Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.
Der russische Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump werden voraussichtlich noch diese Woche in Alaska zusammentreffen. Für wie bedeutend halten Sie dieses Treffen, und welche Ergebnisse erwarten Sie?
Das bevorstehende Alaska-Treffen zwischen Präsident Trump und Präsident Putin signalisiert vor allem eine Wende hin zu einer Rehabilitierung Russlands in der US-Außenpolitik. Es bedeutet die Wiederbelebung einer bilateralen Agenda, die seit der Russia Gate-Kontroverse von 2016 weitgehend eingefroren war. Die Bedeutung des Meetings geht über einzelne Themen hinaus und spiegelt ein breiteres Interesse beider Seiten wider, ihre komplexe Beziehung neu zu gestalten.
Auch wenn die Ukraine unweigerlich weit oben auf der Tagesordnung stehen wird, ist sie nur ein Teil eines breiteren Themenspektrums, das vermutlich wichtige Fragen der Rüstungskontrolle wie den INF-Vertrag, Fragen der strategischen Stabilität sowie die strategisch wichtige Arktis umfasst. In diesem Sinne sollte das Treffen weniger als Versuch verstanden werden, einen einzelnen Konflikt zu lösen, sondern vielmehr als Bemühung, einen stabilen Kanal wiederherzustellen für den Umgang mit einer Reihe von strittigen, aber strategisch bedeutsamen Fragen zwischen Washington und Moskau.
Trump hat angedeutet, dass ein mögliches Abkommen einen „Gebietstausch“ beinhalten könnte. Was würde das in der Praxis tatsächlich bedeuten?
Als Präsident Trump von „Gebietstausch“ sprach, sollte dies im Kontext eines möglichen Einfrierens des Krieges in der Ukraine verstanden werden. Beide Seiten haben signalisiert, dass diese Idee auf dem Tisch liegt. Eine solche Vereinbarung würde nicht nur die Zustimmung Kiews erfordern, sondern auch die Unterstützung wichtiger europäischer Partner. Der Gipfel folgt auf monatelange informelle Diplomatie und Fachgespräche. Der russische Präsidialberater Juri Uschakow hat bestätigt, dass es einen Vorschlag gibt, den Russland im Wesentlichen für annehmbar hält. Auch wenn noch nicht alle Details feststehen, scheinen beide Seiten einem Abkommen näher zu sein als nach dem ursprünglichen Vorschlag im Februar, der auf einen Waffenstillstand abzielte.
Es ist schwer vorstellbar, dass die Ukraine einer vollständigen Räumung des gesamten Donbass zustimmen würde.
In der Praxis könnte ein Gebietstausch bedeuten, die Kontrolllinien in umkämpften Gebieten anzupassen. Möglicherweise in Bezug auf Territorien, die Russland derzeit in den Regionen Charkiw, Sumy oder in Teilen des Gebiets Dnipropetrowsk hält. Dies sind insgesamt rund 1 700 Quadratkilometer. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass die Ukraine einer vollständigen Räumung des gesamten Donbass zustimmen würde – mehr als 7 000 Quadratkilometer stehen dort noch unter ukrainischer Kontrolle –, es sei denn, es käme zu einem massiven Zusammenbruch entlang dieser Frontlinie. Moskau seinerseits drängt aktiv auf eine größere Einkesselung im Donbass, untermauert durch jüngste Geländegewinne, was die fragile und sich rasch verändernde militärische Lage verdeutlicht, die jeder Gebietsverhandlung zugrunde liegen würde.
Trumps Ultimatum an Putin, einem Waffenstillstand in der Ukraine zuzustimmen, ist letzte Woche abgelaufen. Sein Sondergesandter Steve Witkoff geriet wegen widersprüchlicher Darstellungen zu Putins Absichten stark in die Kritik. Für wie verlässlich halten Sie die Aussagen der USA in dieser Phase?
Zu diesem Zeitpunkt sollten die Aussagen der USA nicht automatisch als unzuverlässig oder kontrovers abgetan werden. Trump ist dafür bekannt, starke Rhetorik und Ultimaten als Verhandlungsinstrumente einzusetzen, um Gespräche voranzubringen, daher sollten einige der dramatischeren Äußerungen in diesem Licht gesehen werden. So stellte Vizepräsident J.D. Vance klar, dass ein Gebietstausch keinen vollständigen ukrainischen Rückzug bedeutet. Seine Aussagen helfen, einen Teil der durch die Medien angeheizten Spekulationen zu entkräften. Viel Verwirrung entsteht durch anonyme Leaks und widersprüchliche Berichte, die den tatsächlichen Stand der diplomatischen Vorbereitungen, über den wir nur wenig wissen, verzerren.
Auf strategischer Ebene ist es den USA gelungen, realen Druck auf Russland auszuüben – insbesondere durch die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien, die globalen Ölpreise niedrig zu halten, und durch Sekundärzölle gegen Indien, das weiterhin russisches Öl kauft. Das ist eine Maßnahme, die Neu-Delhi als zutiefst unfair empfindet. Diese Hebel werden oft übersehen, wenn konkurrierende Narrative im Vordergrund stehen. Sie bleiben aber wichtige Faktoren, die Moskaus Kalkül beeinflussen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Präsident Selenskyj innenpolitisch überlebt, wenn die Ukraine im Osten erhebliche Gebietsverluste an Russland erleiden würde?
Selenskyj hat Berichten zufolge Pragmatismus gezeigt, indem er in jüngsten Stellungnahmen offen die Möglichkeit eines territorialen „Tauschs“ eingeräumt hat. Es ist wichtig zu betonen, dass militärische Rückzüge in der Ukraine nicht verfassungswidrig sind. Ähnliche Maßnahmen wurden bereits in früheren Phasen des Konflikts umgesetzt. Politisch weitaus sensibler und umstrittener wäre jedoch ein vollständiger Rückzug aus dem gesamten Donbass-Gebiet. Bislang haben selbst Oppositionsparteien Selenskyjs Haltung gegen einen kompletten Abzug aus dem Donbass unterstützt.
Gebietsverluste würden Selenskyjs politisches Ansehen zweifellos unter Druck setzen.
Gebietsverluste würden Selenskyjs politisches Ansehen zweifellos unter Druck setzen, doch seine Fähigkeit, im Amt zu bleiben, hinge in hohem Maße ab von den Bedingungen eines möglichen Waffenstillstands oder Einfrierens der Front sowie davon, wie die Situation innenpolitisch im Rahmen der ukrainischen Gesamtpolitik dargestellt wird.
Selenskyj sowie mehrere europäische Staats- und Regierungschefs haben es bereits abgelehnt, dass die Ukraine zur Beendigung des Krieges Gebiete abtreten muss. Wenn jetzt keine Einigung erzielt wird, welche anderen Optionen bleiben Europa und der Ukraine?
Die Lage bleibt im Fluss. Zwar haben Selenskyj und die Europäer jede formale Abtretung von Gebieten zur Beendigung des Krieges abgelehnt, doch deuten jüngste europäische Stellungnahmen, die eine „aktive Diplomatie“ betonen, auf eine subtile Abkehr von einer strikt kompromisslosen Haltung hin. Im Kern würde ein Einfrieren des Konflikts sowohl den Interessen der Ukraine als auch Europas dienen – insbesondere angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem Schlachtfeld, die sich bei einer Kürzung der US-Militärhilfe rasch verschlechtern könnten.
Die größte Herausforderung besteht darin, Moskau von einem solchen Einfrieren zu überzeugen, da dies für Russland derzeit kein optimales militärisches Ergebnis wäre. Dennoch deuten Signale vor dem Alaska-Gipfel darauf hin, dass die USA in dieser Frage einige Fortschritte erzielt haben. Ohne konkrete Details wäre jedoch jede weitere Spekulation verfrüht – und ich ziehe es vor, darauf zu verzichten.