Als Federica Mogherini ihr Amt übernahm, galt sie als jung und wenig erfahren. Konnte sie den Erwartungen an das Amt im ersten Jahr entsprechen?

Im Vergleich zu ihrer Vorgängerin, Cathrin Ashton, hat Mogherini einen guten Start hingelegt. Ashton musste allerdings auch in der Nachfolge Javier Solanas in sehr große Fußstapfen treten. Mogherini hat in ihrem ersten Jahr im Amt kaum Fehler gemacht und sich im Rahmen der EU-Institutionen und auch gegenüber den Mitgliedsstaaten als kompetent, kooperativ und durchsetzungsfähig präsentiert. Dabei waren die Rahmenbedingungen bei Amtsübernahme denkbar schwierig. Außen- und sicherheitspolitisch ist die EU von einem Krisenbogen der Instabilität umgeben, der vom Sahel über das Horn von Afrika durch den mittleren Osten bis in die Ukraine reicht. Die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen zusehends und auch innenpolitisch befindet sich die Union in schwerer See. Hinzu kam, dass sie ihr Ressort in mangelhaftem Zustand von ihrer Vorgängerin übernehmen musste. Ashton hatte weder zum seinerzeitigen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, noch zum Präsidenten des Rates Herman van Rompuy oder anderen Kommissaren ein Vertrauensverhältnis. Sie war wenig vernetzt und ihr Amt, der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), blieb ein Fremdkörper im Orchester der Brüsseler Institutionen. Mogherini ist mit Anfang 40 eine Vertreterin der Generation Globalisierung, ihr Denken ist multipolar und sie hat sich – im Gegensatz zu Ashton – in ihrem beruflichen Werdegang immer mit Außenpolitik beschäftigt. Sie ist damit auf der Höhe der Zeit. Dazu gehören auch eine deutlich bessere Präsenz in den Medien sowie ihr Engagement, die Kooperation  zwischen dem EAD und den anderen EU-Institutionen zu verstärken.

Wo hat Mogherini ihre inhaltlichen Schwerpunkte gelegt? Und welche sind von ihr noch zu erwarten?

Angesichts der gleichzeitig auftretenden und sich teilweise überlappenden außenpolitischen Krisen, die nicht nur für die großen Nationalstaaten zu einer Überdehnung ihrer politischen Handlungsfähigkeit führen, kann sich auch Mogherini ihre Prioritäten nur bedingt aussuchen. Sie sind aber dennoch klar erkennbar und es waren zunächst einmal zwei, zu denen dann das gegenwärtig alles bestimmende Migrationsthema hinzukam: Zum einen die Europäische Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik (ENP). Und zum zweiten die Ausarbeitung einer neuen europäischen Sicherheitsstrategie bis zum Juni 2016. Diesen Auftrag hat sie vom Rat erhalten. Was die ENP angeht, ist sie sich mit Ratspräsident Donald Tusk, dem ehemaligen polnischen Premierminister, einig. Die komplexen Krisenlagen in der südlichen und der östlichen Nachbarschaft bedingen diese Priorität ebenso wie die wachsende politische Instabilität in den Beitrittskandidatenländern. Die Überarbeitung der europäischen Sicherheitsstrategie, die 2003 erstmals vom damaligen Hohen Beauftragten Javier Solana ausgearbeitet wurde, ergibt sich aus einem deutlich komplexeren sicherheitspolitischen Umfeld. Im Gespräch ist die Schaffung einer europäischen Verteidigungsunion. Mogherini sieht stärkere europäische Fähigkeiten auf diesem Feld als komplementär zur NATO. Ihr Interesse an guten Beziehungen zur Nordatlantischen Gemeinschaft hat sie gleich in den ersten Tagen ihrer Amtszeit durch ein Treffen mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg dokumentiert. Interessant ist der Entstehungsprozess der Strategie, die nicht hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet wird, sondern im Rahmen eines breiten Konsultationsprozesses unter Beteiligung von Stakeholdern aus der Zivilgesellschaft.

Was die Migration betrifft, ist dies ein durchaus persönliches Anliegen von Mogherini, zu dem sie bereits in Italien intensiv gearbeitet hat. Aus Studienzeiten mit guten Kenntnissen über den politischen Islam ausgestattet, versucht sie gemeinsam mit den hauptsächlich betroffenen Mitgliedsstaaten und den Akteuren in der Region unter Einschluss der Türkei, eine tragfähige europäische Politik zu entwickeln.

Mogherini ist sowohl Hohe Beauftragte für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) als auch Vizepräsidentin der Kommission. Wie bewältigt sie diesen institutionellen Spagat?

In der Doppelfunktion liegt die besondere Herausforderung. Symbolisch ist Mogherini gleich zu Beginn ihrer Amtszeit in den Sitz der Kommission, das Berlaymont, umgezogen. Damit macht sie deutlich, dass es ihr in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht nur um eine gute Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten im Rat geht. Sie hat es aber nicht bei Symbolik belassen. Ihr Kabinett besteht zur Hälfte aus erfahrenen Kommissionsbeamten, dazu zählt auch ihr Kabinettschef. Sie koordiniert die für die Außenbeziehungen relevanten Generaldirektionen wie Nachbarschaft, Entwicklung, Handel, Migration; und die Kollegen Kommissare arbeiten offenbar bereitwillig mit. Sie geht gemeinsam mit den zuständigen Kommissaren auf Mission und hat gute Arbeitsbeziehungen sowohl zu Kommissionspräsident Juncker als auch zu Ratspräsident Tusk entwickelt. Diese Kooperation wirkt teilweise schon wie ein Tandem, das man aus der nationalen Politik zwischen Premiers und Außenministern kennt.

Die Rolle des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) gilt bisher als schwach. Was tut Mogherini, um dies zu ändern?

Mogherini hat zahlreiche Schritte unternommen, die Brüsseler Silo-Mentalität zu überwinden und zu mehr horizontaler Kommunikation und Koordinierung zu kommen. Der EAD hat inzwischen einen Review-Prozess durchlaufen, im Rahmen dessen alles auf den Prüfstand kommt. Dem Parlament hat Mogherini eine „spezielle Partnerschaft“ angekündigt. Das wird dokumentiert durch die regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses, die Abstimmung mit Parlamentspräsident Martin Schulz, sowie die Ankündigung, eine vormals bestehende Sonderkommission zur Debatte vertraulicher Informationen wieder zu beleben. Hier verbleibt die Beziehung aber bislang eher im Bereich der Ankündigungen, und es bleibt abzuwarten, ob es Mogherini gelingt, ein dauerhaft besseres Verhältnis zum Parlament aufzubauen als ihre Vorgängerin. Was den Rat betrifft, ist sich Mogherini der Grenzen ihrer Möglichkeiten bewusst. Sie versucht allerdings, eine Katalysatorenrolle in den verschiedenen Debatten einzunehmen. Oberstes Ziel ist dabei, ein möglichst einheitliches Bild und eine ebensolche Position sicherzustellen. Denn das wird als zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Politik der Union angesehen.

In der Außen- und Verteidigungspolitik setzen viele Mitgliedsstaaten weiter auf nationalstaatliche Souveränität. Wie geht Mogherini damit um?

Mogherini hat von Beginn an eine bessere Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten in der politischen Planung angemahnt und dies bei Besuchen in diversen Ländern betont, wo sie sich übrigens nicht nur mit Regierungsvertretern, sondern auch mit Repräsentanten der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft traf. Ihr zentrales Anliegen dabei war, deutlich zu machen, dass Außenpolitik nicht mehr unilateral geplant werden kann, sondern von Beginn an europäisch gedacht werden sollte. Was die akuten Krisen angeht, denen sich die Union in ihrer Nachbarschaft gegenüber sieht, hat Mogherini akzeptiert, dass die großen Mitgliedsländer eine Führungsaufgabe übernehmen müssen und eine sachdienliche Arbeitsteilung mit den Chefunterhändlern derselben notwendig ist. Als Beispiel dafür darf das „Normandie Format“ für die Verhandlungen mit Russland gelten, wo dann die deutschen und französischen Verhandlungsführer die Hohe Beauftragte ständig und gut informiert gehalten haben, um sicherzustellen, dass eine einheitliche Europäische Position gewahrt wird.

Inwiefern kann die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)  zu einer Konsolidierung der EU beitragen?

Da die Union und ihre Mitgliedsstaaten sich erstmals seit langem außen- und sicherheitspolitisch bedroht sehen, könnte eine erfolgreiche Politik auf diesen Feldern zu einer Konsolidierung der inzwischen labilen EU beitragen. Vor allem wird dadurch aber das Gründungsnarrativ der Union „Europa als Friedensunion“ wiederbelebt, das in den Hochzeiten der EURO-Krise seine identitätsverbürgende Kraft bereits verloren zu haben schien. Bei allen Mängeln und Unzulänglichkeiten, die man der EU als außenpolitischer Akteur vorhalten mag, sollte nicht vergessen werden, dass die Union auch in letzter Zeit auf diesem Gebiet Erfolge vorzuweisen hat. Dazu muss das Iran-Abkommen ebenso gezählt werden wie die Wiederaufnahme des Dialoges zwischen Serbien und dem Kosovo. Dazu zählt auch die Wahrung einer einheitlichen EU-Position im Hinblick auf die Sanktionen gegen Russland. Mit dem Auftrag, eine neue Sicherheitsstrategie zu erarbeiten, haben die Mitgliedsstaaten es in Mogherinis Hände gelegt, die Rolle der EU als Globaler Akteur neu zu denken. Erfolg bei diesem Unternehmen wird Mogherini nur haben, wenn sie die richtigen Fragen stellt. Es geht heute nicht mehr darum, sich zu fragen, wie die Union am besten ihre Werte in die südlichen und östlichen Nachbarländer exportieren kann. Es wird vielmehr darum gehen, sich zu fragen, was die EU – angesichts der massiven Veränderungen, die sich in ihrer strategischen Nachbarschaft abspielen – realistischerweise mit ihrem Instrumentarium bewirken kann. Es wird darum gehen, die Balance zwischen Werten und Interessen neu auszutarieren. An dieser Herausforderung wird Mogherini langfristig gemessen werden. Der Anfang ist ihr gelungen.