Die politische Auseinandersetzung um das „Organgesetz zur Amnestie für die institutionelle, politische und soziale Normalisierung in Katalonien“ hat die Spannungen in Spanien offengelegt. Es ist ein höchst umstrittenes Gesetz, denn Befürworter und Gegner verfolgen gegensätzliche Ansätze für ein Problem, das nicht nur juristischer, sondern vor allem politischer Natur ist und für die spanische Gesellschaft insgesamt, besonders aber für Katalonien, eine große Bedeutung hat.

Was sollte mit den Befürwortern der Abspaltung Kataloniens geschehen, nachdem ihr Versuch gescheitert war? Zwar gelang es der spanischen Demokratie, den sezessionistischen Angriff abzuwehren. Doch danach galt es, die inneren Wunden zu heilen. Die bloße Inhaftierung der Anführer und die strafrechtliche Verfolgung Tausender Anhänger angesichts eines im Kern politischen Konflikts sind nicht ausreichend. Diese Ansicht teilt auch die Mehrheit des spanischen Parlaments.

Die Rechte, bestehend aus der konservativen Partido Popular (PP) und der rechtspopulistischen Vox, vertrat die Ansicht und hält bis heute daran fest, dass die Anführer in Haft bleiben und alle Angeklagten in den laufenden Verfahren strafrechtlich verfolgt werden sollten. Jegliche Zugeständnisse an Versöhnungsbemühungen lehnt sie ab.

Das Amnestiegesetz wurde im Parlament, das für die Gesetzgebung zuständig ist, mit absoluter Mehrheit verabschiedet. Die Rechte warf den Sozialisten vor, dafür auf die Stimmen der Unabhängigkeitsbefürworter angewiesen gewesen zu sein. Dabei sei daran erinnert: In einem demokratisch gewählten Parlament haben alle Stimmen das gleiche Gewicht – eine Selbstverständlichkeit, die manche gerne vergessen.

Die Rechte erklärte das Gesetz für verfassungswidrig und organisierte zahlreiche Straßenproteste, um einen angeblichen „Angriff auf die Demokratie“ anzuprangern. Parallel dazu setzte sie in sozialen Netzwerken und Medien auf eine hartnäckige Kampagne, um die angebliche Verfassungswidrigkeit zu belegen.

Inzwischen hat jedoch das Verfassungsgericht – als einzige zuständige Institution – festgestellt, dass das Gesetz mit der Verfassung im Einklang steht.

Inzwischen hat jedoch das Verfassungsgericht – als einzige zuständige Institution – festgestellt, dass das Gesetz mit der Verfassung im Einklang steht. Die Behauptung, die unter anderem von Cristina Ramirez hier im IPG-Journal vorgebracht wurde, es habe „den demokratischen Test nicht bestanden“, trifft daher nicht zu. Gleichwohl hält die spanische Rechte an dieser These fest und attackiert nun zusätzlich den Präsidenten des Verfassungsgerichts, weil er ihrem Druck nicht nachgegeben hat – eine kuriose Form der angeblichen Verteidigung des Rechtsstaats.

Unabhängig von seiner Verfassungsmäßigkeit hat das Amnestiegesetz – zusammen mit weiteren Maßnahmen der Regierung – dazu beigetragen, dass die Unabhängigkeitsbefürworter im katalanischen Parlament ihre absolute Mehrheit verloren. Zudem wurden politische Entscheidungen angestoßen, die die sozialen Spannungen in Katalonien verringert haben. Unter der neuen Regierung unter Führung des Sozialisten Salvador Illa kamen Themen auf den Tisch, die die Unabhängigkeitsbewegung über Jahre mobilisiert und die die politische wie wirtschaftliche Entwicklung Kataloniens belastet hatten.

Dabei handelt es sich um komplexe Fragen, die einen regionalen Konsens, Absprachen mit der Zentralregierung sowie Gesetzesänderungen im Abgeordnetenhaus erfordern: etwa das Finanzierungssystem der Autonomen Gemeinschaft, Zuständigkeiten im Schienenverkehr, die Erweiterung des Flughafens Barcelona, Entscheidungsbefugnisse in der Einwanderungspolitik oder staatliche Investitionen in Katalonien – um nur die wichtigsten zu nennen.

Am wichtigsten ist jedoch: Die Verabschiedung des Amnestiegesetzes und die damit verbundenen Entscheidungen über die Kompetenzen der Autonomen Gemeinschaften haben bewirkt, dass jene Kräfte, die Spanien den Rücken kehren wollten, nun wieder an den Debatten im Parlament teilnehmen. Sie tun dies selbstverständlich aus der Perspektive ihres eigenen politischen Projekts – ein Projekt, das wir Sozialisten nicht teilen, aber respektieren. Diese Anerkennung der Legitimität unterschiedlicher Vorhaben, deren Vertreter im Dialog aufeinandertreffen, verhandeln und Kompromisse schließen müssen, bildet das Fundament des parlamentarischen Demokratiesystems.

Für ein richtiges Verständnis der politischen Lage in Spanien sind zwei Aspekte entscheidend: die Amtseinführung von Pedro Sánchez und die grundlegende Debatte über das Modell der territorialen Organisation des Landes.

Seit ihrer Niederlage im Parlament betrachtet die Partido Popular Pedro Sánchez als illegitimen Ministerpräsidenten.

Nach den Parlamentswahlen vom 23. Juli 2023 stellte die Partido Popular mit 137 Sitzen die größte Fraktion. König Felipe VI. beauftragte daher deren Vorsitzenden Alberto Núñez Feijóo mit dem Versuch, die Mehrheit des Abgeordnetenhauses zu gewinnen. Doch Feijóo scheiterte: Sein einziger Verbündeter war die rechtsextreme Vox. Keine andere Fraktion war bereit, sich seinem Projekt anzuschließen. Daraufhin nominierte der König den amtierenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. Die PSOE, die 121 Sitze errungen hatte, sicherte sich mit insgesamt 179 Stimmen die Mehrheit und Sánchez wurde erneut zum Regierungschef gewählt.

Seit ihrer Niederlage im Parlament betrachtet die Partido Popular Pedro Sánchez als illegitimen Ministerpräsidenten. Sie stellte die Gültigkeit seiner Amtseinführung infrage, nutzte ihre Mehrheit im Senat, um Initiativen der Regierung wie des Abgeordnetenhauses zu blockieren, griff systematisch auf juristische Mittel zurück, um – erfolglos – ihre Thesen zu untermauern, und entwickelte eine Erzählung, die auf Falschmeldungen, Halbwahrheiten und Gerüchten basiert. All dies trägt lediglich zur Polarisierung und zur Zuspitzung der notwendigen Debatte zwischen Regierung und Opposition bei. Ein solches Verhalten entspricht nicht dem demokratischen Anspruch, den man von einer Partei mit konstruktiver Ausrichtung und mit Regierungsambitionen erwarten darf.

So wichtig all dies für das Verständnis der spanischen Innenpolitik ist – der eigentliche Konflikt betrifft das Selbstverständnis des spanischen Staates. Spanien ist aufgrund seiner Geschichte, des ausgeprägten Nationalgefühls in Teilen seines Territoriums, seiner unterschiedlichen Sprachen und kulturellen Traditionen sowie seiner politischen Geografie ein sehr vielfältiges Land. Die Partido Popular – ebenso wie Vox – leugnet de facto diese Pluralität und lehnt jeden Fortschritt in Richtung territorialer Selbstverwaltung ab. Genau deshalb ist Pedro Sánchez Regierungschef – und Alberto Núñez Feijóo genießt im Parlament nicht das notwendige Vertrauen.

Die Wahrung der Demokratie ist, wie Cristina Ramírez zu Recht betont, eine vorrangige Aufgabe der Linken. Meiner Ansicht nach sollte sie ebenso für die demokratische Rechte gelten. Demokratie gründet jedoch in erster Linie auf dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Dieses Vertrauen schwindet, wenn die Menschen den Eindruck haben, dass ihr Wohlstand abnimmt, während sich der Reichtum – und damit auch die Chancen – auf immer weniger, dafür immer reichere Menschen konzentriert. Es erodiert, wenn Rechte und extreme Rechte gemeinsam Ängste und Unsicherheit schüren. Das Vertrauen gerät in Gefahr, wenn Gerüchte, Fake News, Halbwahrheiten, Hassrede und Polarisierung in unseren Gesellschaften triumphieren. Und es setzt das Verständnis sowie die Anerkennung der Pluralität Spaniens und der Identitätsgefühle in seinen verschiedenen Regionen voraus.

Deshalb ist es entscheidend, nicht der hartnäckigen und wirkungsvollen Propaganda zu erliegen, mit der uns die extreme Rechte beständig bombardiert. Die Verschlechterung der demokratischen Kultur in Spanien ist nicht das Werk von Pedro Sánchez und seiner Regierung, sondern das einer Rechten und einer extremen Rechten, die sich als Eigentümerinnen der Institutionen des Landes verstehen.

Lesen Sie in der Debatte auch die Gegenposition im Artikel „Macht um jeden Preis?“ von Cristina Ramirez.