Die spanische Demokratie spiegelt heute die Komplexität und Pluralität ihrer Gesellschaft wider. Im fragmentierten Parlament verfügt die progressive Koalition unter Führung der sozialdemokratischen PSOE derzeit über keine eigene Mehrheit. Dennoch ist es der Regierung von Pedro Sánchez bis zur Mitte der Legislaturperiode gelungen, 42 Gesetze zu verabschieden und sich auch in Europa bei zentralen Themen wie Migration sowie Außen- und Verteidigungspolitik konstruktiv einzubringen. In ihre Amtszeit fielen zudem die Bewältigung der Coronapandemie, die schweren Regenfälle im November 2024, die 228 Menschenleben forderten und Millionenschäden verursachten, sowie der landesweite Stromausfall im April 2025. Die umstrittenste Maßnahme bleibt jedoch zweifellos das Amnestiegesetz von 2024.
Als wäre das nicht genug, wurde die PSOE und ihr Vorsitzender im Frühsommer erneut von einem Korruptionsskandal erschüttert. Ein Bericht der spanischen Guardia Civil erhob schwere Vorwürfe gegen den amtierenden Organisationssekretär der Partei – ebenso wie zuvor schon gegen dessen Vorgänger. Während die Justiz noch ermittelt, hat dieser Fall der PSOE und ihrem Umfeld einen schweren Schlag versetzt. Dennoch bleibt die Regierung im Amt, nicht zuletzt weil es derzeit im Parlament keine Mehrheit für eine andere Regierung gibt.
Die rechtskonservative Volkspartei Partido Popular (PP) hat die Brücken zu den baskischen und katalanischen Nationalisten, die einst ihre Regierungen stützten, hinter sich abgebrochen. Stattdessen sucht die PP heute die Nähe zur radikal rechten Vox, mit der sie in autonomen Regionen und Gemeinden bereits Vereinbarungen geschlossen hat. Damit verfolgt sie derzeit eine Strategie, die ihr laut Umfragen nicht nützt und ihr zugleich die Chance nimmt, mit anderen politischen Kräften Mehrheiten zu bilden.
Im Juni 2018 verlor die PP die Regierungsverantwortung – nach einem Misstrauensantrag im Zuge der Ermittlungen im Korruptionsfall „Gürtel“, in dem die Partei als „kriminelle Vereinigung“ angeklagt war. Seither verfolgt sie als Oppositionspartei eine Strategie der Diffamierung gegenüber den progressiven Regierungen, denen sie pauschal „Illegitimität“ vorwirft. Unter Missachtung demokratischer Prinzipien dient dieser Vorwurf als Deckmantel für eine aggressive Kampagne gegen den amtierenden Premierminister, die von rechten und rechtsextremen Akteuren in den sozialen Medien getragen und von einigen Medien aufgegriffen wird. Dazu kommen gebetsmühlenartig wiederholte Rücktrittsforderungen sowie unzählige Beleidigungen und Herabsetzungen des Regierungschefs als Person. Mitunter verfängt diese Kampagne auch außerhalb Spaniens, selbst in progressiven Medienorganen, und führt zur Verbreitung der haltlosen Behauptungen und Anschuldigungen.
Die Debatte über die Rechtmäßigkeit des Amnestiegesetzes ist legitim und notwendig.
Einer der Höhepunkte dieser „Strategie der permanenten Spannung“ war die Verabschiedung des umstrittenen Amnestiegesetzes von 2024 für Personen, die wegen ihrer Beteiligung an der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung – dem sogenannten procés – angeklagt waren. Dieses Gesetz entfachte den Zorn von PP und Vox, nicht jedoch den Widerstand der übrigen Fraktionen: Im Kongress stimmten 177 Abgeordnete dafür, 172 dagegen. Das Verfassungsgericht bestätigte im Juni 2025 die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes und stellte in seinem Urteil klar, dass es sich um eine politische Entscheidung handle, die dem Parlament vorbehalten sei und zur Versöhnung sowie zur Überwindung des Konflikts beitrage.
Die Debatte über die Rechtmäßigkeit des Amnestiegesetzes ist legitim und notwendig. Politisch kann man unterschiedlicher Auffassung sein – wie etwa die Europäische Kommission in einer Stellungnahme vom vergangenen Juni. Darin kritisierte sie das Eilverfahren bei der Verabschiedung des Gesetzes, verwies auf die Abhängigkeit der Regierung von den Stimmen der katalanischen Nationalisten im Parlament und gab zu bedenken, es könne sich um eine Form der „Selbstamnestie“ handeln. Zugleich stellte sie klar, dass die spanische Justiz hierfür unmittelbar zuständig sei.
Das Gesetz kann jedoch aus drei Gründen nicht als „illegitim“ betrachtet werden. Erstens: Es wurde mit einer parlamentarischen Mehrheit verabschiedet. Zweitens: Es ist vom Verfassungsgericht gebilligt worden. Und drittens – nicht weniger wichtig – hat es dazu beigetragen, politische Spannungen abzubauen und den sozialen Zusammenhalt einer gespaltenen Gesellschaft zu stärken. Kritik und Debatte sind notwendig und willkommen. Doch unbegründete Opposition und ständige Anfechtung ohne Alternativvorschläge führen nicht weiter.
Ein weiteres, von den Konservativen täglich vorgebrachtes Argument betrifft die angebliche Vereinnahmung unabhängiger Institutionen durch regierungsnahe Personen. Auch hier ist eine Debatte notwendig – etwa darüber, was es konkret bedeutet, wenn die spanische Zentralbank als „unabhängig“ gilt. Unabhängigkeit heißt, dass sie keine direkten Weisungen der Regierung erhält. Etwas anderes ist jedoch die Annahme, der Gouverneur der Banco de España müsse frei von Ideologie sein. Die postulierte „Ideologiefreiheit“ als Grundsatz für öffentliche Ämter ist einer jener Mythen, den der Neoliberalismus etabliert hat. In dieser Debatte geht es darum, einerseits die Unabhängigkeit und die Professionalität der Institutionen zu wahren und andererseits den Mythos der Ideologiefreiheit zu überwinden. Denn wenn Spanien von einer demokratisch legitimierten progressiven Regierung geführt wird – wäre es da wirklich „passender“, die Banco de España einem Neoliberalen anzuvertrauen?
Die konservative PP rückt derzeit weiter an die Positionen ihres Konkurrenten im rechten Spektrum, der rechtsradikalen Vox, heran.
Wer die Kritik an den jüngsten Ernennungen hört, könnte meinen, diese Koalitionsregierung habe das Verfahren zur Besetzung solcher Ämter verändert. Das ist jedoch keineswegs der Fall: Es handelt sich um dasselbe Verfahren wie in den vergangenen Jahrzehnten, als auch rechte Regierungen bei Ernennungen auf ihnen genehme Profile zurückgriffen. Das heißt nicht, dass es nicht sinnvoll wäre, diese Verfahren zu überprüfen. Doch handelt es sich weder um ein Problem, das erst die aktuelle Regierung geschaffen hätte, noch um ein Übel, das zuvor nicht existiert hätte. Die Kritik wirkt daher eher wie eine Strategie der permanenten Zermürbung als wie verantwortungsvolle Oppositionsarbeit.
Die konservative PP rückt derzeit weiter an die Positionen ihres Konkurrenten im rechten Spektrum, der rechtsradikalen Vox, heran. Dies kann auch den Respekt vor den Institutionen untergraben, wie sich jüngst zeigte: Parteichef Alberto Núñez Feijóo verweigerte kürzlich die Teilnahme an der feierlichen Eröffnung des Gerichtsjahres. Er begründete dies mit laufenden Verfahren gegen den anwesenden Generalstaatsanwalt und schadete mit dieser Politisierung dem Ansehen der demokratischen Institutionen Spaniens.
Eine funktionierende Demokratie braucht eine Opposition, die die Regierung kritisiert, analysiert und kontrolliert, die Maßnahmen hinterfragt und eigene Vorschläge einbringt – und dabei die Grundregeln der Demokratie respektiert. Eine Opposition hingegen, die immer wieder die Grenze zur Desinformation überschreitet und eine gewählte Regierung als „illegitim“ bezeichnet, gefährdet das gesellschaftliche Zusammenleben und stellt die Fundamente der Demokratie infrage. Werden diese Grenzen überschritten, während die extreme Rechte auf dem Vormarsch ist, bedeutet das ein Spiel mit dem Feuer.