Aus der erdrückenden Gewissheit über den Klimawandel und daraus resultierenden Katastrophen werden regelmäßig die Forderungen nach einem verantwortlichen Handeln der Staatengemeinschaft abgeleitet. Die Zeit dränge, um die globale Temperaturerhöhung in diesem Jahrhundert noch unter den kritischen Wert von 2°C gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Die Gastgeberländer der UN-Klimakonferenzen (2015 soll in Frankreich wieder einmal der Durchbruch gelingen), aber auch Deutschland und die Europäische Union (EU) sollen sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst werden und (erneut) eine Vorreiterrolle einnehmen. Diesen Grundgedanken folgen zahllose NGOs in ihrem Engagement zum Schutz der Erdatmosphäre. Sie bemühen sich darum, die staatstragenden nationalen, europäischen und internationalen Einrichtungen in die Pflicht zu nehmen.

Aber weder einzelne Staaten, noch die EU oder die Staatengemeinschaft insgesamt scheinen Willens, anspruchsvolle Klimamaßnahmen zu ergreifen oder gar mit einer Stimme zu sprechen. Dies ist nicht etwa der Fall, weil bei der letzten Konferenz Ende 2013 die polnische Regierung zeitgleich zur Klimakonferenz die internationale Lobby der Kohleindustrie hofierte und noch während der UN-Klimaverhandlungen seinen Umweltminister entließ. Die innere Auflösung der Klimapolitik hat sich schon Jahre zuvor von Kopenhagen (2009) über Cancún (2010) und Durban (2011) bis Doha (2012) angebahnt. Sie erreicht nur immer neue Höhepunkte.

Protest und Alternativen

Viele sozial-ökologische Initiativen sowie Umwelt- und Entwicklungsverbände stehen der Mitarbeit an den UN-Klimakonferenzen deshalb mittlerweile ablehnend gegenüber. Außerhalb der Konferenzhallen rufen sie dazu auf, den Klimawandel nicht als Umweltkatastrophe zu sehen, der mit den Instrumenten des Marktes begegnet werden kann, sondern als viel tiefer reichende Gesellschaftskrise und Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Deshalb organisierten sie sich bei der Klimakonferenz 2007 im Climate Justice Now-Netzwerk und 2009 in Kopenhagen im Aktionsbündnis Climate Justice Action.

Das Problem: hören will das niemand. Auch nicht diejenigen Umwelt- und Entwicklungsverbände, die sich innerhalb der UN-Hallen wohlig eingerichtet haben.

In den Zusammenschlüssen werden die ökologische und die soziale Frage über den Themenschwerpunkt Klimagerechtigkeit miteinander verknüpft. Außerdem wird gefordert, die Ursachen des Klimawandels von ihren politischen und ökonomischen Wurzeln her anzugehen. Nur: hören will das niemand. Auch nicht diejenigen Umwelt- und Entwicklungsverbände, die sich innerhalb der UN-Hallen im Aktionsnetzwerk für Klima (CAN) wohlig eingerichtet haben. Mit der Kernbotschaft, dass staatliches Handeln und die jährlichen UN-Konferenzen alternativlos seien, stützen und legitimieren sie ein Verhandlungssystem, das mit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls völkerrechtliche Impulse setzten sollte, aber Jahr um Jahr an multilateraler Substanz verloren hat.

Der Staat und die Staatengemeinschaft bleiben dessen ungeachtet die zentralen Adressaten, auf die sich alle Hoffnungen – von Forderungen kann längst keine Rede mehr sein – stützen. Die Argumentationslinien sind bekannt: An der Formel Klimawandel + Katastrophe = staatliche Handlungsnotwendigkeit wird nicht gerüttelt. Dabei wurde nie der Beweis erbracht, dass die Formel aufgehen könnte. Die Formel müsste korrekt eigentlich so lauten: Staatliche Untätigkeit in der Klimapolitik + wirtschaftliche Interessen =  steigende Emissionen. Dafür ist die Beweislage mittlerweile erdrückend.

Selbst in Deutschland ist 2012 der Ausstoß an Klimagasen gegenüber 2011 wieder angestiegen. Die USA, die das Kyoto-Protokoll nie ratifizierten, haben durch die vermehrte Nutzung von Erdgas ihre Emissionen dagegen verringern können, freilich nur unter Nutzung des sogenannten Fracking bei der Erdgasförderung, das zu ganz anderen verheerenden Problemen für Mensch und Umwelt führt.

Der nötige Blick in den Spiegel

Es ist deshalb längst an der Zeit, auch innerhalb der Zivilgesellschaft eine grundsätzliche Ursachenanalyse zu betreiben und die eingefahrenen Protestroutinen kritisch zu hinterfragen. Nach jahrelangen Runden des staatlichen Scheiterns und den massiven Blockaden internationaler Ansätze durch die Staatgemeinschaft selbst sollte eine Auseinandersetzung mit den bisherigen Initiativen, Kampagnen und Expertisen stattfinden, um darauf aufbauend zu neuen Ideen und Strategien im Kampf gegen den Klimawandel zu entwickeln. Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch,  scheint das zu ahnen, wenn er in seinem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung den Verhandlungsführer der Philippinen, Naderev Yeb Saño, erwähnt, der sich während der Klimakonferenz in Warschau und nach dem verheerenden Taifun „Haiyan“ fragte, ob nicht die Zeit für zivilen Ungehorsam gekommen sei. Das Handlungsrepertoire zivilgesellschaftlicher Akteure und sozialer Bewegungen ist ja weitaus phantasievoller als die kontinuierliche Mit- und Zuarbeit bei Verhandlungen, die zur Farce verkommen.

Die Input-Seite des fossilistischen Energieregimes bleibt unangetastet. Das entspricht einer interessengleiteten und machtvollen Selektivität in der Themensetzung.

Zunächst aber zur Frage der Ursachen. Greenpeace zeigte sich über die polnische Regierung empört, weil sie die Kohlelobby hofiere. Genau darin aber liegt das strukturelle Problem der internationalen Klimapolitik. Sie entspricht der grundsätzlich problematischen Selektivität, die der internationalen Politik oft eigen ist: Nur der böse Geist, den unser auf immer mehr Wachstum getrimmtes Wirtschaftssystem aus der Flasche bzw. dem Produktionskreislauf entlässt – sprich: die jährlich steigenden Emissionen – werden zum zentralen Orientierungspunkt der UN-Klimaverhandlungen. Anpassungsmaßnahmen, klimawandelverursachte Schäden (loss and damage), REDDplus (Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation) oder Öko-Dienstleistungen kommen als neue Themenschwerpunkte noch dazu. Die Input-Seite des fossilistischen Energieregimes bleibt davon unangetastet. Das ergibt sich keinesfalls als logische Konsequenz aus dem menschengemachten Klimawandel, sondern entspricht einer interessengleiteten und machtvollen Selektivität in der Themensetzung.

Schon von der ersten Klimakonferenz 1995 in Berlin weigerte sich die OPEC über Öl, Russland über Gas und die Mehrheit der Länder über Kohle zu sprechen. Was den Produktionskreislauf anfeuert und die Treibhausgase verursacht ist und bleibt Tabu. Damit das niemandem auffällt, wurde auch in Warschau wieder detailversessen verhandelt: über den Emissionshandel (der nie funktioniert), freiwillige Finanztransfers vom Norden in den Süden (die nie in voller Höhe ausgezahlt werden) und den Schutz der Regenwälder (deren Schwund nicht aufgehalten wird). Dass Regierungen in Zeiten der Krise reihenweise das internationale Parkett boykottieren, ihre maroden Staatshaushalte nicht mit hohen Energiepreisen belasten und an Öl, Kohle und Gas Geld verdienen und die energieintensiven Energiezweige schützen wollen, wird vielleicht noch skandalisiert, war aber noch nie ernsthafter Verhandlungsgegenstand.

Schauplätze des Protests

Damit wären wir bei der Frage nach Gegenstrategien. Längst haben sich die Schauplätze globaler Politik verlagert. Bilaterale Verhandlungen werden dem oft schwachen internationalen Konsens vorgezogen und zukunftsweisende Visionen einer Low Carbon Society hatten gegenüber dem internationalen Pragmatismus noch nie eine Chance. Die Staatengemeinschaft ist nicht (mehr) der Dreh und Angelpunkt für die Große Transformation, die von vielen Think Tanks so vehement gefordert wird. Doch die große Wende ist von der großen nationalen, europäischen und internationalen Politik kaum zu erwarten. Die Ziele der Bundesregierung – wie die der Europäischen Kommission sind alles andere als ambitioniert: mehr Industriepolitik, weniger Klimaschutz lautet die Botschaft.

Die Energiewirtschaft und ihre Vertreter in Regierungen, Behörden und der EU-Kommission haben einiges zu verlieren, wie die wirtschaftliche Lage der vier großen Energieversorgungsunternehmen in Deutschland zeigt.

Auch deshalb haben sich die Themenschwerpunkte und Strategien verlagert. Die Energiewende ist ein Beispiel dafür. Sie ist weitaus bedeutsamer als es die internationale Klimapolitik für Deutschland je war. Denn sie zeigt schonungslos die Ausgangslage. In den politischen Auseinandersetzungen um die Energieträger offenbaren sich die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen einem alten, emissionsintensiven Sektor (der seine Pfründe mit aller Macht verteidigt) und einem nachhaltigen Sektor, der auf erneuerbaren Energien setzt (und dem die politische Unterstützung in der großen Koalition abhandenkommen könnte). Schließlich haben die Energiewirtschaft und ihre Vertreter in Regierungen, Behörden und der EU-Kommission einiges zu verlieren, wie die wirtschaftliche Lage der vier großen Energieversorgungsunternehmen (EVUs) in Deutschland zeigt. Die EU mischt sich nicht ein: beim Fracking bleibt es den Mitgliedsstaaten überlassen, nach welchen Umweltstandards die Löcher in die Erde gebohrt werden, und wie die (niedrigen) Ausbauziele im Sektor der erneuerbaren Energien erreicht werden sollen, kann jedes Mitgliedsland im Wesentlichen selbst entscheiden. Wie klimafreundlich das Energiesystem der Zukunft aussehen wird, wird also auf nationaler Ebene festgelegt.

Soziale Kämpfe um Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz zeigen sich aber nicht nur in Deutschland und in Europa. Rund um den Globus gibt es anti-Fracking-Kampagnen, welche die Einpressung von schädlichen Chemikalien ins Erdreich verhindern wollen, Klimacamps, die Klimaschutz in der Alltagswelt thematisieren, Bürgerproteste gegen den Kohleabbau oder das oben erwähnte Netzwerk der Klimagerechtigkeit, das die vielfältigen, aber je spezifischen Klima- und Energiekampagnen und Initiativen zusammenführen will. In den Energiekämpfen werden Fragen der Machtverhältnisse, der Emanzipation, der Gerechtigkeit oder der Lebensstilformen aufgeworfen. In diesen kleinräumigeren Zusammenhängen werden nicht zuletzt die Widersprüche, Handlungsblockaden und -ansätze deutlich. Das bedeutet nicht, dass sich die politischen Initiativen nicht gleichermaßen international vernetzen und organisieren (sollen), es wird aber nicht nach der großen gemeinsamen Antwort gesucht, die über alle Probleme gleichermaßen gestülpt werden könnte.

Gegen den hegemonialen Konsens

Außer Frage steht, dass für einen Übergang der Produktions- und Lebensweisen vom fossilen zu einem nachhaltigen Entwicklungspfad soziale Auseinandersetzungen von zentraler Bedeutung sind. Für die Klimapolitik bedeutet dies, den hegemonialen Konsens über die bisherige marktvermittelnde Regulierung des Klimawandels aufzubrechen. Dieser Konsens versteht den Klimawandel primär als Umwelt- und nicht als sozial vermitteltes Problem und geht davon aus, dass der Klimakrise mit den gleichen Instrumenten begegnet werden kann, durch die sie entstanden ist. Doch ob eine längerfristige gesellschaftliche Mobilisierung von unten gelingt, die sich thematisch breiter verortet und Klimapolitik als Energie-, Verkehrs-, Konsum- oder Agrarpolitik deutet, ist nicht ausgemacht. Auch auf dem Feld der Zivilgesellschaft treten Widersprüche und politische Konflikte  auf. Ihre Proteste sind oft nicht von Dauer.

Dass es auf der internationalen Bühne so nicht weitergehen kann, haben schließlich auch die großen Umweltverbände während der UN-Klimakonferenz in Warschau eingesehen: Viele – Germanwatch war übringens nicht dabei -  gaben sich einen Ruck und verließen die Konferenzhallen unter Protest. Sie haben mit dem „walk out“ endlich auf den inneren Auflösungsprozess des UN-Klimaregimes reagiert („Enough is Enough“) und einen neuen Akzent gesetzt. Vielleicht sind sie vor dem Hintergrund von 19 Klimakonferenzen und mindestens 19 Enttäuschungen auch schlicht müde geworden. Vielleicht folgen sie der Weisheit der Dakota-Indianer, die besagt: „Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!“ Doch halt: Auf den T-Shirts der UmweltaktivistInnen stand mit Blick auf die 20. Klimakonferenz in Lima Ende 2014: „Volveremos“, „wir kommen zurück“. Eine Drohung ist das nicht.