Der kürzlich in den Kinos und auf Netflix erschienene Thriller A House of Dynamite greift auf eindringliche Weise ein Thema auf, das nach dem Ende des Kalten Kriegs lange Zeit als überwunden galt: die Gefahr eines atomaren Armageddons. In dem Film von Kathryn Bigelow entdeckt das US-Militär plötzlich eine Interkontinentalrakete über dem Pazifik, die innerhalb weniger Minuten das US-Festland erreichen könnte. Aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt der Film, wie politische und militärische Entscheidungsträger versuchen, auf die Krise zu reagieren. Dabei wird deutlich, wie verwundbar wir trotz hoch entwickelter Abwehrsysteme und strategischer Planspiele sind und wie rasch ein einzelner Angriff mit Atomwaffen binnen Minuten in eine globale Katastrophe eskalieren könnte.

Der Film ist kein fernes Gedankenspiel, sondern spiegelt ein zunehmend realistisches Szenario unserer Gegenwart wider. Die Zeiten, in denen der damalige US-Präsident Barack Obama 2009 in Prag die Vision einer atomwaffenfreien Welt vorantrieb, wirken heute wie aus einer längst vergangenen Epoche. Stattdessen erleben wir, wie atomare Drohungen wieder offen ausgesprochen werden, wie taktische Nuklearschläge in den strategischen Überlegungen der Großmächte als ernsthafte militärische Option diskutiert werden, wie Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge auslaufen oder aufgekündigt werden, wie nukleare Arsenale modernisiert und neue Trägersysteme entwickelt werden. Die bittere Wahrheit ist: Die Gefahr eines atomaren Konflikts ist heute wohl so groß wie noch nie zuvor. Wir stehen an der Schwelle eines neuen nuklearen Zeitalters, das noch komplexer, unberechenbarer und unsicherer ist als das sogenannte „Gleichgewicht des Schreckens“ während des Kalten Kriegs.

Der geopolitische Kontext hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Moskau seine Nukleardoktrin verschärft und wiederholt mit einem Einsatz atomarer Waffen gedroht. Gleichzeitig baut China sein Atomwaffenarsenal massiv aus.  Bei einer Militärparade zur Feier des 80. Jahrestags des Siegs im Zweiten Weltkrieg präsentierte Peking im September erstmals seine vollständige nukleare Triade. Nach Angaben des Stockholmer Friedensinstituts SIPRI verfügt die Volksrepublik inzwischen über mindestens 600 Atomwaffensprengköpfe. Experten gehen davon aus, dass diese Zahl bis 2035 auf 1 500 Sprengköpfe ansteigen und damit das Niveau des amerikanischen und des russischen Nukleararsenals erreichen könnte.

Die Welt bewegt sich derzeit auf ein neues tri- oder gar multipolares nukleares Zeitalter zu.

Die Welt bewegt sich derzeit auf ein neues tri- oder gar multipolares nukleares Zeitalter zu. Gegenwärtig verfügen neun Staaten über Atomwaffen, darunter die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sowie Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Doch angesichts wachsender globaler Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen erwägen immer mehr Länder, eigene nukleare Fähigkeiten zu entwickeln. Erst am 17. September 2025 unterzeichneten Saudi-Arabien und die Atommacht Pakistan ein neues Verteidigungsabkommen, das eine gegenseitige Beistandsklausel enthält. Der Pakt ist nicht nur ein Signal an potenzielle regionale Rivalen, sondern verdeutlicht auch die sich wandelnde Machtordnung im Nahen Osten, in der die USA nicht mehr als zuverlässiger Sicherheitsgarant wahrgenommen werden.

Diese regionalen Verschiebungen sind zugleich Teil einer weitreichenderen globalen Entwicklung: Die Pax Americana weicht allmählich einer multipolaren Weltordnung, in der die USA nicht länger willens oder in der Lage sind, die internationale Stabilität allein zu gewährleisten. Das schwindende Vertrauen in die amerikanischen Sicherheitsgarantien führt dazu, dass inzwischen nicht mehr nur Gegner des Westens, sondern selbst enge Verbündete der USA wie Japan und Südkorea im Indopazifik und auch europäische Staaten offen über eigene nukleare Kapazitäten nachdenken. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen warnte jüngst der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Grossi, in einem Interview mit Repubblica vor einer Welt mit 20 bis 25 Nuklearwaffenstaaten.

Es ist allerdings höchst fraglich, ob eine multipolare Welt mit über 20 Atomwaffenstaaten tatsächlich zu größerer Sicherheit beitragen würde. Das Konzept der Abschreckung setzt eine gewisse Rationalität und Berechenbarkeit der handelnden Akteure voraus. Doch je mehr Akteure über Atomwaffen verfügen, desto größer wird das Risiko von irrationalem Verhalten, von Fehleinschätzungen, Missverständnissen, technischen Unfällen und Eskalationsdynamiken. Zugleich erschwert eine wachsende Zahl nuklearer Akteure die Schaffung verbindlicher Regeln für Abrüstung und Rüstungskontrolle erheblich.

Das bestehende System der Abrüstung und der Rüstungskontrolle steht ohnehin am Rand des Zusammenbruchs. Sowohl Russland als auch die USA haben in den vergangenen Jahren den Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrag INF wie auch den Vertrag über den offenen Himmel aufgekündigt. Mit dem Auslaufen des New START-Vertrags im Februar 2026 droht schließlich der Verlust des letzten verbliebenen Rüstungskontrollabkommens zwischen den beiden größten Nuklearmächten. Zwar hat Putin kürzlich eine einjährige Verlängerung des Vertrags vorgeschlagen, doch ist weiterhin ungewiss, ob diese oder gar ein Nachfolgeabkommen tatsächlich zustande kommen.

Für Washington ist Chinas atomare Aufrüstung längst zu einer strategischen Priorität geworden.

Sollten Putin und Trump jedoch zu einer Verständigung über New START kommen, wären auch Deutschland und Europa gefragt, konkrete Vorschläge für den Erhalt der multilateralen Rüstungskontrolle und einer künftigen europäischen Sicherheitsordnung zu machen. So könnte man etwa die in Deutschland geplante Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen im kommenden Jahr in ein Angebot zur Rüstungskontrolle einbetten, falls Moskau im Gegenzug seine landgestützten Atomraketen zurückzieht.

Gleichzeitig ist jedoch klar, dass substanzielle Fortschritte im Bereich der Abrüstung und der Rüstungskontrolle bis zum Ende des Kriegs in der Ukraine nicht zu erwarten sind. Hinzu kommt, dass sich China bislang weigert, an Gesprächen über nukleare Rüstungskontrolle und Risikominimierung teilzunehmen. Peking betont, dass sein nukleares Arsenal nach wie vor wesentlich kleiner als das der USA und Russlands sei. Für Washington ist Chinas atomare Aufrüstung allerdings längst zu einer strategischen Priorität geworden. Damit wächst die Gefahr, dass die Welt in eine Phase eintritt, in der mehr als 20 Staaten über Atomwaffen verfügen, ohne dass verbindliche Rüstungskontrollverträge oder Abkommen zur Risikominimierung existieren.

Es ist daher höchste Zeit, die zum Stillstand gekommenen Bemühungen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle mit neuem Leben zu füllen. Im Fokus sollten dabei die Begrenzung der strategischen Nuklearwaffenarsenale und der Erhalt der noch existierenden Verträge stehen. Ebenso notwendig ist es, auch Peking und andere aufstrebende Nuklearmächte in eine neu zu schaffende internationale Rüstungskontrollarchitektur einzubinden und die weitere Proliferation von Kernwaffen zu verhindern. Der Atomwaffensperrvertrag ist hierfür unentbehrlich. Die Überprüfungskonferenz im kommenden Jahr muss dazu beitragen, die Nichtverbreitung wieder zu stärken. Ein gemeinsames Schlussdokument wäre in der gegenwärtigen internationalen Lage ein wichtiges Signal. Zugleich bleibt die UN unverzichtbar für eine Nichtverbreitungspolitik und muss endlich finanziell, personell und strukturell so ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben wirksam erfüllen kann. Dabei können wir auf Partner aus dem Globalen Süden zählen, die sich bereits lange für Abrüstung einsetzen und zukünftig die internationale Ordnung stärker mitgestalten wollen. Brasilien, Indonesien und Südafrika sind beispielsweise Mitglieder regionaler Verträge über kernwaffenfreie Zonen. Hier gilt es Rückhalt zu schaffen.

Darüber hinaus benötigen wir Maßnahmen zur Risikoreduzierung und Transparenz. Dazu gehören direkte militärische Kontakte, die Ankündigung und Beobachtung von Manövern sowie gemeinsame Kommunikationskanäle zur Krisenprävention. Künftige Rüstungskontrollabkommen müssen zudem auch neue Risiken, die durch künstliche Intelligenz oder Hyperschallwaffen und im Cyber- und Weltraum entstehen, berücksichtigen.

In den vergangenen Jahrzehnten ist es der internationalen Gemeinschaft gelungen, die Gefahr eines nuklearen Armageddons durch Kooperation und Vertrauensbildung bei der Abrüstung und Rüstungskontrolle zu mindern. Dies ist auch weiterhin möglich und notwendig. Voraussetzung dafür ist und bleibt allerdings der politische Wille der relevanten Akteure, an dem es in den vergangenen Jahren ganz offensichtlich gemangelt hat.