Ist das nun der Durchbruch, der den Schrecken ohne Ende beendet? Viele Fragezeichen bleiben noch beim von Präsident Donald Trump forcierten Waffenstillstand in Gaza – dennoch ist es der erfolgversprechendste Versuch seit zwei Jahren, diesen militärisch völlig sinnlos gewordenen Krieg zu beenden. Es ist besonders den letzten noch lebenden Geiseln, die ein fast zweijähriges Martyrium hinter sich haben, und der zutiefst geschundenen Zivilbevölkerung von Gaza zu wünschen, dass der Deal gelingt. Dass der Schlüssel zum Kriegsende in Washington liegt, ist seit langem offensichtlich. Ohne amerikanisches Geld, Waffen und diplomatisches Backing hätte Israel diesen Feldzug nicht führen können. Und auch heute ist klar, dass Premier Netanyahu wenig Einsicht hat. Seine rechte Regierung würde diesen Krieg weiterführen, gäbe es grünes Licht aus dem Weißen Haus.

Dort allerdings hat sich das Kalkül verändert. Die geopolitischen Kosten sind für Amerika offensichtlich zu hoch geworden. Die israelische Attacke auf den US-Alliierten Katar war hier der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das Abrücken der finanzstarken Verbündeten am Golf musste verhindert werden, der Preis ist jetzt der Israel aufgezwungene Waffenstillstand. Hinzu kommt Trumps Lechzen nach internationaler Anerkennung. Gewohnt bescheiden betituliert ihn die X-Seite des Weißen Hauses als „Peace President“. Ehre, wem Ehre gebührt – wenn der brüchige Frieden denn hält. Dafür, dass er hält allerdings, ist das Ketten des Waffenstillstands an den pathologischen Narzissmus des Staatsoberhaupts nicht die schlechteste Garantie.

Innenpolitisch übersteigen die Kosten des Krieges für die USA längst seinen Nutzen.

Innenpolitisch übersteigen die Kosten des Krieges für die USA längst seinen Nutzen. Der einstige „bipartisan consensus“ zur uneingeschränkten Unterstützung Israels bröckelt; Umfragen zeigen eine schwächere Zustimmung in Teilen der US-Bevölkerung, insbesondere bei Wählerinnen und Wählern der Demokraten. Die Lobbytruppe AIPAC, die unlängst noch davon schwadronierte, 90 Prozent der Kongressmitglieder in ihrer Tasche zu haben, entwickelt sich zum toxischen Label. Für Trump ist zudem die Zerreißprobe innerhalb seiner eigenen MAGA-Bewegung relevant: Bedeutende Meinungsmacher fragen zunehmend, wie massive militärische und finanzielle Unterstützungen mit „America First“ zu vereinbaren sind.

Hinzu kommt: Anders als in der Ukraine, wo seine Versuche vorerst gescheitert sind, kann Trump hier einen Frieden erzwingen. Amerika hält alle Trümpfe in der Hand. Es ist für den US-Präsidenten auch eine Machtfrage. „Wer ist hier die verdammte Supermacht?“, hatte Bill Clinton einst nach seinem ersten Treffen mit dem ehrgeizigen, damals noch jungen Premier Netanyahu ausgerufen. Lange schien es als wackele in Sachen US-Nahostpolitik der Schwanz mit dem Hund – und nicht umgekehrt. Trump macht nun klar, wer die Weltmacht ist, und wer das, was MAGA-Chefideologe Steve Bannon verächtlich „Protektorat“ nennt.

Wo aber stehen die Konfliktparteien nach zwei Jahren unerbittlichen Kampfes? Im August 2024 hatte Netanyahu in seinem gespenstigen, von Jubelstürmen unterbrochenen Auftritt vor dem US-Kongress noch den „totalen Sieg“ beschworen. Total ist die Niederlage sicherlich für die palästinensische Zivilbevölkerung. Der israelische Feldzug hinterlässt ein Volk an Ausgebombten, Obdachlosen und Kriegsversehrten. Wohl selten zuvor musste ein Volk ohne Fluchtmöglichkeit über Jahre einen solchen Krieg über sich ergehen lassen. Die Bilder aus Gaza sind wie aus einer Horrordystopie über die letzten Tage der Menschheit.

Für Israel ist die Bilanz dieses Krieges enorm widersprüchlich.

Für Israel ist die Bilanz dieses Krieges enorm widersprüchlich. Das offizielle Kriegsziel war die Vernichtung der Hamas. Daran ist man gescheitert. Auch nach fast zwei Jahren hat es die hochgerüstete Nuklearmacht nicht vermocht, eine primitive Miliz, eingeschlossen in einem Gebiet nicht einmal halb so groß wie die Stadt New York, restlos zu besiegen. Als Guerilla und als politische Macht, mit der zu verhandeln ist, hält sich die Terrortruppe. Eine militärische Gefahr allerdings für das israelische Kernland stellt sie – selbst nach Aussagen ehemaliger israelischer Militärs – schon lange nicht mehr dar. Und darum hätte es ja eigentlich gehen sollen bei der vermeintlich „legitimen Selbstverteidigung“, die Tel-Aviv bis heute für sich reklamiert.

Der militärische Sieg über die Hamas war bereits Anfang 2024 erreicht. Alles, was danach kam, hat diesen Krieg sinnlos verlängert. Sinnlos im Sinne der Selbstverteidigung – die Art des Krieges und die Verlautbarungen aus der israelischen Regierung ließen aber darauf schließen, dass die Kriegsziele viel weitergehender waren. Viele Israelis haben immer lauter kritisiert, dass die Befreiung der Geiseln immer weiter auf der Prioritätenliste nach unten gerutscht ist. Nicht die Hamas war hier der Endgegner, sondern das palästinensische Nationalprojekt sollte nachhaltig zerstört werden. Denn dieses war zum Entsetzen der rechten Kräfte in Israel nach dem 7. Oktober auf der internationalen Agenda wieder ganz nach oben gerückt.

Weit über militärische Notwendigkeit hinaus gingen die Zerstörungen in Gaza. Dies deutet darauf hin, dass es einen Day After nie geben sollte. Eine Terrororganisation, die sich in der Zivilbevölkerung bewegt wie ein Fisch im Wasser, muss vor allem politisch besiegt werden. Die dazu nötige Einbindung alternativer palästinensischer und regionaler Kräfte hat Israel jedoch stets verhindert. Stattdessen Fieberträume von ethnischer Säuberung, die selbst dem US-Präsidenten aufgeschwatzt wurden. Ein immer größerer internationaler Chor an Völkerrechtlern und Genozidexperten stellte völkermordartige Zustände fest.

Zumindest das Schlimmste könnte die Friedensperspektive nun beenden. Die live übertragenen Bilder haben die Reputation Israels in der Welt schwer beschädigt – womöglich nachhaltig. In weiten Teilen des globalen Südens gilt das Land nun als Pariastaat, auch enge Verbündete haben sich entfremdet. Wo Regierungen noch als Partner auftreten, bröckelt der Rückhalt in der Bevölkerung. Und die Aufarbeitung, auch die juristische, steht erst noch aus. Gleichzeitig gibt es einen internationalen Schub für die Zweistaatenlösung – eine zuvor nur noch rhetorisch beschworene Formel, die weitgehend von der Agenda verschwunden war. Der Konflikt ist inzwischen, sehr zum Leidwesen der hegemonialen Kräfte im jüdischen Staat, internationalisiert.

Eine ganze Generation junger Menschen ist mit den Horrorbildern aus Gaza politisiert worden.

Nicht eingerechnet in all dies sind die psychologisch-politischen Folgen. Eine ganze Generation junger Menschen ist mit den Horrorbildern aus Gaza politisiert worden. Nicht nur in der Region, fast in der ganzen Welt. Die Auswirkungen dessen sind noch kaum einzuschätzen, sie könnten sich auch in Jahrzehnten noch offenbaren. In Ablehnung, aber auch in Terror und Extremismus. Warme Frieden, die Versprechung der sogenannten Abraham Accords, jedenfalls könnte es so bald nicht mehr geben. Die arabischen Herrscher mögen dazu bereit sein, ihre Völker immer weniger.

Die geopolitischen Umwälzungen freilich sind beeindruckend. Der Iran ist aus der Levante hinausgedrängt, die Hisbollah besiegt. Doch wie nachhaltig sind diese Entwicklungen ohne diplomatische Absicherung? Denn dazu ist Israel nicht in der Lage. Seine uneingeschränkte Vorherrschaft steht auf tönernen Füßen. Es ist ein vermeintlicher Hegemon, dessen Überlegenheit größtenteils auf jener unbegrenzten amerikanischen Rückversicherung beruht, die es womöglich nicht mehr ewig geben könnte. Die muslimischen Regionalmächte betreiben längst ein Balancing gegen die vom Ausland so abhängige Regionalmacht. Sie haben nun den Waffenstillstand erzwungen, doch bei der Art des Friedens, der folgen soll, werden sie in dieser zunehmend multipolaren Welt nicht auf ewig ein amerikanisches Diktat akzeptieren.

Denn dies ist die größte Schwäche des Trump-Plans. Mehr als vage bleibt er darüber, was nach Geiselbefreiung und Waffenstillstand folgen soll. So total wie die Niederlage der Hamas militärisch ist, so sehr verkalkuliert sie sich mit dem 07. Oktober hat – als sie ein Israel herausforderte, das sich als gänzlich anders, viel brutaler, rücksichtsloser, vernichtender herausstellte als alles, was sie angenommen hatte. So sehr hat sie es politisch doch vermocht, unter enormen, unmenschlichen Kosten für das geschundene palästinensische Volk allerdings, dessen nationale Aspiration wieder zu beflügeln.

Auf den Krieg folgt jetzt der Kampf für den Frieden. Die Vorstellungen darüber könnten unterschiedlicher nicht sein. Eine Zweistaatlichkeit ist für die hegemonialen rechten Kräfte in Israel völlig inakzeptabel. Das Kriegsziel, diese Lösung endgültig zu verhindern, wurde jedoch verfehlt. Die Palästinenser dagegen, und selbst die waidwunde Hamas wird sich hier aus politischer Einsicht in die Notwendigkeit einreihen, wissen nun die übergroße internationale Mehrheit hinter sich für eine Staatlichkeit in den Grenzen von 1967. Die übergroße Mehrheit der Staaten sind zumindest rhetorisch an Bord, eigentlich eine Besonderheit in dieser auseinanderstrebenden Welt.

Prozedural hat Israel weiter Möglichkeiten, ein solches Ergebnis zu verhindern. Politisch tobt um Palästina längst ein Kulturkampf. Den aufstrebenden rechtspopulistischen Kräften im Westen soll der jüdische Staat als Bollwerk gegen Islam und Barbarei verkauft werden. Im Gegenzug erhofft man sich Support für Besatzung und Unterdrückung bis in alle Ewigkeit. Es ist ein riskantes Kalkül in einer Welt, in der das Gewicht des Westens abnimmt. Riskante Kalküle sind allerdings nichts Ungewöhnliches in der Geschichte des jüdischen Staates.

Politisch ist damit, so der Waffenstillstand sich tatsächlich verstetigen sollte, alles offen. In Gaza ist die regelbasierte Welt verendet, die multipolare jedoch könnte in diesem längst internationalisierten Konflikt Urständ feiern. Die Palästinenser, die dem politischen Untergang in letzter Sekunde entronnen sind, könnten nun diejenigen mit den stärkeren Trümpfen sein. Politisch intelligent spielen müssen sie allerdings noch.