Erst vergangene Woche hat China die venezolanische Wirtschaft mit einer gigantischen Finanzspritze unterstützt. Ist die Revolution pleite?
Alle ökonomischen Rahmendaten deuten daraufhin, dass die derzeitige Situation Venezuelas so nicht haltbar ist. Präsident Nicolas Maduro steht vor dem Dilemma, wirtschaftliche Strukturreformen mit enormen politischen Kosten durchzuführen oder sich immer unausweichlicher auf einen Staatsbankrott zuzubewegen.
Venezuela ist einer der größten Verlierer der fallenden Ölpreise. Das Land verfügt über die größten Erdölreserven der Welt. Der Anteil des Öls an den Exporten liegt bei 96 Prozent. Aufgrund der fallenden Preise musste Venezuela in den vergangenen Monaten bis zu einem Drittel seiner Staatseinnahmen einbüßen. Erfolglos hat die Regierung von Präsident Maduro daher in der OPEC auf eine Drosselung der Fördermenge gedrängt. Venezuelas Volkswirtschaft ist eine klassische Rentenökonomie. Preiskontrollen, Enteignungen und Gewinnbegrenzungen haben die Güterproduktion unrentabel gemacht. Das Land ist stark von Importen abhängig. und hat sich zunehmend verschuldet. Die Inflationsrate ist im vergangenen Jahr auf fast 70 Prozent gestiegen. Damit war sie zuletzt die höchste der Welt. Der Devisenmangel hat dabei auch zu einer enormen Lebensmittelknappheit geführt.
Durch strukturelle Reformen, wie eine Abwertung der Landeswährung müsste die Regierung eigentlich reagieren. Doch sie scheut die politischen Kosten im eigenen Lager.
In der zweiten Jahreshälfte 2015 müssen ca. 10 Mrd. Dollar an Staatsschulden getilgt werden. Noch verfügt die Regierung über Möglichkeiten ihre Zahlungsverpflichtungen einzuhalten. Doch mittelfristig wird ein Zahlungsausfall immer unvermeidlicher. Durch strukturelle Reformen, wie eine Abwertung der Landeswährung müsste die Regierung eigentlich reagieren. Doch sie scheut die politischen Kosten im eigenen Lager.
Zwei Jahre nach dem Tod von Hugo Chavez scheint auch die Einheit des Chavismus insgesamt in Frage gestellt. Wie steht es um sein politisches Erbe?
Bis zum Tod von Chavez im Jahre 2013 waren Präsident und Regierung, Partei und Bewegung des Chavismus eine Einheit. Im zweiten Jahr der Präsidentschaft Maduros wurden erstmals Risse erkennbar. Symbolisch steht dafür die Entlassung des Planungsministers Giordani, der nicht nur marxistischer Ideologe ersten Ranges und Chavez-Weggefährte, sondern auch Vordenker der chavistischen Wirtschaftspolitik war. Nach seiner Entlassung 2014 warf er dem Präsidenten Führungsschwäche und ein Machtvakuum in der Regierung vor.
Ausdruck einer Kluft zwischen Basis und Führung ist auch die chavistische, aber zunehmend regierungskritische Gruppierung Marea Socialista. Die wachsende Zahl kritischer Stimmen im Regierungslager lässt sich jedoch nicht vom Chavismus abgrenzen. Sie will ihn vielmehr gegen die aktuelle Regierungspolitik für sich reklamieren. Auf die Frage, wie die Wirtschaft organisiert sein sollte, antwortet der marxistische Flügel mit Autosuffizienz und Strukturen der Selbstversorgung. Unabhängig davon, ob dies realistisch ist, muss aber bezweifelt werden, dass diese Vorstellung in der Bevölkerung mehrheitsfähig ist. Oder auch nur im chavistischen Lager.
Faktisch ist der Konsumismus ein Grundelement des venezolanischen Lebensstils. Die sprudelnden Öleinnahmen und die Geldentwertungen durch Inflation haben diese Mentalität über viele Jahrzehnte hinweg verstetigt. Der Sozialismus als Wirtschaftsmodell ist daher kein tragendes Element des Chavismus. Der Chavismus ist Ausdruck einer Kritik am Fortbestand unüberwindbarer sozialer Klassen im 21. Jahrhundert. Die ärmeren Bevölkerungsteile kämpfen aber auch in Venezuela nicht gegen das Kapital, sondern um das Kapital.
Basiert die Verbundenheit des chavistischen Bevölkerungsteils also zu einem guten Teil auf Klientelismus?
Das greift zu kurz. Zwar sind viele Venezolaner Empfänger staatlicher Hilfeleistungen und die Anzahl der Staatsbediensteten hat sich im letzten Jahrzehnt in etwa verdoppelt. Das erklärt aber nicht die quasi-religiöse Bedeutung, die Hugo Chavez für einen wichtigen Bevölkerungsteil immer noch hat. Er hat vielen Menschen, die Zeit ihres Lebens darauf gewartet haben, gehört zu werden, eine Stimme verliehen.
Aus der sinkenden Zustimmung zur Regierung Maduro lässt sich nicht automatisch steigende Zustimmung für die Opposition ableiten. Sie bleibt fragmentiert.
Damit hat er Menschen erreicht, die sich von der Gesellschaft abgehängt gefühlt haben und ihnen eine Perspektive auf ein besseres Leben vermittelt. In der politischen Bewegung des Chavismus drückt sich für ihre Anhänger die Zugehörigkeit zu einem historisch einzigartigen Prozess einer gefühlten Revolution aus. Chavez prägt das Weltbild und die Lebensvorstellungen seiner Anhänger auch weiterhin. Das drückt sich nicht zuletzt in ihrem Schlachtruf aus: „Chavez lebt, der Kampf geht weiter“. Es stellt sich die Frage, inwieweit es Maduro gelingt, dieses Erbe glaubhaft für sich in Anspruch zu nehmen.
Was bedeutet das für die Ende 2015 stattfindenden Parlamentswahlen?
Aus der sinkenden Zustimmung zur Regierung Maduro lässt sich nicht automatisch steigende Zustimmung für die Opposition ableiten. Sie bleibt fragmentiert. Die einzige erkennbare Mehrheit ist derzeit die der so genannten „Ninis“, die weder Regierung noch Opposition anhängen.
Die regierende PSUV, deren interne Vorwahlen im Juni zeigen sollten, inwieweit Parteiführung und Basis eine Einheit bilden, wird sich ihrer Basis öffnen und auf breite Beteiligung von unten setzen müssen. Das Oppositionsbündnis MUD hat entschieden, nur in 12 der 23 Bundesstaaten Vorwahlen durchzuführen. Das ist eher enttäuschend, da dies den politischen Nachwuchs bremsen dürfte. Man muss aber auch den Zuschnitt der Wahlkreise berücksichtigen, der einen Erfolg der Opposition erschwert. Denn selbst eine knappe Mehrheit an Wählerstimmen würde nicht zwangsläufig eine Mehrheit an Mandaten bedeuten. Für eine Parlamentsmehrheit bräuchte die Opposition schon gut 60 Prozent der Wählerstimmen. Die Regierung wird sicher alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um einen solchen Erfolg zu verhindern. Es ist schwer vorstellbar, dass die Opposition die Parlamentswahlen tatsächlich klar für sich entscheiden könnte.
Wie geht es dann weiter? Wie sehen die politischen Perspektiven für das Land aus?
Einen schnellen Regierungswechsel zugunsten der Opposition wird es nicht geben. Eine politisch stabile und ökonomisch nachhaltige Zukunftsperspektive des Landes wird sich deshalb nur mit dem Chavismus entwickeln lassen, nicht gegen ihn. Die linken Parteien im Oppositionslager sollten dem Konfrontationskurs daher eine inklusive Alternative zur Annäherung an das Regierungslager entgegenstellen. Ein wirtschaftlicher Anpassungsprozess kann sich nur graduell auf Basis des Status Quo erfolgreich gestalten lassen. Unabhängig vom Ausgang der Parlamentswahlen stellt sich für die Regierung Maduro die Herausforderung der zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Lage.
Nichtsdestotrotz scheint ein Teil der Bevölkerung unerbittlich am Projekt der von Chavez initiierten Revolution festhalten zu wollen. Der Chavismus hat damit unabhängig von den akuten Problemen der Regierung Maduro mittelfristig ein nicht zu unterschätzendes politisches Potenzial. Er wird nicht so einfach verschwinden, wie Teile der Opposition es sich ausmalen. Es könnte auf die Basis des Chavismus ankommen, in welcher politischen Konstellation und mit welchen wirtschaftspolitischen Elementen ein unausweichlicher ökonomischer Anpassungsprozess in Venezuela vollzogen werden wird. Die Mentalität einer Rentenökonomie ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der venezolanischen Gesellschaft. Damit verbinden sich seit jeher politische Praktiken der Patronage und des Klientelismus. Jede nachhaltige politische Zukunftsperspektive muss sich davon lösen.