Kritiker haben die USA schon immer als egoistisches Land dargestellt, das seine Macht rücksichtslos ausspiele, ohne sich um das Wohl anderer zu kümmern. Die Handelspolitik von Präsident Donald Trump jedoch ist derart fehlgeleitet, unberechenbar und selbstzerstörerisch, dass selbst die am stärksten überzeichneten derartigen Beschreibungen schmeichelhaft erscheinen. Dennoch haben seine handelspolitischen Dummheiten auf verdrehte Weise auch das Versagen anderer Länder offengelegt, indem sie diese gezwungen haben, darüber nachzudenken, was ihre Reaktionen über ihre eigenen Absichten und Fähigkeiten aussagen.

Es heißt, der wahre Charakter eines Menschen offenbare sich im Angesicht von Widrigkeiten, und das gilt auch für Länder und ihre politischen Systeme. Trumps Frontalangriff auf die Weltwirtschaft war für alle ein Schock, aber er bot Europa, China und verschiedenen Mittelmächten zugleich die Gelegenheit, deutlich zu machen, wer sie sind und wofür sie stehen. Er war eine Einladung, die Vision einer neuen Weltordnung zu formulieren, welche die Ungleichgewichte, Ungerechtigkeiten und die Nichtnachhaltigkeit der alten Ordnung überwinden kann und nicht – im Guten wie im Schlechten – von der Führung eines einzelnen mächtigen Landes abhängt. Aber nur wenige haben sich dieser Herausforderung gestellt.

Die vielleicht größte Enttäuschung war in dieser Hinsicht die Europäische Union. Gemessen an der Kaufkraft ist sie fast so groß wie die USA – ihr Anteil an der Weltwirtschaft beträgt 14,1 Prozent, verglichen mit den 14,8 Prozent der USA und den 19,7 Prozent Chinas. Zudem haben die meisten europäischen Länder trotz des jüngsten Aufstiegs der extremen Rechten einen Rückfall in den Autoritarismus vermieden. Als Ansammlung demokratischer Nationalstaaten, deren geopolitische Ambitionen andere nicht bedrohen, hat Europa sowohl die Macht als auch die moralische Autorität, eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Stattdessen hat es jedoch erst herumgeeiert und sich dann Trumps Forderungen gebeugt.

Die vielleicht größte Enttäuschung war in dieser Hinsicht die Europäische Union.

Europas Ambitionen waren stets engstirnig und provinziell, doch ist nicht einmal klar, ob es mit seinem Einknicken vor Trump seinen eigenen unmittelbaren Interessen gedient hat. Der Handschlag-Deal zwischen Trump und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, vom Juli sieht 50-prozentige Zölle auf europäische Stahl- und Aluminiumexporte, 15-prozentige Zölle auf die meisten anderen Exporte und die Verpflichtung Europas zu lächerlich hohen Energieimporten aus den USA vor. Selten hat sich die strukturelle Schwäche der EU als Zusammenschluss von Ländern ohne kollektives Identitätsgefühl deutlicher gezeigt.

China hat sich härter gezeigt, indem es mit eigenen Zöllen energisch zurückschlug und die Ausfuhr wichtiger Mineralien in die USA einschränkte. Trumps rachsüchtige, selbstzerstörerische Außenpolitik hat China geholfen, seinen Einfluss auszuweiten und seine Glaubwürdigkeit als verlässlicher Partner der Entwicklungsländer zu stärken. Doch hat es die chinesische Führung zugleich versäumt, ein praktikables Modell einer post-neoliberalen Weltwirtschaftsordnung zu formulieren. Insbesondere hat China wenig Interesse daran gezeigt, die beiden globalen Ungleichgewichte zu beseitigen, die es durch seinen eigenen großen Außenhandelsüberschuss und den Überschuss seiner inländischen Ersparnisse gegenüber den Investitionen verursacht hat.

Derweil haben sich die kleineren Länder und Mittelmächte größtenteils still verhalten und in der Hoffnung, den Schaden für ihre jeweiligen Volkswirtschaften zu begrenzen, unabhängige Verhandlungen mit Trump geführt. Eine Ausnahme ist Brasilien, dessen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sich als einer der wenigen vorbildlichen Staatsoberhäupter gezeigt hat und sich weigert, vor Trump zu kriechen. Trotz Strafzöllen von 50 Prozent und gezielter persönlicher Angriffe hat er die Souveränität, Demokratie und unabhängige Justiz seines Landes mit Stolz verteidigt. Die New York Times hat es so formuliert: „Es gibt vielleicht keinen Staats- oder Regierungschef auf der Welt, der Präsident Trump so sehr die Stirn bietet wie Herr Lula.“

Eine derartige Führungsstärke wurde weltweit schmerzlich vermisst. In Indien weist der politische Kommentator Pratap Bhanu Mehta darauf hin, dass viele wirtschaftliche und politische Eliten nach Wegen suchen, um Trump entgegenzukommen. Doch dabei, so Mehta, würden sie ihn und die Welt, die er erschafft, falsch verstehen. Zu jedem anderen Zeitpunkt der jüngeren Geschichte hätte man das Verhalten der Trump-Regierung sofort als das bezeichnet, was es ist: als Imperialismus – schlicht und einfach.

Ein gemeinsames Ziel zu finden, ist vielleicht die größere Herausforderung.

Man darf Imperialismus nie hinnehmen, sondern muss ihm Widerstand leisten, und das erfordert sowohl Macht als auch Zielstrebigkeit. Natürlich halten die USA die Zügel der Weltwirtschaft schon sehr lange in der Hand. Der Dollar ist als Ankerwährung fest etabliert, und der US-Markt ist nach wie vor von herausragender Bedeutung. Doch sind diese Vorteile heute weniger ausgeprägt als früher. Es würde der politischen Logik und den Gesetzen wirtschaftlicher Schwerkraft widersprechen, wenn ein Land, das lediglich 15 Prozent der Weltwirtschaft kontrolliert (nach Kaufkraftparität), allen anderen die Spielregeln diktieren könnte. Auch wenn die übrige Welt nach wie vor gespalten ist, so haben doch alle ein gemeinsames Interesse daran, den Trump’schen Imperialismus abzuwehren – und sich daher zusammenzutun, um seinen Forderungen Widerstand zu leisten.

Ein gemeinsames Ziel zu finden, ist vielleicht die größere Herausforderung. Wenn Trump „gewinnt“, dann nur, weil andere große Volkswirtschaften nicht imstande (oder willens) waren, einen alternativen Rahmen für die Weltwirtschaft zu formulieren. Sich nach traditionellem Multilateralismus und globaler Zusammenarbeit zu sehnen – wie es viele taten, die Ziel von Trumps Zorn waren –, ist nicht sehr hilfreich und signalisiert lediglich Schwäche.

Die Welt braucht neue Ideen und Prinzipien, um sowohl die Instabilitäten und Ungerechtigkeiten der Hyperglobalisierung als auch die zerstörerischen Auswirkungen einer Politik zulasten seiner Nachbarn zu vermeiden. Es ist unrealistisch, ein neues Bretton-Woods-Abkommen zu erwarten. Dennoch können Mittelmächte und große Volkswirtschaften diese Prinzipien vorleben, indem sie diese in ihre eigene Politik einfließen lassen.

Trumps Handlungen haben den anderen einen Spiegel vorgehalten, und die meisten sollten erkennen, dass ihr Spiegelbild kein schöner Anblick ist. Zum Glück ist ihre scheinbare Hilflosigkeit selbst verschuldet. Es ist noch nicht zu spät, Selbstbewusstsein über Demütigung zu stellen.

© Project Syndicate

Aus dem Englischen von Jan Doolan