Der mit viel Aufwand stabil gehaltene Wechselkurs des argentinischen Pesos zum US-Dollar ist einer der zentralen Pfeiler der Mileischen Wirtschaftspolitik. Doch das Vertrauen, dass die Regierung den Kurs halten könne, schwand nach einer verpatzten Provinzwahl und erfolgreichem parlamentarischen Widerstand gegen Mileis Politik rasant. Und mit ihm die relative Stabilität des Pesos. Wie so oft in Krisenzeiten flohen die Argentinier in den US-Dollar. Die Währungsspekulanten zogen mit, die Nachfrage nach US-Dollar stieg rasant an. Um den Kurs innerhalb der von der offiziellen Wechselkursspanne zu halten, musste die Zentralbank ihre Devisenreserven auf den Markt werfen. In nur drei Tagen verkaufte sie 1,1 Milliarden US-Dollar aus ihren Reserven. Das aber machte die Gläubiger nervös, denn ohne Devisenreserven kein Schuldendienst. Der Risikoaufschlag für argentinische Staatsanleihen verdoppelte sich innerhalb eines Monats auf 1456 Punkte.
Erst ein Tweet des US-Finanzministers Scott Besset infolge hektischer Notfall-Diplomatie durchbrach die Spirale. „Das US-Finanzministerium ist bereit, im Rahmen seines Mandats alles Notwendige zu tun, um Argentinien zu unterstützen“, schrieb Besset. Der Peso stabilisierte sich, die Märkte beruhigten sich. Die Versorgung mit US-Dollar sei gesichert, so die Botschaft. Die politische Symbolik ist eindeutig: Die ideologische Achse zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem libertären Vorzeigefreund Milei wird zur ökonomischen Lebensader Argentiniens. Offiziell ist über Art, Umfang und Konditionen der Vereinbarung wenig bekannt – die argentinische Opposition wittert den Ausverkauf an die USA. Zudem bleibt unsicher, ob die Unterstützung der USA ausreicht, um den Peso stabil und Milei so bis zur Zwischenwahl am 26. Oktober den Rücken freizuhalten.
Der Tanz am Abgrund offenbart die ganze Unzulänglichkeit von Mileis Wirtschaftspolitik.
Der Tanz am Abgrund offenbart die ganze Unzulänglichkeit von Mileis Wirtschaftspolitik, für das liberale internationale Kommentatoren den selbsternannten Anarcho-Kapitalisten zuletzt noch gelobt hatten: Ausgaben kürzen, Regulierung aufheben, Inflation eindämmen, Währung stabil halten. Doch das Währungsregime war von Beginn an nie nachhaltig. Es ist angewiesen auf einen stetigen Zustrom frischer US-Dollar: aus Exporten, zurückgeführten Ersparnissen und IWF-Krediten. Das Problem ist, dass die Dollar nicht in produktive Sektoren fließen. Stattdessen wirft die Zentralbank sie auf den Markt, um den Kurs zu stabilisieren. Anschließend verlassen sie das Land schnell wieder. Im August wurden – nur von Privatpersonen – externe Vermögenswerte in Höhe von 3,2 Milliarden US-Dollar gebildet. Ein Schneeballsystem: ständige Dollarzufuhr von außen, um einen künstlichen Gleichgewichtszustand aufrechtzuerhalten, während Argentinien stetig neue Staatsschulden anhäuft.
Ein umfassenderes und langfristiges wirtschaftspolitisches Konzept für den notwendigen Aufschwung fehlt unterdessen komplett. Die Regierung setzt keinerlei nennenswerte Impulse für Investitionen, Produktion oder Konsum. Im Gegenteil: mit der berühmten Kettensäge kürzt die Regierung Mileis vor allem die staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen, Infrastrukturentwicklung, Gesundheit und Bildung. Die inländische Kreditvergabe ist durch hohe Zinssätze und restriktive Mindestreserven gehemmt. Produktive Investitionen bleiben aus, und die beschäftigungsintensivsten Sektoren schrumpfen. Unklar bleibt, wo nachhaltig die notwendigen Reserven für den Schuldendienst generiert werden sollen.
In dem Maße, in dem er wirtschaftspolitisch entzaubert wird, gerät Milei auch politisch unter Druck. Immer mehr Senatoren, Gouverneure und Abgeordnete stellen den Regierungskurs infrage. So kippte das Parlament am 17. September unter dem Jubel Tausender Demonstrierender auf den Straßen von Buenos Aires die Vetos des Präsidenten gegen zwei symbolträchtige Gesetze zur Finanzierung öffentlicher Universitäten und einer Kinderklinik – mit einer Zweidrittelmehrheit.
Die Menschen wollen endlich die Erfolge der wirtschaftlichen Rosskur spüren.
Und auch der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet. Die Menschen wollen endlich die Erfolge der wirtschaftlichen Rosskur spüren. Mileis Partei La Libertad Avanza (LLA) schnitt bei den Regionalwahlen in der Provinz Buenos Aires Anfang September mit 34 Prozent unerwartet schwach ab. Milei selbst hatte diese Wahl im Vorfeld zur entscheidenden Abstimmung über die Regierungspolitik erklärt – immerhin leben in der Provinz auch mehr als ein Drittel aller argentinischen Wählerinnen und Wähler.
Es bröckelt nicht nur der Glauben an Mileis Wirtschaftspolitik, sondern auch seine Glaubwürdigkeit mit Blick auf sein zweites zentrales Wahlversprechen: mit der Korruption und der Bereicherung der politischen Elite, der von ihm sogenannten „Kaste“ aufzuräumen. Vor den Provinzwahlen wurden Korruptionsvorwürfe gegen seine engste Vertraute Karina Milei öffentlich, seine Schwester und Leiterin des Präsidialamts. Und Ende September geriet der Vorsitzende des Haushaltsausschusses und damalige Spitzenkandidat der LLA-Liste der Stadt Buenos Aires, José Luis Espert, in Erklärungsnot, als Zahlungen eines verurteilten Drogenhändlers an ihn publik wurden. Entgegen aller erdrückenden Beweise tut Milei beide Fälle als Verleumdungskampagnen der Opposition ab – und verliert damit auch sein Image als kompromissloser Aufräumer.
Entsprechend gespannt blickt Argentinien daher auf die nationalen Zwischenwahlen Ende Oktober, bei der die Hälfte der Abgeordnetenkammer und ein Drittel des Senats neu besetzt werden. Da die zur Wahl stehenden Mandate vor der Gründung von Mileis Partei LLA besetzt wurden, hat die Regierung bei dieser Wahl eigentlich nichts zu verlieren. Doch politisch braucht Milei ein Zeichen der Zustimmung - und schlicht mehr Stimmen in beiden Kammern, um sein Programm weiterverfolgen zu können. Denn Milei regiert ohne eigene Mehrheit. Seine Partei hält nur 38 der 257 Sitze im Abgeordnetenhaus sowie sieben der 72 Sitze des Senats. Regieren konnte er bislang auch ohne formale Koalition, dank der parlamentarischen Unterstützung anderer Parteien und mit Präsidialdekreten und -vetos.
Politisch steht Milei also bereits mit dem Rücken zur Wand und sein wirtschaftspolitisches Modell bleibt ein Spiel mit hohem Risiko, bei dem am Ende die argentinische Bevölkerung die Rechnung in Form hoher Staatsverschuldung zahlt. Bereits wenige Wochen nach der Intervention der USA steigt der spekulative Druck auf Argentinien wieder. Von Stabilität kann keine Rede sein.