Sind wir auf dem Weg in einen neuen Kalten Krieg mit Russland?

Krieg? Nein. Kalter Krieg? Auch nicht. Der Kalte Krieg war eine globale ideologische Konfrontation zwischen zwei antagonistischen und unversöhnbaren Systemen. Eines dieser Systeme musste eine endgültige Niederlage hinnehmen. Die aktuelle Konfrontation zwischen dem Westen und Russland ist viel klassischerer Natur: Sie kann aber dennoch im Zuge von Sanktionen und Gegenmaßnahmen zu einer Art Blockade und einer symmetrischen Verhärtung der russisch-westlichen Beziehungen führen. Die Folge wäre eine Art politisch-ökonomischer Grabenkrieg. Und es scheint, dass im Moment alle Protagonisten, angefangen bei Putin und Obama, bei dieser Verhärtung innenpolitisch auf ihre Kosten kommen. Dies gilt selbst für Deutschland, das viel vernünftiger agiert, aber von Putin – vielleicht nur für den Moment – in eine unmögliche Situation gebracht wurde.

Es gab harsche Kritik an dem Vorgehen der EU in der Ukraine-Frage. Was ist davon zu halten?

Das Verhalten der EU wird kritisiert – aber aus welchen Gründen? Wenn es um einen Mangel an Kohärenz und Klarheit geht, dann kann das für alle schwierigen Themen gelten. Wenn die EU wegen ihrer relativen Zurückhaltung kritisiert wird, dann von denjenigen – Polen, Balten – die eine direktere Konfrontation mit Putin wollen. Aber bis wohin sollte diese Konfrontation führen? Mit welchem Ziel, mit welchen zu erwartenden Resultaten?

Die aktuelle Konfrontation zwischen dem Westen und Russland ist kein kalter Krieg. Sie kann aber dennoch im Zuge von Sanktionen und Gegenmaßnahmen zu einer Blockade der Beziehungen führen. Die Folge wäre eine Art politisch-ökonomischer Grabenkrieg.

Wenn schon, dann könnte man die EU für ihre Inkonsequenz kritisieren. Dafür, dass sie unter Einfluss der am stärksten anti-russischen Mitgliedsländer das Risiko unterschätzt hat, die Ukraine vor eine unmögliche Wahl zu stellen. Dafür, dass sie die russischen Reaktionen unterschätzt hat – wie verwerflich diese auch immer sein mögen. Dafür, nicht an einen Status für die Ukraine gedacht zu haben, der auch den russischen Interessen Rechnung trägt. Und jetzt dafür, sich auf eine Eskalation von Sanktionen einzulassen, ohne ein klares Ausstiegsszenario durchdacht zu haben.

Würden breite Sanktionen nicht den Konflikt institutionalisieren? Was kann man jetzt tun, um die Situation zu entspannen?

Falls sich keine neuen Elemente ergeben, sollten nach dem Anschluss der Krim nur zeitlich begrenzte Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Nach sechs Monaten sollte eine explizite Zustimmung der 28 erforderlich sein, um die Sanktionen zu verlängern. Wir müssen die Verhandlungskanäle mit Putin offenhalten, um über die Ukraine, aber auch über alle anderen eingefrorenen Konflikte wie Syrien oder den Iran zu sprechen. Dafür sollte ein permanenter europäischer Emissär ernannt werden. Die europäischen Maßnahmen sollten nicht mechanisch dem amerikanischen Muster folgen. Von dem neuen Präsidenten in Kiew sollten klare Garantien für alle Minderheiten eingefordert werden.

Wie sollten sich Frankreich und Deutschland gegenüber Russland verhalten? Wie sehen die langfristigen Perspektiven aus?

Frankeich und Deutschland sollten, wenn möglich zusammen mit Polen, eine Strategie entwickeln, die es ermöglicht, die beiderseitigen Schäden durch die jüngsten Ereignisse zu begrenzen, den Dialog mit Russland aufrecht zu erhalten und ein Ende der Krise herbeizuführen. Das beinhaltet auch, einen spezifischen Status für die Ukraine zu entwickeln. Ich denke dabei an Föderalismus, Minderheitenschutz, Finnlandisierung, und an ein neues Referendum auf der Krim unter Aufsicht der OSZE.

Falls sich keine neuen Elemente ergeben, sollten nach dem Anschluss der Krim nur zeitlich begrenzte Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Nach sechs Monaten sollte eine explizite Zustimmung der 28 erforderlich sein, um die Sanktionen zu verlängern.

Es geht darum, Lösungen für die anderen eingefrorenen Konflikte zu erarbeiten und sie den anderen Europäern und den Amerikanern vorzuschlagen. Das bedeutet, bereit zu sein, auf wachsame Art mit einem Russland zusammenzuarbeiten, das dauerhaft anders sein wird und nicht in kurzer Zeit in eine Demokratie nach westlichem Muster verwandelt werden kann. Die Verhandlungen mit Russland könnten im dem Moment wieder aufgenommen werden, in dem es die Grenzen der Ukraine und den neuen Präsidenten anerkennt. Die eingefrorenen Konflikte müssen gemeinsam angegangen werden.

Worin sehen Sie die Gründe für die Krise in der Ukraine?

Es gibt auf beiden Seiten historische, aktuelle und unmittelbare Gründe. Zu den historischen Gründen zählen die lange Zugehörigkeit der Ukraine zu Russland, die Zuschlagung der Krim zur Ukraine durch Chruschtschow1954, die Anerkennung der Binnengrenzen der UdSSR als internationale Grenzen 1991, ohne die die Krim-Frage damals gestellt worden wäre.

Aktuelle Ursache ist dabei die Achtlosigkeit, mit der der Westen seit 1992 mit Russland umgegangen ist, die provokanten Überlegungen der USA und Polens, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, die Angebote eines raschen EU-Beitritts an die Ukraine, das Fehlen einer kohärenten Russlandpolitik auf Seiten des Westens. Andererseits ist hier auf Seiten Russlands zu bemerken: Der Wille Putins, sein verbliebenes, sehr beschränktes Störpotenzial für eine Aufwertung Russlands zu nutzen, Russlands anachronistische und einseitige Nutzung des Konzepts des Schutzes von Staatsangehörigen oder Russischsprachigen, die Überschätzung des Zusammenhalts der Orthodoxen und der Macht Russlands als Energielieferant und die Unterschätzung seines Bedarfs an westlicher Technologie und Finanzmittel.

Unmittelbarer Auslöser der Krise war dabei natürlich der Vorschlag eines exklusiven Assoziationsabkommens zwischen der EU und der Ukraine, der von Putin als Angriff auf seine Zollunion gesehen wurde, und die Weigerung Janukowitschs, unter russischem Druck, dieses Assoziationsabkommen zu unterzeichnen. Das löste zunächst eine spontane, dann eine angestachelte Revolte in Kiew aus. Was folgte waren die Ablehnung des Abkommens zur Krisenbeendigung, das von den drei europäischen Außenministern erarbeitet worden war, die halb-legale und überstürzte Absetzung des ukrainischen Präsidenten, und die provokante Abschaffung des Russischen als zweite Amtssprache - gegen die vom Westen nur sehr schwach protestiert wurde – und die Putin den Vorwand schaffte, auf den er gehofft hatte.