen, zeigt ebenso, dass er den Druck durchaus spürt. Trumps etwas widersprüchliche Aussagen – „Ihr könnt einen Staat haben, zwei Staaten, was immer ihr wollt“ – halten das Thema ebenfalls am Leben. Sein schriftlicher Plan geht eindeutig von einem palästinensischen Staat aus. Zudem tragen diplomatische Initiativen aus Saudi-Arabien und Frankreich, verschiedene UN-Resolutionen und die wachsende internationale Unterstützung für einen palästinensischen Staat dazu bei, die Frage wieder auf die globale Agenda zu setzen. Natürlich wird nichts passieren, wenn die Parteien selbst sich nicht bewegen. Und erneut: Leider ist Trump der Einzige, der die Macht besitzt, einen Durchbruch zu erzwingen. Dennoch ist es der internationalen Gemeinschaft gelungen, das Thema wieder nach oben zu bringen.

Wie sehen Sie Deutschlands derzeitige Rolle, auch mit Blick auf seine Wirkung innerhalb Europas? Könnte Deutschland eine aktivere Rolle bei der Förderung von Frieden spielen?

Deutschland war lange äußerst zurückhaltend. Das israelische Friedenslager würde sich wünschen, dass Berlin aktiver wird, aber wir verstehen Deutschlands historischen Kontext. Die Unterscheidung zwischen der Unterstützung Israels und der Unterstützung der israelischen Regierung ist theoretisch klar, aber in der Praxis verschwimmt sie oft. Kritik an der Regierungspolitik wird häufig als Kritik an Israel selbst wahrgenommen.

Deutschland weiß, dass die Zwei-Staaten-Lösung das einzige realistische Ergebnis ist, hat den palästinensischen Staat jedoch nicht anerkannt. Dennoch ist es wichtig, dass das Thema wieder Teil der öffentlichen Debatte wird. Deutschlands Dilemma – zwischen dem historischen Bekenntnis zum jüdischen Staat und dem Bekenntnis zu den Menschenrechten nach 1945 – bleibt ungelöst. Es lässt sich nicht einfach „lösen“; Deutschland muss immer wieder zwischen diesen Prinzipien navigieren. Ich glaube, Deutschland könnte mehr tun, um die Debatte zu stimulieren. Früher gab es viele öffentliche Veranstaltungen, Konferenzen, Diskussionen – in Thinktanks und akademischen Einrichtungen. Heute gibt es weniger davon. Schon eine lebhaftere Debatte würde helfen, die internationale Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten.

Mit Blick auf die israelische Innenpolitik und die kommenden Wahlen: Wie stehen die Chancen für demokratische und friedensorientierte Kräfte angesichts der starken Polarisierung?

Es ist sehr schwer vorstellbar, dass das Mitte-links-Lager die Wahlen gewinnt. Das beste Szenario wäre eine Koalition zwischen der linken Mitte und dem Bennett-Lager – ähnlich der Regierung, die vor zwei Jahren existierte. Es wäre eine instabile Koalition, geeint vor allem durch den Widerstand gegen Netanjahus Versuch, die Justiz umzubauen – gegen seine sogenannte „juristische Revolution“ – und durch die Opposition gegen Netanjahu selbst, den ersten amtierenden Premierminister, gegen den wegen Bestechung und anderer Vergehen Anklage erhoben wurde.

Die entscheidende Frage ist, ob das Mitte-links-Lager den Friedensprozess beeinflussen könnte.

Die entscheidende Frage ist, ob das Mitte-links-Lager den Friedensprozess beeinflussen könnte, selbst wenn Naftali Bennett Premierminister wäre. Das ist schon einmal passiert. In einer früheren Regierung Netanjahus erklärte dieser, es gebe „keine Chance“ auf Frieden, er sagte aber auch, er werde andere nicht daran hindern zu verhandeln. Netanjahu bat daraufhin Tzipi Livni, damals Justizministerin, die Gespräche mit den Palästinensern zu führen. Diese liefen zwei Jahre lang. Am Ende scheiterten sie – hauptsächlich wegen Netanjahu –, aber das Modell zeigt, dass Einfluss möglich ist, ohne das Amt des Premierministers zu halten.

Doch seien wir realistisch: Das Mitte-links-Lager wird keine Mehrheit gewinnen. Das Ziel ist, unser Lager zu stärken, Wähler zu mobilisieren und die Fragmentierung zu verhindern, die uns in vergangenen Wahlen entscheidende Sitze gekostet hat. Wir müssen zudem eine hohe Wahlbeteiligung unter arabischen Staatsbürgern sicherstellen, deren Teilnahme entscheidend ist, um das Potenzial des demokratischen Lagers auszuschöpfen. Selbst dann könnte das Mitte-links-Lager eher ein ausschlaggebender Partner in Koalitionsverhandlungen werden als die führende Kraft. Es ist unwahrscheinlich, dass wir jemanden wie Yair Lapid erneut als Premierminister sehen, obwohl es nicht komplett ausgeschlossen ist. Lapid unterstützt klar eine Zwei-Staaten-Lösung – er hat sie als Premierminister sogar vor den UN erklärt –, aber die politische Landschaft macht ein solches Szenario eher unwahrscheinlich.

Was könnte eine überzeugende Alternative zu Netanjahus Narrativen und zu seiner Politik sein – etwas, das in der breiten Öffentlichkeit Anklang findet?

Über die militärische Strategie in Gaza hinaus muss die Alternative eine politische Lösung für den Konflikt sein. Ob Führungspersonen dies vor den Wahlen explizit als Zwei-Staaten-Lösung benennen oder nicht: Sie sollten bereit sein, sich nach den Wahlen dafür einzusetzen. Die meisten politischen Akteure – einschließlich Netanjahu in der Vergangenheit, wenn auch nicht Bennett – haben dies irgendwann einmal unterstützt.

Es gibt zudem weitere entscheidende Fragen, die Israels Zukunft prägen. Eine ist die Wehrpflicht für die ultraorthodoxe Gemeinschaft – ein zentrales Thema für jede künftige Regierung. Eine andere ist die breitere liberale Agenda: die Stärkung der Justiz und der institutionellen „Gatekeeper“ der israelischen Demokratie. Diese Themen vereinen große Teile des demokratischen Lagers, auch wenn sie keine gemeinsame Vision für Frieden teilen. Bedauerlicherweise gehört die Frage nach einem Weg zum Frieden nicht zu dem gemeinsamen Nenner, der potenzielle Koalitionspartner verbindet. Das ist die politische Realität, der wir gegenüberstehen.