Man kann Viktor Orbán, einem Freund von US-Präsident Donald Trump und des russischen Präsidenten Wladimir Putin, vieles vorwerfen, aber der ungarische Ministerpräsident hat nicht Unrecht, wenn er darauf hinweist, dass wir gerade miterlebt haben, wie Trump „[die Präsidentin der Europäischen Kommission] Ursula von der Leyen zum Frühstück verspeist hat“. Schließlich sieht der Entwurf des Handelsabkommens, das die Europäische Union gerade mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen hat, Zölle in Höhe von 15 Prozent auf die meisten europäischen Exporte in die USA vor, während US-Exporte nach Europa zollfrei bleiben. Damit geht das Spiel mit 15 zu null klar an Trump.
Diese eklatante Asymmetrie ist weit entfernt von den Forderungen Europas, nämlich Zollsätze von nahezu null auf beiden Seiten. Erschwerend kommt hinzu, dass das vereinbarte Rahmenwerk auch Zwangskäufe von US-Energie im Wert von 750 Milliarden Dollar, europäische Investitionen in den USA in Höhe von 600 Milliarden Dollar und zusätzliche Bestellungen von in den USA hergestellter Militärtechnik vorsieht.
Freilich kann die EU argumentieren, dass 15 Prozent deutlich weniger sind als die ursprünglich von Trump geforderten 30 Prozent. Außerdem sind die Energie- und Investitionszusagen nach wie vor nur vage Versprechen, da weder die Europäische Kommission noch die EU-Mitgliedstaaten den europäischen Unternehmen vorschreiben können, was sie kaufen oder wo sie investieren sollen. Zudem können sich die Europäer auch damit trösten, dass ein Rahmenentwurf noch kein unterzeichnetes Abkommen ist. Viele Details müssen noch geklärt werden, und diese werden für Trump kaum von Interesse sein. Gleichwohl ist dieses Ergebnis aus seiner Sicht außergewöhnlich. Europa kann unmöglich behaupten, „gewonnen“ zu haben. Bestenfalls ist es gelungen, den Schaden zu begrenzen. Von der Leyen kam schwach und angespannt nach Schottland und sie reiste noch schwächer, aber erleichtert ab.
Die EU hätte auch anders handeln können, denn sie ist kein wirtschaftlicher oder politischer Zwerg.
Die EU hätte auch anders handeln können, denn sie ist kein wirtschaftlicher oder politischer Zwerg. Vielmehr handelt es sich bei der Union um eine der weltweit führenden Handelsmächte sowie um Amerikas wichtigsten Handelspartner und Lieferanten. Etwa 20 Prozent der amerikanischen Importe stammen aus Europa, das entspricht in etwa dem Anteil Chinas an den Einfuhren in die USA. Darüber hinaus betreffen diese Handelsströme alle Bereiche der amerikanischen Wirtschaft. Entgegen der Meinung einiger hämischer Anhänger Trumps beschränken sich die Importe aus Europa nicht auf Luxusgüter und Wein. Die US-amerikanische Fertigungsindustrie beispielsweise ist vom europäischen Fertigungssektor viel stärker abhängig als umgekehrt.
Europa hatte viele Trümpfe in der Hand und hätte seine Position durch Abstimmung mit den beiden anderen, ebenfalls unter US-Druck stehenden G7-Staaten weiter stärken können: Japan und Kanada. Damit wären die Optionen der EU jedoch noch nicht erschöpft gewesen. Ein weiterer wichtiger Trumpf wäre auch das Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen gewesen, das für Situationen gedacht ist, in denen „ein Drittland versucht, die Europäische Union oder einen Mitgliedstaat zu einer bestimmten Entscheidung zu drängen, indem es Maßnahmen anwendet oder anzuwenden droht, die den Handel oder Investitionen beeinträchtigen“. Genau das ist hier der Fall.
Von Anfang an ignorierte von der Leyen jedoch den Rat der Kommissionssachverständigen und weigerte sich, dieses Instrument auch nur als Abschreckungsmittel einzusetzen. Wäre sie so vorgegangen, hätten die USA diese Drohung nicht auf die leichte Schulter nehmen können, da sie sich auch in einem kostspieligen Handelskrieg mit China befinden. Im Gegensatz zu Europa hat China nämlich auf jede Eskalation der USA mit einer Gegeneskalation reagiert, sodass mittlerweile eine Situation eingetreten ist, die Trumps eigener Finanzminister als „nicht haltbar“ bezeichnet hat. Unter dem Druck der Märkte ist Trump bereits von seiner früheren Position abgerückt, wie von der Leyen sehr wohl weiß.
Implizit heißt es, dass jede Form der transatlantischen Anbindung, egal wie demütigend diese auch sein mag, einer unsicheren Unabhängigkeit vorzuziehen ist.
Europa hat jedoch überhaupt nie versucht, im Umgang mit Trump ein Machtgleichgewicht herzustellen. Hätte man Bereitschaft gezeigt, eine weitere Eskalation zu riskieren, als China genau das tat, wäre Trump in einer viel schwächeren Position gewesen. Europa verhielt sich aber nicht wie China, sondern wie Japan, ein weiterer wichtiger Handelspartner, dessen Sicherheit von den USA abhängt. Der daraus resultierende Deal ist eine Katastrophe, weil er bestätigt, dass die EU letztlich von der Angst getrieben ist, in der heutigen gefährlichen geopolitischen Lage den Schutz der USA zu verlieren. Implizit heißt es, dass jede Form der transatlantischen Anbindung, egal wie demütigend diese auch sein mag, einer unsicheren Unabhängigkeit vorzuziehen ist.
Aus dieser Perspektive wäre es zutiefst unfair, das Ergebnis den Entscheidungen von der Leyens anzulasten. Sie selbst ist durch zwei rote Linien eingeschränkt: die Interessen Deutschlands um jeden Preis zu schützen und jeden Bruch mit den USA zu vermeiden. Aber wenn man bereit ist, etwas „um jeden Preis“ zu erreichen, gibt es kein Maß an Demütigung, das man nicht in Kauf nehmen würde. Unterdessen scheinen die meisten anderen politischen Spitzen Europas von der aktuellen Lage überfordert zu sein. Die Komplexität der heutigen Welt scheint ihnen zu viel zu sein, und so fügen sie sich allem, was von ihnen verlangt wird. Dabei haben sie Benjamin Franklins Warnung vergessen: „Wer bereit ist, ein wenig Freiheit aufzugeben, um ein wenig Sicherheit zu gewinnen, verdient weder das eine noch das andere – und verliert am Ende beides.“
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Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier