Die Entscheidung der libanesischen Regierung vom 6. August, die Hisbollah-Miliz zu entwaffnen, markiert zwar einen wichtigen Meilenstein, bleibt jedoch unvollständig. Denn ein wesentlicher Aspekt wurde in den öffentlichen Stellungnahmen weitgehend übersehen: Heute werden die Waffen der Hisbollah faktisch vom Iran kontrolliert.
Durch sein Drängen auf eine Entscheidung, die es dem Ministerrat erlaubt, sich mit den Waffen der Partei zu befassen, erzielte Premierminister Nawaf Salam einen wichtigen Punkt gegenüber Präsident Joseph Aoun. Im April hatte dieser erklärt, dass er – und nicht die Regierung – die Gespräche mit der Hisbollah über ihre Entwaffnung führen werde. Doch daraus wurde nichts, was zunehmende internationale Ungeduld gegenüber dem Libanon zur Folge hatte. Ende Juli wurde Salam Berichten zufolge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron scharf kritisiert. Auch der US-Sondergesandte für den Libanon, Tom Barrack, erhöhte den Druck und twitterte: „Solange die Hisbollah bewaffnet bleibt, reichen Worte nicht aus. Die Regierung und die Hisbollah müssen sich jetzt voll und ganz verpflichten und handeln, um das libanesische Volk nicht dem holprigen Status quo zu überlassen.“
In der vergangenen Woche besuchte der Chef des US-Zentralkommandos, General Michael Kurilla, Beirut und sprach mit Aoun über das staatliche Waffenmonopol. Das Ergebnis: Aoun erklärte sich damit einverstanden, dass die Diskussion über die Waffen im Ministerrat geführt werden soll. In seiner viel beachteten Rede zum 80. Jahrestag der libanesischen Armee letzte Woche, rief er die Hisbollah ausdrücklich dazu auf, „auf den libanesischen Staat zu setzen“.
Der Libanon steht derzeit faktisch unter internationaler Aufsicht: Externe Akteure drängen Politiker und Amtsträger dazu, längst überfällige Entscheidungen zu treffen. Das mag grundsätzlich positiv erscheinen, wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf die eingeschränkte Souveränität des Landes. Gleichzeitig verweist es auf die tiefgreifenden strukturellen Schwächen des Libanon. In diesem Kontext wirkt es beinahe so, als verfüge die libanesische Führung – mangels eigener Lösungsansätze – nur über ein einziges, wenn auch unerwünschtes Druckmittel gegenüber der Hisbollah: Sollte die Partei eine Entwaffnung verweigern, würde Israel weiterhin gezielt ihre Kader, Waffenlager sowie schiitische Dörfer im Süden und in der Bekaa-Ebene angreifen.
Es gibt Stimmen, die fordern, der Libanon müsse schneller handeln, um die Hisbollah zu entwaffnen. Hanin Ghaddar vom einflussreichen Washington Institute for Near East Policy bezeichnete die Entscheidung der Regierung, der Armee eine Frist bis Monatsende zu setzen, um einen Plan zur Entwaffnung der Hisbollah bis Dezember vorzulegen, als „absolut absurd“ und „katastrophal“. Doch Ungeduld ist keine Strategie – und solche Übertreibungen verkennen, dass die libanesischen Behörden Gewaltanwendung gegenüber der Hisbollah vermeiden und keinesfalls eine Vertrauenskrise mit der schiitischen Bevölkerung heraufbeschwören wollen. Diese Zurückhaltung ist nachvollziehbar: In einem Interview räumte Barrack selbst ein, dass Aouns zögerliches Vorgehen gegenüber der Hisbollah darauf zurückzuführen sei, dass er „keinen Bürgerkrieg riskieren“ wolle.
Die USA und Israel verfolgen das Ziel, den Iran vollständig aus dem Libanon zu verdrängen.
Ein ungelöstes Problem besteht darin, dass der Libanon eine Option zur Entwaffnung der Hisbollah nicht in Betracht zieht: Gespräche mit dem Iran. Zum großen Teil liegt das daran, dass der von den USA geführte, Israel-zentrierte Würgegriff, in dem sich der Libanon befindet, dem Land dafür keinen Spielraum lässt. Doch dies zu akzeptieren, bedeutet gleich mehrere Dinge – und alle sind nachteilig für den Libanon: Es bedeutet, sich mit der Entwaffnung zu befassen, ohne den letztlich entscheidenden Akteur in dieser Frage einzubeziehen; es bedeutet, möglicherweise anderen Ländern die Diskussion über die Entwaffnung der Hisbollah zu überlassen – mit dem Risiko, dass der Libanon gezwungen sein könnte, ein Ergebnis zu akzeptieren, an dem er nicht beteiligt war; und es bedeutet implizit die Anerkennung, dass der wichtigste libanesische Gesprächspartner des Iran weiterhin die Hisbollah ist – was dem Libanon faktisch das Privileg staatlicher Souveränität abspricht.
Ein solcher Dialog müsste diskret und unter dem Radar geführt werden, auch wenn internationale Partner des Libanon zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise eingebunden werden müssten. Ziel einer solchen Initiative wäre es, die Absichten des Iran auszuloten und zu prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, einen Mechanismus zur Entwaffnung der Hisbollah voranzutreiben. Die USA und Israel verfolgen das Ziel, den Iran vollständig aus dem Libanon zu verdrängen. Doch auch wenn die Libanesen ein großes Interesse daran haben, die Einmischung Teherans in ihre Angelegenheiten zu begrenzen, lassen sich die Verbindungen zwischen der schiitischen Bevölkerung und dem Iran realistisch betrachtet nicht einfach kappen – erst recht nicht vor dem Hintergrund eines wachsenden Gefühls sunnitischer Stärkung in der Region infolge des Sturzes des Assad-Regimes in Syrien.
Niemand kann den Ausgang solcher Kontakte vorhersagen. Wahrscheinlich würden sie wenig bewirken, nicht zuletzt wegen der inneriranischen Fraktionsbildung und der unterschiedlichen Interessengruppen mit teils sehr verschiedenen Agenden in Bezug auf die Zukunft der Hisbollah. Aus libanesischer Sicht wäre es jedoch durchaus sinnvoll, in Gesprächen mit Teheran Fuß zu fassen, auch wenn der Handlungsspielraum der Hisbollah im Libanon zunehmend schwindet, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was der Iran bereit wäre zu akzeptieren. Wenn Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Kommunikationskanäle mit dem Iran eröffnen können, kann der Libanon das ebenfalls.
Die Mehrheit der Libanesen hat kein Interesse daran, in neue Kriege hineingezogen zu werden.
Doch der Iran und die Hisbollah sollten vorsichtig sein: Wenn ihr Ziel darin besteht, jegliche Schritte zur Entwaffnung zu blockieren, könnten die Folgen gravierend sein. In einer Zeit, in der ein expansionistisches Israel von den USA faktisch einen Blankoscheck für sein Vorgehen in der Region erhalten hat, sollten sich die Hisbollah und der Libanon insgesamt bewusst sein, dass Israel weiteres Territorium im Süden des Landes besetzen könnte, sollte es keine Fortschritte geben. Dann könnte Israel die Entwaffnung der Hisbollah – und möglicherweise sogar einen Friedensvertrag – zur Bedingung für einen Rückzug machen. Wer würde in einem solchen Fall Druck auf Israel ausüben? Washington? Sicherlich nicht.
Die Hisbollah mag glauben, dass ihr eine solche Situation die Gelegenheit bieten könnte, ihren Widerstand neu zu beleben. Doch sie sollte sich nicht täuschen. Die Mehrheit der Libanesen hat kein Interesse daran, in neue Kriege hineingezogen zu werden. Viele stehen der Hisbollah inzwischen offen feindlich gegenüber. Zudem verfügt die Partei über keine gesicherten Nachschubwege, die es ihr erlauben würden, israelischen Angriffen standzuhalten. Wenn eines durch den Krieg im vergangenen Jahr deutlich wurde, dann dass die meisten Libanesen ihr Leben weitgehend ungestört weiterführten, während schiitische Gebiete des Landes verwüstet wurden.
Die Hisbollah hat jahrelang darauf geachtet, nicht isoliert dazustehen. Wenn sie nun glaubt, den bewaffneten Widerstand ausgerechnet in einem Umfeld feindlich gesinnter Landsleute und unversöhnlicher Nachbarstaaten aufrechterhalten zu können, wäre das politischer Selbstmord. Aoun und Salam müssen geschlossen auftreten, wenn es zu Fortschritten in der Frage der Hisbollah-Waffen kommen soll. Es setzt sich die Wahrnehmung durch – ob berechtigt oder nicht –, dass Aoun aufgrund politischer Kalküle zögert. Möglicherweise trifft das zu. Doch seine Rede zum Tag der Armee und seine Haltung zur Kabinettssitzung, in der über die Waffen der Hisbollah diskutiert wurde, deuten darauf hin, dass er sich in den Verhandlungen mit der Partei bewusst in die Rolle des good cop begibt, während die Regierung den bad cop gibt. Das ist womöglich kein schlechter Ansatz, vorausgesetzt, er führt letztlich dazu, dass der Staat ein Monopol auf Waffen durchsetzt.
Die englische Originalversion des Artikels erschien bei Diwan, dem Nahost-Blog des Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center.