Die Flüchtlingskrise stellt die Nachbarn Syriens vor gewaltige politische und wirtschaftliche Probleme. Ankara allein hat bereits mehr als 6,6 Milliarden Dollar für die direkte Flüchtlingshilfe ausgegeben. Die internationale Gemeinschaft hat weniger als ein Dreizehntel dieser Summe aufgebracht. Jordanien und der Libanon sind gleichermaßen überfordert. Schätzungen der Weltbank zufolge hat die syrische Flüchtlingskrise den Libanon bis Ende 2014 insgesamt 7,5 Milliarden Dollar gekostet, und der jordanische König Abdullah erfuhr Ende 2014, dass Jordanien zusätzlich 1,9 Milliarden Dollar für die Deckung der Unterhaltskosten für syrische Flüchtlinge aufbringen musste.
Trotz der vielen humanitären Aufgaben sind Organisationen wie das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) chronisch unterfinanziert und unterbesetzt. Die Finanzierungslücke des UNHCR betrug 2014 45 Prozent. Das Problem der Unterfinanzierung liegt in der Freiwilligkeit der Zahlungen an die internationale Flüchtlingshilfe. Ihr wichtigster Bestandteil, das UNHCR, erhält nur zwei Prozent seiner Gelder aus dem UN-Budget; der Rest, mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr, muss mit freiwilligen Beiträgen von Geberländern aufgebracht werden.
Die internationale Gemeinschaft kann diese Probleme nur lösen, wenn sie die Frage der staatlichen Verantwortung ernster nimmt. Dass Flüchtlinge und die aufnehmenden Staaten von dem Land, das die Flüchtlinge generiert, Kompensation erhalten, ist keine neue Idee. Vertreten wurde sie bereits in den 1940er Jahren von Sir Robert Y. Jennings und in den 1980er Jahren von Luke T. Lee, der als Sonderberichterstatter für die International Law Association tätig war. Leider ist die Rechtspraxis noch nicht so weit entwickelt, dass man von einer Verpflichtung flüchtlingsgenerierender Staaten gegenüber ihren vertriebenen Bürgerinnen und Bürgern oder der internationalen Gemeinschaft sprechen kann.
Länder, die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben, sollten für diese die Kosten für ein menschenwürdiges Leben tragen. Kein Staat darf damit durchkommen, dass er seine Bürgerinnen und Bürger im Stich lässt und sich aus der finanziellen Verantwortung für die Flüchtlingshilfe stiehlt.
Dafür, dass flüchtlingsaufnehmende Staaten oder die zuständigen Institutionen auf das Vermögen flüchtlingsgenerierender Länder zurückgreifen können, gibt es allerdings bereits eine rechtliche Grundlage und eine Doktrin. Die Doktrin der Schutzverantwortung ist ein Indiz dafür, dass das internationale Rechtssystem den Staat im Sinne seiner Aufgaben definiert: Staaten müssen bestimmte Pflichten erfüllen, zu denen mindestens der Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger gehört. Werden sie dieser Pflichten nicht gerecht, verlieren sie den Anspruch auf ihre hoheitlichen Privilegien.
Erinnern wir uns an den Fall des Irak: Nach dem ersten Golfkrieg im Jahr 1991 bestätigte der UN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Verantwortung des Iraks für alle unmittelbaren Verluste, die aus der unrechtmäßigen Invasion und Besetzung Kuwaits entstanden waren, und gründete die UN-Kompensationskommission (UNCC), die seither über Hunderte von Anträgen entschieden hat. Als der Irak nach Einsetzung der UNCC deren Urteil nicht akzeptierte, beschloss der Sicherheitsrat, die Mittel aus eingefrorenem irakischem Vermögen zu beziehen. In Resolution 778 des Sicherheitsrats heißt es, alle Staaten, »in denen sich finanzielle Mittel der Regierung Iraks oder irakischer staatlicher Stellen, Gesellschaften oder Agenturen befinden, die den Verkaufserlös von irakischen Erdöl oder irakischen Erdölprodukten darstellen«, hätten diese Mittel auf ein Treuhandkonto der Vereinten Nationen zu überweisen.
Es gibt keinen Grund, warum dieser Präzedenzfall nicht auch auf andere Fälle angewandt werden sollte. In Syrien ist die Sachlage eindeutig: Der UN-Sicherheitsrat hat 2014 in zwei Resolutionen festgestellt, dass das syrische Regime gegen internationales Recht verstößt und seiner Verantwortung gegenüber der internationalen Gemeinschaft nicht nachkommt. Aus rechtlicher Sicht besteht zwischen dem Irak 1991 und Syrien heute kein qualitativer Unterschied.
Zugegeben: Selbst wenn öffentliche Gelder der flüchtlingsgenerierenden Länder dazu eingesetzt werden, ihren heimatlosen Bürgerinnen und Bürgern zu helfen, so ändert das wenig an der Notlage, schon weil es zu viele Flüchtlinge und zu wenig Ressourcen gibt.
Wichtig ist ein solcher Vorstoß jedoch nicht nur, weil damit ein materieller Beitrag für den Schutz von Flüchtlingen geleistet wird. Er schreckt zudem Staaten ab, teure und zerstörerische Bürgerkriege zu führen. Denn wenn sie in rücksichtsloser Weise ihre Bürgerinnen und Bürger in Gefahr bringen und aus dem Land vertreiben, kämen sie nicht mehr so einfach damit durch.
7 Leserbriefe
Wenn hier jemand zahlen müsste, dann sind es die USA und deren Partner die ohne UN Mandat vorgeblich gemäßigte Oppositionskräfte für Milliarden Dollars bewaffnet und ausbildet haben. Allerdings schlossen sich die Bürgerkriegskämpfer dann bis auf einige wenige Exemplare der zu bekämpfenden ISIS an. Und ISIS wiederum durfte den divisionsstarken Fahrzeugpark der den Irak verlassenden amerikanischen Armee übernehmen. Die Zündschlüssel steckten.
Die Finanzierung von ISIS kommt aus den Kassen Saudiarabiens und Katars, Bündnispartner der westlichen Supermacht. Der tägliche und umfangreiche Nachschub gelangt über die Türkei zu den Söldnern des Terrors. In aller Regel verpeilen die laufenden Flugeinsätze der US-Luftwaffe, wiederum rein zufällig, die zu bekämpfenden ISIS Stellungen.
Nun wird die Masse der vor dem Luftbombardement fliehenden Menschen meist über die Türkei und den Balkan nach Deutschland geschleust, möglicherweise mit dem Hintergedanken, das in Bedrängnis gebrachte Deutschland zur 'Bekämpfung der Ursachen' in die Bomber- und später Bodenfront gegen Assad einzugliedern. Die Meinungsmacher fangen bereits an das Terrain zu sondieren.
Der Irak liegt in Trümmern, Lybien desgleichen, Afghanistan wurde ins Chaos gebombt, Sudan kein Deut besser, wie lang wollen wir dieser Politik noch decken oder gar fördern? Unsere im Grundgesetz ebenso wie in der amerikanischen Verfassung verankerten Werte mit ihren Verboten wie Geboten werden täglich so mit Füssen getreten, vom Völkerrecht ganz zu schweigen, dass dies den Kern unserer rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassung berühren und langfristig zerstören muss.
Die militärische Quelle der Kriege sind nicht der Einsatz von Messern und Kopfabschneidern im 20. und 21. Jahrhundert, sondern die privaten und halbstaatlichen Rüstungsindustrien und Dividendengesellschaften, vor allem in den entwickelten Ökonomien, in den Wohlstands- und Reichtumsmetropolen, so (auch) in den Vereinigten Staaten und in der Europäischen Union.
Auch die Panzer- und anderen Waffenschmieden, die Aktiengesellschaften und beteiligten Finanzzentren und Banken in der Bundesrepublik Deutschland (Zentren wie Frankfurt am Main, München, Stuttgart und die BDI-BND-Hauptstadt Berlin).