Vor gut zehn Jahren lag Afghanistans Wirtschaft im Koma. Die Ankunft internationaler Truppen im Jahr 2001 markierte den Beginn einer beispiellosen internationalen Unterstützung. Doch auch heute, nach zwölf Jahren Konflikt, bleibt Afghanistan eine Bürde für die internationale Gemeinschaft. Zugleich jedoch naht der Tag, an dem Afghanistan auf eigenen Füßen stehen muss. Um dann zu bestehen, wird sich das Land an die Dynamiken und Regeln der Globalisierung anpassen müssen. Die internationale Gemeinschaft und die amtierende Regierung haben erste Schritte hin zu diesem Anpassungsprozess in Aussicht gestellt. Doch die nächste Regierung wird dies mit stärkerem Einsatz und in einem schnelleren Takt fortsetzen müssen.

In den vergangenen zwölf Jahren haben sich die meisten Medienberichte, Think Thanks, und Experten in erster Linie mit den Herausforderungen beschäftigt, mit denen Afghanistan konfrontiert ist. Vor dem Hintergrund des jahrzehntedauernden Konflikts ist dies natürlich verständlich. Und dennoch hat dieser Fokus eine Lähmung in der Analyse zur Folge gehabt. Sicher, die Herausforderungen in Sachen Sicherheit bleiben enorm. Doch nur wenige Beobachter haben erkannt, dass Afghanistan aktuell über ein nahezu einzigartiges Zusammentreffen von positiven Faktoren verfügt, die genutzt werden können, um das Land zu entwickeln.

Doch nur wenige Beobachter haben erkannt, dass Afghanistan aktuell über ein nahezu einzigartiges Zusammentreffen von positiven Faktoren verfügt, die genutzt werden können, um das Land zu entwickeln.

Aktuell leisten zahllose Länder Beiträge zur Entwicklung des Landes: Militärisch, diplomatisch und finanziell. So haben die Vereinigten Staaten seit 2001 die erstaunliche Summe von 100 Milliarden US-Dollar an nichtmilitärischer Hilfe bereitgestellt. Dies ist die größte Summe, die Washington jemals zum Wiederaufbau eines Landes eingesetzt hat. Auch nach dem Rückzug der internationalen Truppen in diesem Jahr werden viele Länder dem Land verpflichtet bleiben. Deutschland hat etwa jährlich 430 Millionen Euro bis zum Jahr 2016 in Aussicht gestellt. Und auch große Hilfsorganisationen wie die asiatische Entwicklungsbank oder auch die Vereinten Nationen werden ebenfalls auf Jahre hinaus im Land aktiv bleiben. Diese internationale Unterstützung und Aufmerksamkeit ist ein bedeutsamer externer Vorteil, den das Land nutzen sollte.

Doch es sind nicht die einzigen positiven Rahmenbedingungen: Auch interne Vorteile existieren durchaus – einige seit Jahren, andere sind erst in jüngerer Zeit deutlich geworden. Zu den Letzteren zählen Afghanistans demokratische Institutionen, die Partizipation und Wettbewerb ermöglichen. Sofern diesen Institutionen erlaubt wird, wie vorgesehen zu arbeiten, dürften sie verhindern, dass das Land künftig unter der Willkür einer einzelnen Autorität leidet. Es ist dieser demokratische Prozess, der als Reinigungsmechanismus für verbrauchte Eliten und veraltete Ideen fungiert – zumindest auf dem Papier. Unterstützt wird diese Entwicklung dabei durch die afghanische Zivilgesellschaft und freie Medien. Aktuell existieren in Afghanistan etwa 35 Fernsehstationen, über 100 Radiosender und mehr als 150 Zeitungen. Dies sind Zahlen, von denen Zivilgesellschaften in vielen anderen unterentwickelten Ländern nur träumen können.

Afghanistan: Von wegen "Fluch der Geographie"

Doch Afghanistan verfügt auch über erstaunliche Ressourcen, deren Wert auf etwa 1 Trillion US-Dollar geschätzt wird. Dazu zählen massive Kohle-, Kupfer- Lithium- und Goldvorkommen ebenso wie Edelsteine und substantielle Gas- und Ölfelder. Hinzu kommt eine Reihe von seltenen Erden, von denen bislang China 90 Prozent des Weltangebots kontrolliert.

Afghanistan verfügt nicht zuletzt über nährstoffreiche Böden, die einen signifikanten landwirtschaftlichen Output generieren könnten. Rund 12 Prozent des bewirtschaftbaren Landes könnten pro Jahr Lebensmittel für bis zu 160 Millionen Menschen produzieren, so zumindest die Schätzung des Chefberaters des afghanischen Präsidenten in Wirtschaftsfragen. Investitionen in diesem Sektor könnten die Lebensmittelproduktion und auch substantielle Exporte beflügeln. Obwohl Afghanistans geographische Position immer wieder als Nachteil und sogar als Fluch der Geographie bezeichnet wird, befindet sich das Land tatsächlich in einer einzigartigen Position: In der Verbindungsroute von Zentralasien nach Südasien. Das Potenzial in Sachen Handel und auch als Energiekorridor inklusive der Vorteile für Downstream-Industrien ist enorm. Wenn all diese potentiellen Vorteile genutzt werden, könnten erzielte Gewinne in den Ausbau der physischen und sozialen Infrastruktur investiert werden.

Obwohl Afghanistans geographische Position immer wieder als Nachteil und sogar als Fluch der Geographie bezeichnet wird, befindet sich das Land tatsächlich in einer einzigartigen Position

Grundsätzlich ist auch das entsprechende Humankapital zur Entwicklung des Landes vorhanden. Junge Menschen unter 25 machen mit circa 23 Millionen aktuell unglaubliche 68 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Natürlich müssen diese Menschen mit dem Knowhow versehen werden, das Land zu entwickeln. Die Einschulungsrate in der Grundschule zumindest ist seit 2001 von 21 Prozent auf nunmehr 97 Prozent gestiegen.

Und das Beste: Afghanistan ist in der glücklichen Lage, zwei Produktionsgiganten als Nachbarn zu haben: China und Indien. Beide sind von den natürlichen Schätzen Afghanistans angetan. Afghanistan sollte von dem Erstarken seiner großen Nachbarn profitieren und sich in deren ökonomischen Orbit begeben. Der Abbau und die Verhüttung von Mineralien etwa dürften signifikante Steuereinkünfte sicherstellen und auch beschäftigungswirksam werden. Hohes Wirtschaftswachstum, das nach wie vor dringend benötigt wird, wäre die Folge.

Tatsächlich können viele Entwicklungsländer von einer vergleichbaren Kombination aus externen und internen Rahmenbedingungen nur träumen. Doch es ist wie mit allen Möglichkeiten: Sie werden nicht ewig bestehen und Afghanistan wird sie schnell und beherzt realisieren müssen, wenn sich das Land entwickeln will und soziale Unordnung verhindert werden soll. Der hohe Jugendanteil kann dabei ein Vorteil sein aber natürlich auch destabilisierend wirken. Junge Leute, die am Aufbau nicht partizipieren, könnten sich dem Gegenteil zuwenden. Arbeitslose und frustrierte zornige junge Männer wären sicherlich ein ernstes Problem. Denn sozioökonomischer Stillstand ist letztlich auch ein Motiv für die aktuellen Aufständischen. Je länger die sozioökonomische Entwicklung auf sich warten lässt, desto größer wird diese Gefahr.

Ein Anfang wäre gemacht, wenn Afghanistan das enorme Entwicklungspotenzial, über das es verfügt, realisieren würde. Aktuell genießt das Land ein Zusammentreffen von positiven Faktoren, das auf Generationen hinaus einmalig bleiben wird. Wenn die neue Regierung den politischen Willen nicht aufbringt, diese Möglichkeiten zu nutzen, wird Afghanistan weiter enttäuschen. Und eines Tages werden die Afghanen zurückschauen und dies bedauern.

Der Beitrag erschien am 30. Januar in englischer Sprache in The Diplomat.