Beim Gipfel in Alaska trafen Donald Trump und Wladimir Putin nun erneut aufeinander – sieben Jahre nach ihrem letzten Treffen in Helsinki. Damals saßen auf russischer Seite ebenfalls Präsidentenberater Juri Uschakow und Außenminister Sergej Lawrow mit am Tisch. Auch bei diesem Treffen standen die Ukraine und der allgemeine Zustand der russisch-amerikanischen Beziehungen im Mittelpunkt – und die Mehrheit der Beobachter sprach damals das Urteil: „Punkt für Putin“.
Seitdem hat sich die Welt grundlegend verändert: Amerikas Führungsrolle ist weiter erodiert, während China an Einfluss gewonnen hat. Eine neue Bipolarität zeichnet sich ab. Der Globale Süden tritt selbstbewusster auf und die Eskalation des russisch-ukrainischen Krieges vervielfacht die Risiken für Europa – und stellt zudem US-Präsident Trump vor strategische Dilemmata.
Das Treffen des amerikanischen und des russischen Präsidenten in Alaska wurde mit vielen historischen Gipfeln verglichen – am häufigsten mit München 1938 und Reykjavik 1986. Doch solche Analogien sind stets nur Annäherungen. Der Alaska-Gipfel weist entscheidende Unterschiede zu den beiden, sehr unterschiedlichen, historischen Begegnungen auf.
In München entschieden die Großmächte im Sinne der klassischen europäischen Diplomatie ihre Probleme auf Kosten eines Kleinstaates: Die Tschechoslowakei musste das Sudetenland an Deutschland abtreten. Großbritannien und Frankreich, auf deren militärische Hilfe die tschechoslowakische Führung gehofft hatte, machten klar, dass es diese nicht geben werde. Präsident Edvard Beneš musste daraufhin die Bedingungen akzeptieren, die ohne seine Teilnahme ausgehandelt worden waren.
Für die Ukraine weckt München schmerzhafte Erinnerungen an die Verletzlichkeit kleinerer Staaten. Dies erklärt, warum Kiew immer wieder auf das Prinzip pocht: „Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine“. So wie 1938 Großbritannien und Frankreich könnte heute Washington die Ukraine ohne Hilfe zurücklassen. Doch anders als damals geht es nicht mehr um eine Politik der Abschreckung, die den Krieg verhindern soll – heute stehen westliche Führer vor der Realität eines bereits tobenden Krieges, der die Kräfteverhältnisse deutlich gemacht hat. Das wird einige westliche Politiker, darunter auch europäische, zu entschlossenerer Unterstützung für die Ukraine bewegen – trotz aller Zweifel.
Reykjavik wiederum war 1986 ein Wendepunkt: Die Gespräche zwischen den USA und der Sowjetunion legten den Grundstein für den INF-Abrüstungsvertrag und veränderten das internationale Klima so tiefgreifend, dass vom Ende des Kalten Krieges die Rede sein konnte.
Für den US-Präsidenten ging es vor allem darum, auszuloten, ob und wie ein Gespräch mit Russland möglich ist.
So schicksalhaft wie einst sind die Beziehungen zwischen Washington und Moskau heute nicht mehr. Für Trump und Putin war der Gipfel in Alaska aus anderen Gründen wichtig. Für den US-Präsidenten ging es vor allem darum, auszuloten, ob und wie ein Gespräch mit Russland möglich ist, wo dessen Grenzen liegen und welchen Inhalt es haben könnte. Eine persönliche Begegnung mit Putin war dafür unverzichtbar – auch, weil sie in Trumps pragmatischen Ansatz passt, mit jedermann zu reden, solange am Ende ein greifbares Ergebnis steht.
In dieser Hinsicht erinnert der Alaska-Gipfel eher an Richard Nixons Reise nach China 1972 – ein Wendepunkt, der die Wiederannäherung zwischen Washington und Peking einleitete, sich gegen die Sowjetunion richtete und bis heute als Symbol für nüchternen geopolitischen Pragmatismus gilt.
Trump brauchte das Treffen mit Putin, um die russisch-chinesische Achse zumindest zu lockern, um eine situative Kooperation mit Moskau in einer ganzen Reihe von Fragen zu ermöglichen – von der Arktis bis zur Rüstungskontrolle – und um sicherzustellen, dass Russland sich bei einer Eskalation mit China zurückhaltend verhält. Sein geopolitischer Blick bleibt derselbe: Er betrachtet die Welt durch das Prisma des Wettbewerbs mit Peking um die künftige Weltordnung, und den Krieg in der Ukraine wiederum durch das Prisma der russisch-amerikanischen Beziehungen. Diese sind breiter gefasst als der Krieg selbst und können auch parallel zu ihm diskutiert werden. Dennoch: Der Krieg erschwert alles erheblich – und Trump hätte ihn lieber beendet, gleich unter welchen Bedingungen.
Die Agenda des Alaska-Gipfels ging über den Ukrainekrieg hinaus. Doch für Kiew – und wohl auch für Europa – war gerade dieser Punkt der wichtigste.
In Alaska sowie beim anschließenden Treffen mit Selenskyj und den europäischen Führern zeichnete sich eine mögliche Friedensformel ab: der Rückzug ukrainischer Truppen aus den Regionen Donezk und Luhansk im Gegenzug für eine eingefrorene Front. Im April hatte Putin ein ähnliches Angebot abgelehnt – einen Waffenstillstand entlang der bestehenden Frontlinie. Offenbar rechnete er sich aus, mit der Zeit bessere Bedingungen durchsetzen zu können.
Für Selenskyj sind die neuen Vorschläge jedoch kaum akzeptabel.
Für Selenskyj sind die neuen Vorschläge jedoch kaum akzeptabel. Sogar ein Weiterkämpfen ohne US-Hilfe erscheint ihm günstiger, als Territorium kampflos aufzugeben. Eine schnelle Lösung der territorialen Frage – der schwierigsten im Krieg – ist daher nicht in Sicht.
Zweiter Schlüsselpunkt sind die Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Klassische Garantien – also Verteidigungszusagen wie eine NATO-Mitgliedschaft oder bilaterale Beistandspakte – wollen die USA nicht übernehmen. Trumps Rhetorik legt nahe: Diese Verantwortung sieht er vor allem bei den Europäern. Während Selenskyj beim Treffen mit den europäischen Staats- und Regierungschefs Unterstützung suchte, wollte Trump die Europäer dazu bewegen, mehr Risiken selbst zu tragen.
Doch diese sind erheblich: Ein neuer Krieg bleibt wahrscheinlich – zu groß sind die ungelösten Konflikte, die Erfahrungen massiver Gewalt, das tiefe Misstrauen und die fragile internationale Sicherheitslage. Eine NATO-Mitgliedschaft, auf die Kiew traditionell als Allheilmittel setzt, ist keine realistische Option – und war es nie. Deshalb wird der Begriff „Sicherheitsgarantien“ zunehmend verwässert und umfasst mittlerweile nahezu jede Form von Unterstützung.
Zwar können 30 Staaten gemeinsam einen gewissen Abschreckungseffekt erzielen, doch in Moskau wird dieser kaum als verlässlich gelten. Auch das diskutierte Modell „fast wie Artikel 5, aber außerhalb der NATO“ beantwortet die entscheidende Frage nicht: Wer ist wirklich bereit, für die Ukraine zu kämpfen? Schon im NATO-Bündnisfall bedeutet Artikel 5 keinen automatischen Einsatz. Für die Ukraine wäre ein solches Versprechen daher eher symbolischer Trost als wirksamer Schutz.
Auch die Möglichkeit einer „Koalition der Entschlossenen“, die Truppen in die Ukraine entsendet, bleibt vage. Die Risiken sind groß, die Rolle der USA unklar, und Europas Bereitschaft, selbst Risiken einzugehen, wächst erfahrungsgemäß nur bei starker US-Rückendeckung.
Es ist durchaus denkbar, dass es in dieser Situation gar keine wirklich wirksamen Garantien gibt. Praktisch geht es darum, wenigstens irgendeinen Mechanismus zu finden, der besser und verlässlicher ist als die bislang geschlossenen Sicherheitsabkommen. Ob das genügt, um den Weg zu einem Abkommen mit Moskau zu ebnen – insbesondere zur Klärung territorialer Fragen –, bleibt die entscheidende offene Frage.
Auf dem diplomatischen Parkett hatte die Ukraine im Ringen mit Russland selten gute Ausgangsbedingungen. Manchmal sah es so aus, als könne sich das Blatt wenden. Doch spätestens seit dem Globalen Friedensgipfel im Juni 2024 ist klar: Die Entwicklung verläuft zu Ungunsten Kiews. An die Stelle von Reden über einen triumphierenden Westen, verschärfte Sanktionen und eine Friedensformel in ursprünglicher Form tritt nun die Vorbereitung eines Treffens zwischen Selenskyj und Putin. Ziel ist es, den Krieg einzufrieren – und darüber zu entscheiden, welchen Preis die Ukraine dafür zu zahlen bereit wäre.