Am 7. Februar wird US-Präsident Joe Biden erstmals Bundeskanzler Olaf Scholz im Weißen Haus empfangen. Wichtigster Punkt der Tagesordnung: Ein einheitliches, auf Deeskalation gerichtetes Vorgehen des westlichen Bündnisses angesichts der militärischen Drohkulisse Russlands an der ukrainischen Grenze. Trotz aller Bemühungen der Bundesregierung, ein verlässlicher Partner bei diesen Bestrebungen zu sein, hat sich bei Freund und Feind eine Wahrnehmung verfestigt, die Deutschen könnten unsichere Kandidaten sein.
Zu zwiespältig sind die Signale, die aus dem politischen Berlin in den internationalen Äther gesendet werden. Vor allem die fortgesetzte Kontroverse über zwei Themen trägt dazu bei: Das Ausmaß möglicher Sanktionen im Fall einer russischen Aggression –insbesondere die Zukunft der Ostseepipeline Nord Stream 2 – und mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine, um deren Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Unsere Demokratie steckt hier in einem Dilemma. Sie lebt von der öffentlichen Kontroverse. Aber in der jetzigen Krisensituation droht sie gleichzeitig, die eigene Glaubwürdigkeit zu unterminieren.
Während sich das Regierungslager intensiv um Geschlossenheit bemüht, kann sich die Opposition noch nicht entscheiden, wie sie die Bundesregierung vor sich hertreiben soll.
Während sich das Regierungslager intensiv um Geschlossenheit bemüht, kann sich die Opposition noch nicht entscheiden, wie sie die Bundesregierung vor sich hertreiben soll: Mit dem Vorwurf, sie tue zu wenig – CDU-Chef Friedrich Merz spricht sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus – oder zu viel – CSU-Chef Markus Söder warnt vor Sanktionen.
Doch das Problem liegt tiefer. Denn es gibt eine unglückliche Kontinuität der letzten Bundesregierungen, Begründungen zu zentralen Entscheidungen der Außen- und Sicherheitspolitik anzuführen, die widersprüchlich und mitunter unglaubwürdig sind. Zwar betont das offizielle Deutschland, mehr weltpolitische Verantwortung übernehmen zu wollen, konterkariert dies aber regelmäßig durch politische Botschaften, die Zweifel an den Grundsätzen der Berliner Außenpolitik nähren.
Legendär ist die Formel, mit der schon Altkanzlerin Angela Merkel auf die Gewaltkonflikte ihrer Amtszeit reagierte: „Es gibt keine militärische Lösung.“ Nichts gegen diesen Wunsch. Doch als Handlungsmaxime zum Umgang mit den Kämpfen in der Ostukraine, Syrien oder Libyen löste sie Irritationen aus. „Die gibt es sehr wohl“, beschlossen gut gerüstete Konfliktparteien und setzten ihre Waffen – leider erfolgreich – ein, um die eigenen Interessen gewaltsam durchzusetzen. Unsere internationalen Partner fragten sich mehr als einmal, wie weit es mit dem Realitätssinn der Deutschen steht.
Es gibt eine unglückliche Kontinuität der letzten Bundesregierungen, Begründungen zu zentralen Entscheidungen der Außen- und Sicherheitspolitik anzuführen, die widersprüchlich und mitunter unglaubwürdig sind.
Misstrauen herrscht auch seit langem gegenüber der deutsch-russischen Gaspartnerschaft. Deren sicherheitspolitischen Risiken sind nicht erst Anfang 2022 sichtbar geworden. Während Deutschlands Nachbarn und die USA davor warnten, Europa in weitere Abhängigkeit vom russischen Staatsmonopolisten Gazprom zu bringen, bezeichnete bei uns eine parteiübergreifende Koalition der Willigen – bis tief in Oppositionskreise hinein – das Vorhaben der neuen Ostseepipeline Nord Stream 2 als „privatwirtschaftliches“ Projekt.
Die neue Bundesregierung will nun „Mehr Fortschritt wagen“, so der Titel des Koalitionsvertrags. Dabei ist sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit mit einer epochalen außenpolitischen Herausforderung konfrontiert: dem präzedenzlosen russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze und ultimativ vorgetragenen Forderungen, NATO und USA sollten sich zu „Sicherheitsgarantien“ verpflichten, die zur vollständigen militärischen Dominanz Russlands in Europa führen würden.
Es nötigt Respekt ab, wie schnell sich Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock dieser Herausforderung angenommen haben. Doch erneut sind Pirouetten in der politischen Kommunikation zu verzeichnen. Noch im Dezember wiederholte der Bundeskanzler die These von der privatwirtschaftlichen Ostseeröhre, rückte aber inzwischen von diesem Dogma ab.
Die Außenministerin wiederum bemühte die deutsche Geschichte, um zu begründen, dass die Ukraine keine Verteidigungswaffen erhalten soll. Doch an die Opfer des 2. Weltkriegs erinnert nicht nur eine Flamme an der Moskauer Kremlmauer, sondern auch über den Ufern des Dnipro in Kiew. Will sagen: Eine besondere geschichtliche Verantwortung tragen wir ebenfalls gegenüber der Ukraine.
Es mag berechtigte Motive geben, derzeit keine Waffen an die Ukraine zu liefern. Doch sollte es tunlichst vermieden werden, den europäischen Freunden in den Arm zufallen, die dies anders sehen.
Es mag berechtigte Motive geben, derzeit keine Waffen an die Ukraine zu liefern. Doch sollte es tunlichst vermieden werden, den europäischen Freunden in den Arm zufallen, die dies anders sehen. Denn Abschreckung bleibt ein wichtiges Element des gegenwärtigen Versuchs, eine Eskalation zu vermeiden. Andere Konflikte haben gezeigt, dass die Verweigerung von Verteidigungswaffen grundsätzlich der stärker gerüsteten Seite nützt – und damit alles andere als deeskalierend wirken kann. Der Krieg in Bosnien und Herzegowina in den 1990er Jahren ist hierfür ein mahnendes Beispiel. Da nützt dann weder der Hinweis, dass Deutschland zu den größten Geberländern für die Ukraine gehört, noch die Ankündigung, ihr 5 000 militärische Schutzhelme zu liefern – ganz im Gegenteil.
Vielleicht gab es sogar gute Gründe, Gasröhren durch die Ostsee zu legen. Doch die öffentlichen Begründungen überzeugen kaum – weder im Inland noch im Ausland. Durch Worte und Taten sollte die deutsche Politik dem fatalen Eindruck entgegenwirken, ihr treibendes Motiv sei der Gasimport.
Die Bundesrepublik braucht eine realitätstaugliche Kommunikation, die glaubwürdig ist – und sonst eine Revision der politischen Positionen. Deutschland hat den Anspruch und die Instrumente, mehr zur Sicherheit in Europa beizutragen. Doch angesichts der Herausforderungen gilt es nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin, die „Sprache der Macht“ zu beherrschen.