Am 18. September 2016 finden in Russland die Parlamentswahlen statt. Wie wichtig ist diese Wahl? Und welchen Einfluss kann die Duma auf die Politik von Vladimir Putin nehmen?

Auch wenn allgemein die Meinung vorherrscht, die Parlamentswahlen in Russland seien in einem autokratisch geprägten Land eine zu vernachlässigende Größe und deren Ergebnis ohnehin bereits "organisiert", stellt sich die Realität viel differenzierter dar. Viele Analysten erwecken den Eindruck, die Duma stelle das demokratische Gegenstück zum straff autokratisch geführten Kreml dar. Zumindest für die letzte Duma kann dies nicht gelten. Viele Gesetzesvorlagen, die die letzte Duma eingebracht und beschlossen hatte, gingen sogar über die Vorstellungen des Präsidenten hinaus – erinnert sei hier an das verschärfte "NGO-Gesetz" oder das neue "Telekommunikationsgesetz".

Trotzdem gilt auch weiterhin, dass die wichtigen Entscheidungen im Kreml gefällt werden und nicht im Parlament. Der Einfluss der Duma auf den Präsidenten wird weiterhin sehr überschaubar bleiben. Auch in der neuen Duma werden parteiübergreifend Abgeordnete sitzen, die mit den derzeit geltenden Prinzipien der russischen Außen- und Sicherheitspolitik, wie auch der innenpolitischen Doktrin einverstanden sind. Interessant werden kann allerdings die Debatte zu den enger werdenden Spielräumen im Bereich Wirtschafts- und Sozialpolitik vor dem Hintergrund sich leerender Sicherungsfonds, schwer zu bekämpfender Korruption und nach wie vor divergierender Meinungen zur Umsetzung dringend notwendiger Strukturreformen. Wenn es an Einsparungen im sozialen Bereich und im Militärbereich geht, werden zuallererst die Duma-Abgeordneten ihren Wahlkreisen Rede und Antwort stehen müssen. Dies wäre aus heutiger Sicht das eigentlich mögliche Spannungsfeld der Zukunft zwischen Parlament, Regierung und Präsident.

Wie wird der Wahlkampf geführt und welche innen- und außenpolitischen Themen stehen im Mittelpunkt?

Von einem Wahlkampf im klassischen Sinn mit alternierenden Konzepten und Chancengleichheit aller demokratischen Akteure kann schwerlich gesprochen werden. Es herrschen weder Wechselstimmung noch breite Unzufriedenheit mit der Regierungspartei und der Systemopposition vor. Insofern haben es die meist von jungen Unterstützern getragenen Oppositionskräfte von Jabloko oder PARNAS besonders schwer, ihre Botschaften und Konzepte einem skeptischen Wahlvolk nahezubringen. Im Vergleich zu 2011 gibt es zwar weniger Behinderungen der Oppositionsparteien und ihrer Kandidaten, die staatlichen Medien jedoch sind nach wie vor für die Systemkandidaten reserviert. Innenpolitische Wahlthemen sind die endemische Korruption, die fragile wirtschaftliche Lage und die Sorge vor sozialen Einschnitten.

Außenpolitisch werden die jüngsten Aktionen in Syrien, die neue Annäherung der Türkei an Russland und allgemein die neue Rolle Russlands als big player auf der Weltbühne in den Vordergrund gestellt. Während die außenpolitischen Erfolge fast ausschließlich der Stärke der Person des Präsidenten zugeschrieben werden, der erst 2018 zur Wahl stehen wird, bleiben die leisen innenpolitischen Zweifel eher an der dominanten Regierungspartei Einiges Russland (ER) von Ministerpräsident Dimitri Medwedew hängen. Obwohl der Präsident sich nicht in den Wahlkampf einmischen darf, zeigt sich Vladimir Putin jedoch in den letzten Tagen vor der Wahl häufiger an der Seite seines Ministerpräsidenten bei offiziellen Terminen.

Prognosen zufolge wird Putin's Partei "Einiges Russland" im Endspurt noch einmal zulegen und etwa 50 Prozent erreichen. Wie sind diese Zustimmungswerte zu erklären?

Seriöse Wahlprognosen sind in Russland eine Rarität, zumal vor einigen Tagen das unabhängige  Lewada-Zentrum als "ausländischer Agent" gelistet wurde und seither keine Umfragen mehr durchführen kann. Uns vorliegende Zahlen und Analysen zeigen kurz vor den Wahlen folgende Trends auf: Es muss mit einer für russische Verhältnisse niedrigen Wahlbeteiligung von 50-55 Prozent gerechnet werden. Politikmüdigkeit, die zersplitterte Opposition und der fehlende Glaube an den Erfolg alternativer Politikkonzepte werden vor allem die Wähler der Oppositionsparteien Jabloko und PARNAS nicht wirklich motivieren, am Sonntag an die Urnen zu kommen. Ganz anders die Stammwählerschaft der Systemparteien "Einiges Russland", KPRF (Kommunistische Partei), LDPR (Schirinovskis Liberaldemokraten): Staatsbedienstete, Militärangehörige und Sicherheitskräfte. Sie haben in den letzten Jahren am meisten von der Politik der Stärke und den Subventionen profitiert. Einiges Russland wird auf den letzten Metern noch einmal zulegen. Die letzte Listung vom Lewada-Zentrum im August sah ER bei gerade einmal 31 Prozent. Nach letzten Umfragen und Analysen wird ER am Sonntag aber circa 44 Prozent der Stimmen holen, die KPRF und die LDPR liefern sich mit je 11 Prozent einen erbitterten Kampf um den zweiten Platz.

Eine der spannendsten Fragen wird sein, ob die Systemopposition Gerechtes Russland (GR) den Wiedereinzug in die Duma schaffen kann. Vom selbst definierten Wahlziel 20 Prozent plus ist GR weit entfernt und muss ernsthaft bangen, die 5-Prozent-Hürde am Sonntag zu nehmen. Jabloko und PARNAS liegen mit weiteren Parteien zwischen 1 Prozent und 2 Prozent und werden den Einzug in die neue Duma wohl verpassen. Nichtsdestotrotz kämpfen die bekanntesten Köpfe der russischen Opposition, Dmitrij Gudkov im Wahlkreis Moskau Tuschino und Vladimir Ryshkov im Wahlkreis Barnaul in Westsibirien um das Direktmandat.

Die nach wie vor hohe Zustimmung zur Regierungspolitik unter Führung von ER ist in erster Linie mit den extrem hohen Popularitätswerten des Präsidenten in Verbindung zu setzen. Der Kreml hatte saubere Wahlen angekündigt, eine neue Chefin der Wahlkommission eingesetzt und Transparenz versprochen. Im Großen und Ganzen ist davon auszugehen, dass dies eingehalten wird – überschaubare Stimmenverluste für ER werden dafür in Kauf genommen, zumal sich die Regierung sicher sein kann, dass es weder eine Machtverschiebung in der Legislative, noch Massenproteste, wie nach den Wahlen 2011, geben wird.