UN-Klimakonferenzen haben einen miserablen Ruf. „Absurdes Theater“ ist noch eine der positiveren Bewertungen der Mainstream Medien. Weshalb ist Lima trotz allem so wichtig?

Gerade angesichts der schleichenden Fortschritte der Verhandlungen in den letzten Jahren sind viele Beobachter skeptisch, ob große Durchbrüche zu erwarten sind – zu Recht. Dennoch sind die Verhandlungen wichtig, um dem Klimawandel zu öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen. Und der Rahmen der Vereinten Nationen ist die einzige Plattform, um auf demokratische Art und Weise faire Lösungen zwischen allen 196 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention auszuhandeln. Da die Interessen sehr unterschiedlich sind, dauert das natürlich. Wenn es nicht gelingt, bei den entscheidenden Verhandlungen in Paris 2015 ein ambitioniertes Abkommen zu verabschieden, wird eine entscheidende Chance verspielt.

Wenn es nicht gelingt, bei den entscheidenden Verhandlungen in Paris 2015 ein ambitioniertes Abkommen zu verabschieden, wird eine entscheidende Chance verspielt.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die politischen Entscheidungen, die wir jetzt treffen, Auswirkungen auf die nächsten Hunderte von Jahren haben könnten. Der im Oktober erschienene Synthesebericht des Weltklimarates IPCC zeigt deutlich bestimmte Kipppunkte im Erdsystem auf, zum Beispiel das beschleunigte Rutschen großer Teile des Eispanzers in der West-Antarktis. Diese Erkenntnisse verstärken den Handlungsdruck. Denn ein Auslösen solcher Ereignisse könnte unkontrollierbare Folgen für viele kommende Generationen haben. Um das zu verhindern, müssen laut IPCC die Emissionen weltweit bis zur Mitte des Jahrhunderts halbiert werden und bis 2100 gegen Null gehen.

Wie ist die Stimmung unter den Delegierten? Welche Ergebnisse erwarten die Akteure?

In der ersten Woche der Verhandlungen war die Stimmung sehr konstruktiv. Es wurde hauptsächlich an einem ersten Entwurf für einen Verhandlungstext gearbeitet. Allen ist bewusst, dass in Lima die Weichen für die entscheidenden Klimaverhandlungen 2015 gestellt werden. Um den Grundstein dafür zu legen, müssen in Lima drei wichtige Aufgaben erfüllt werden: Erstens muss ein Entwurf des Vertragstexts für Paris erarbeitet werden. Zweitens ist zu klären, in welchem Format die Länder Anfang 2015 ihre beabsichtigten Emissionsreduktionsziele vorlegen sollen; und drittens müssen Zahlen auf den Tisch, in welcher Höhe die Staaten bereit sind, Klimaschutzfinanzierung bis 2020 zu mobilisieren. Die Stimmung ist positiver als in den letzten Jahren. Denn in den vergangenen Monaten sehen wir erstmals wieder Signale, dass Regierungen bereit sind, die Führung zu übernehmen. Dazu gehören die Einzahlungen einiger Länder in den Green Climate Fund (GCF), aber auch die bilateralen Vereinbarungen die zwischen China und den USA im Vorfeld getroffen wurden.

Welche Rolle spielt dieses Abkommen zwischen Peking und Washington aber auch die jüngste Ankündigung der EU?

Dass die USA und China sich im Vorfeld erstmals auf Klimaziele verständigt haben, ist zwar an den notwendigen Emissionseinsparungen gemessen nicht ausreichend – dennoch ist es ein wichtiger symbolischer Akt. Auch die Europäische Union hat mit ihrem im Vorfeld verabschiedeten EU 2030-Paket ein Klimaziel für 2030 beschlossen. Es sieht unter anderem eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 vor. Das ist zwar auch noch nicht ausreichend, aber ambitionierter als in den Vorjahren. Hingegen haben andere Länder in der ersten Verhandlungswoche eher mit negativen Signalen auf sich aufmerksam gemacht: Australien, Belgien, Irland und Österreich sind die einzigen Industrieländer, die sich bisher weigern, Gelder zum Klimaschutz in den Green Climate Fund (GCF) einzuzahlen. Eine derartige Trittbrettfahrerhaltung könnte einem globalen Abkommen zum Verhängnis werden.

In den Verhandlungen brechen traditionelle Staatenblöcke – wie „die Entwicklungsländer“ zunehmend auf. Wo laufen aktuell die Trennlinien?

Das neue Abkommen soll erstmals die traditionelle Trennung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern teilweise aufheben. Jetzt sollen alle Länder Verpflichtungen übernehmen. Dennoch gilt  immer noch das Prinzip der „Gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten“ (Common But Differentiated Responsibilities – CBDR), das in der VN-Klimarahmenkonvention verankert ist. Länder, die zu den Hauptemittenten gehören, müssen ärmere Länder bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Aufbau nachhaltiger Energie- und Wirtschaftssysteme unterstützen. In den letzten Jahren hat sich die Debatte allerdings dahingehend verschoben, dass zunehmend auch andere Akteure ins Blickfeld geraten – allen voran transnationale Konzerne und die fossile Industrie. Letztes Jahr sorgte eine Studie für Aufsehen, die zeigte, dass 90 Unternehmen 63 Prozent der globalen Emissionen erzeugen. Auch diese müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Welche Rolle spielt mittlerweile die Leugnung des Klimawandels? Ist das noch immer ein Randphänomen?

Leider nicht. Zwar gab es bisher bei den Klimaverhandlungen noch keinen Vorfall wie in den letzten Jahren, wo Klimaskeptiker wie der bekannte Klimawandelleugner Christopher Monckton versucht haben, die Verhandlungen zu stören. Doch von einem Randphänomen kann trotzdem nicht die Rede sein: Energiekonzerne haben in den letzten zehn Jahren klimaskeptische Forschungsinstitute mit mehreren Hundert Millionen US-Dollar unterstützt. Entweder geschah dies verdeckt durch eigens gegründete Stiftungen wie „The Donors Trust“ und den dazugehörigen „Donors Capital Fund“ oder ganz offen wie im Fall der Öl-Barone Charles und David Koch von Koch Industries oder des Energieriesen ExxonMobil. Die Leugnung des Klimawandels wird von der fossilen Industrie genutzt, um ihre Interessen zu wahren und weiterhin auf Kosten des Planeten und zukünftiger Generationen Öl, Kohle und Gas zu fördern.

Inwiefern ist Klimawandel ein sozialdemokratisches Thema?

Der Klimawandel ist eine Gerechtigkeitsfrage. Wenn die globale Erwärmung auf die international vereinbarte Grenze von unter zwei Grad beschränkt bleiben soll, haben wir nur noch ein CO2-Budget von ungefähr 900 Gigatonnen zur Verfügung. Die Frage, wie dieses zwischen verschiedenen Ländern, Akteuren, Wirtschaftssektoren und zukünftigen Generationen aufgeteilt werden soll, muss in einem partizipativen und demokratischen Aushandlungsprozess beantwortet werden. Damit hängt auch zusammen, wie zukünftig unsere Wirtschaftssysteme gestaltet sein sollen. Der Energiesektor, unsere industrielle Produktion und die Art wie wir bauen, uns fortbewegen, Landwirtschaft betreiben und unsere urbanen Räume gestalten – das alles muss mit deutlich weniger Treibhausgasemissionen passieren. Und gleichzeitig muss trotzdem das Ziel im Mittelpunkt stehen, jedem Menschen weltweit Grundbedürfnisse wie Nahrung, eine Behausung und den Zugang zu Elektrizität zu gewährleisten.

Die Verhandlungen sind damit auch Verhandlungen über traditionelles Wirtschaftswachstum. Wie steht die Internationale Gewerkschaftsbewegung zur Herausforderung des Klimawandels?

Für die Gewerkschaften hängen Klima- und Beschäftigungspolitik eng zusammen. „There are no jobs on a dead planet“ – wie Sharan Burrow, die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), sagt. Die Dekarbonisierung von Wirtschaftssektoren wird massive Auswirkungen auf Gesellschaften und Arbeitsmärkte haben. Deswegen setzen sich Gewerkschaften mit dem „Just Transition“-Ansatz bei den Verhandlungen dafür ein, dass es einen gerechten Übergang zu neuen Wirtschaftssystemen gibt.

„There are no jobs on a dead planet“ 

Wichtige Fragen sind beispielsweise, was mit Arbeitsplätzen in traditionellen Industriesektoren, zum Beispiel im Kohlebergbau oder in der Stahlindustrie passiert. Genauso ist ein wichtiges Thema, wie neue Arbeitsplätze, zum Beispiel im Bereich Erneuerbare Energien, ausgestaltet werden können, so dass sie nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch gute Arbeitsbedingungen garantieren. Hier in Peru engagieren sich die Gewerkschaften mit einer eigenen Kampagne zum Klimaschutz („Unions4Climate“), sowie in der peruanischen COP-20-Gruppe – ein Zusammenschluss aus Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen, die den parallelen Gipfel der Völker ausrichten. Dieser ist eine zentrale Plattform, um den Interessen nichtstaatlicher Akteure Gehör zu verschaffen.

 

Bis zum 12. Dezember finden in Lima die 20. UN-Klimaverhandlungen statt. Nina Netzer ist vor Ort und berichtet hier im Live-Blog.