Es ist sehr still derzeit um die namibische Regierungsspitze. Seltsam still angesichts der aufsehenerregenden Nachricht, dass nach fast sechs Jahren zäher Verhandlungen nun ein Entwurf für ein deutsch-namibisches Versöhnungsabkommen unterschriftsreif vorliegen soll. Darin geht es um die Aufarbeitung der Ermordung Zehntausender Nama und Herero durch deutsche Kolonialtruppen im heutigen Namibia zwischen 1904 und 1908. Eine Sensationsnachricht – eigentlich. Doch die namibische Regierungsspitze hält sich mit öffentlichen Stellungnahmen bisher auffallend zurück. Warum?

Folgt man den Medienberichten, scheint es in Namibia derzeit nicht besonders opportun zu sein, sich positiv zu dem Abkommen zu äußern. Es sei eine „Beleidigung“, titelt die größte Tageszeitung, die regierungsunabhängige Namibian; „Deutschland hat nicht in guter Absicht verhandelt“, so Inna Hengari von der größten Oppositionspartei PDM. Joseph Kauandenge, Generalsekretär der kleinen Oppositionspartei NUDO, behauptet sogar, Deutschland achte Namibia nicht, „weil wir schwarz sind. Für sie sind wir minderwertig“. Und Evilastus Kaaronda von der (noch kleineren) SWANU kommt zu einem besonders gewagten Fazit: „Unsere Regierung und die deutsche Regierung sind unsere einzigen Feinde“.

Wie es scheint, schlägt mit dem Abschluss der namibisch-deutschen Regierungsverhandlungen plötzlich die Stunde der Einheit der ansonsten eher zerstrittenen namibischen Opposition, aber auch der zahlreichen Nama- und Herero-Organisationen, von denen einige an den Verhandlungen selbst beteiligt waren. Was treibt die Kritikerinnen des Abkommens nun zu einem gemeinsamen Schulterschluss gegen die namibische Regierung einerseits und Deutschland andererseits?

Dass es in den Verhandlungen um die Aufarbeitung des Genozids eine für alle Interessengruppen akzeptable Lösung geben könnte, war von vornherein ausgeschlossen – zu weit liegen die Positionen auseinander.

Dass es in den Verhandlungen um die Aufarbeitung des Genozids eine für alle Interessengruppen akzeptable Lösung geben könnte, war von vornherein ausgeschlossen – zu weit liegen die Positionen auseinander. Das gilt zum einen für die innernamibische Debatte selbst: Die Frage, welche regionalen, lokalen und traditionellen Autoritäten legitimiert sind, vom Genozid betroffene Bevölkerungsgruppen zu vertreten, lässt sich nicht ohne weiteres beantworten, denn nicht selten kollidieren die Ansprüche miteinander. 

Zum anderen bestehen zwischen den Positionen der Bundesregierung einerseits und Vertretern der Herero und Nama andererseits unüberbrückbare Differenzen: So lehnte die deutsche Seite den Begriff „Reparationen“ von Anfang an strikt ab, da er aus völkerrechtlicher Sicht einen juristisch begründeten Anspruch auf Entschädigungszahlungen impliziert – einen Anspruch, den die Bundesregierung auch mit Blick auf potentielle weitere Reparationsforderungen durch andere Länder immer wieder von sich wies. Sie hob stattdessen hervor, dass Deutschlands Interesse am Versöhnungsdialog politisch-ethisch begründet sei. Von vielen namibischen Bevölkerungsgruppen dagegen, darunter auch von den Herero, wird der Begriff Reparationen aus kulturell-spirituellen Gründen explizit eingefordert: Wenn ein Verbrechen stattgefunden hat, ist für sie weder Frieden noch eine Wiederherstellung der spirituellen Ordnung denkbar, solange das Verbrechen nicht durch „Reparation“ im Sinne einer Wiedergutmachung gesühnt wird. Mit anderen Worten: Es muss buchstäblich gezahlt werden und zwar in aller Regel direkt an die Opfer bzw. ihre Angehörigen oder Nachkommen.

Eine „indirekte“ Zahlung dagegen, wie sie das Abkommen mit den geplanten Infrastrukturprojekten vorsieht, ist vor diesem Hintergrund weder auf Anhieb verständlich noch leicht vermittelbar. Erschwerend kommt hinzu, dass einige traditionelle Autoritäten unrealistische Erwartungen geschürt hatten. Wem bereits eine eigene Villa oder die eigene Fabrik in Aussicht gestellt worden war, der fühlt sich nun zwangsläufig betrogen, wenn die vielen Gelder nun doch wieder nur in einen gemeinsamen, zentral verwalteten Topf fließen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil man inzwischen auf zahlreiche Erfahrungen mit von der Zentralregierung koordinierten Großprojekten zurückblicken kann, deren Vorteile selten bei der lokalen Bevölkerung ankamen.

Mit Unterzeichnung des Abkommens steht die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit im Grunde erst am Anfang.

Die Forderung nach Reparationen im Sinne von individuellen Entschädigungsleistungen wiegt in den aktuellen Debatten schwer. Dennoch wäre durchaus vorstellbar, dass sich mittel- und langfristig Verständnis und Akzeptanz für das Abkommen durchsetzen könnten. Denn wenn die in den Herero- und Nama-Gebieten geplanten Projekte beteiligungsorientiert, gut und fair umgesetzt werden, könnten kommende Generationen von verbesserten Lebensbedingungen und Perspektiven profitieren. Auch hier bestand die Crux bereits zu Beginn der Verhandlungen: Beide Regierungen betrachteten die Verhandlungen als eine zwischenstaatliche Angelegenheit. Die namibische Regierung hatte alle an der Genoziddebatte beteiligten Interessengruppen in Namibia eingeladen, einen Repräsentanten zu entsenden. Nicht alle Opferverbände jedoch nahmen diese Einladung an. Sie lehnten den dialogorientierten Ansatz der namibischen Regierung ab und wollten vielmehr ihre Forderung uneingeschränkt erfüllt sehen.

Im sogenannten Chiefs‘ Forum wurden die von den Gemeinden entsandten Delegierten während der sechsjährigen Verhandlungen nicht nur informiert, sondern auch im Hinblick auf das weitere Vorgehen instruiert. Das Forum blieb bis zum Schluss offen für neue Mitglieder, doch Gruppen wie die Herero-Fraktion um den sogenannten Paramount Chief Rukoro blieben bis zum Schluss fern. Insofern repräsentiert das Abkommen zwar tatsächlich nicht alle zentralen Opferverbände, aber diese Entscheidung wurde nicht von der Regierung getroffen, sondern von den Verbänden selbst.

Diese komplexe Ausgangslage hat nicht nur die Verhandlungen erschwert, sondern die Aussicht auf ein von der breiten Mehrheit der Nama und Herero akzeptiertes Abkommen von Anfang an getrübt. Nun haben die beiden Delegationen in einem unerwarteten Endspurt eine Kompromisslösung vorgelegt. Sie entspricht prinzipiell dem von Opferverbänden geforderten Dreiklang von Anerkennung des Genozids der deutschen Seite; der Zahlung einer höheren Summe für Wiederaufbau- und Versöhnungsprojekte und schließlich einer von höchster Regierungsebene (dem deutschen Bundespräsidenten) vorgetragenen Bitte um Entschuldigung. Schwierig blieb bis zum Schluss die Höhe der Summe: Was wäre angemessen in Anbetracht der während des Genozids 1904-08 erlittenen Verluste?

Die vereinbarte Summe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre klingt zunächst nicht hoch. Doch sie kann für die Nachfahren der Genozidopfer einen gewaltigen Unterschied machen.

Ein „genug“ kann es angesichts eines Genozids wohl nie geben, und die vereinbarte Summe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre klingt zunächst nicht hoch. Doch sie kann für die Nachfahren der Genozidopfer einen gewaltigen Unterschied machen – vorausgesetzt, sie wird so verwendet wie vorgesehen: für Investitionen in Bildung, Straßen, Häuser, Wasser, Elektrizität und Landwirtschaft, und ausschließlich in den überwiegend von Nama und Herero bewohnten Regionen; vorausgesetzt auch, die Verfahren erfolgen transparent, mit lokaler Beteiligung, und die Verwaltung der Gelder obliegt einem unabhängigen Kontrollgremium.

Über eine Versöhnungsstiftung sollten darüber hinaus Begegnungen zwischen Nachfahren der Genozidopfer und Deutschen ermöglicht werden. Städtepartnerschaften, Kirchenpartnerschaften, Schülerinnenaustausch – je mehr, desto besser. Unzweifelhaft ist auch, dass mit Unterzeichnung des Abkommens die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit im Grunde erst am Anfang steht. Auch hier gilt: Dialog und Begegnung sind der Schlüssel zum Abbau von Misstrauen und Ressentiments. Wie wichtig das ist, zeigen die deutschlandfeindlichen Zwischentöne in der aktuellen Debatte deutlich.

So unvollkommen dieses Abkommen auch sein mag, es ist ihm dennoch Erfolg zu wünschen. Denn ein anderes Abkommen wird es wohl absehbar nicht geben. Demokratisch und transparent umgesetzt, bietet es eine durchaus realistische Aussicht darauf, einen wichtigen Schritt im Rahmen des Versöhnungsprozess zu gehen. Umso wichtiger ist es nun, breite und inklusive Debatten zum Abkommen zu ermöglich, die dieses nicht als Schlussstrich, sondern als einen wichtigen Moment in der besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Namibia verstehen.