Die Fragen stellten Mira Groh und Nikolaos Gavalakis.

Vor rund 100 Tagen haben die Terroristen der Hamas Israel brutal überfallen. Kurz darauf startete Israel seine Militäroffensive. Wie bewerten Sie die Situation heute?

Israel befindet sich in einem Dilemma. Auf der einen Seite hat das Land jedes Recht, sich gegen die Hamas-Terroristen zu verteidigen. Der 7. Oktober war ein barbarischer und brutaler Terrorakt, der zu vielen Opfern geführt und in der israelischen Bevölkerung tiefe Wunden und Traumata hinterlassen hat, die noch lange nachwirken werden. Es steht außer Frage, dass der israelische Staat seine Bürgerinnen und Bürger schützen muss. Auf der anderen Seite sehen wir auch die Folgen des Krieges gegen die Hamas und das Leid der Menschen in Gaza. Israel muss mehr tun, um unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten zu schützen. Die Art der Kriegsführung ist entscheidend für die Aussichten für die Zeit nach der kriegerischen Auseinandersetzung. Gleichzeitig muss Israel aber auch dafür sorgen, dass die Hamas ihre Raketen nicht weiter abschießen kann, was sie ja weiterhin und ständig tut, und zudem nicht wieder solche Attacken ausüben kann, die sie ja angekündigt hat.

Mittlerweile scheint der Krieg immer weiter auszuufern: Im Norden Israels nimmt der Konflikt mit der Hisbollah an Fahrt auf, im Roten Meer greifen die Huthi Schiffe, unter anderem der USA, an. Ist der befürchtete „Flächenbrand“ bereits in vollem Gange?

Das sehe ich nicht so, auch wenn sich der Konflikt bereits ausgeweitet hat. Die Hisbollah greift Israel mit Raketen an. Die Huthi-Angriffe im Roten Meer führen dazu, dass die internationale Gemeinschaft reagieren muss – nicht nur die Amerikaner und die Briten, sondern auch die EU. Die Gemengelage hat ein enormes Eskalationspotential. Ein Flächenbrand ist bis dato nicht ausgebrochen, aber die Gefahr ist immer noch da.

Südafrika verklagt Israel wegen Völkermordes. Außenministerin Annalena Baerbock und US-Außenminister Blinken reisten zuletzt nach Israel, um mehr Schutz für Zivilistinnen und Zivilisten zu fordern. Wie sehen Sie den Einfluss internationaler Partner – allen voran Deutschlands – mit Blick auf ein mögliches Kriegsende?

Ein Ende der Kampfhandlungen ist noch nicht in Sicht. Die Hamas feuert weiterhin mit Raketen auf Israel. Das, was wir im Moment erreichen wollen, sind weitere humanitäre Pausen. Zum einen, damit weitere Geiseln aus der Geiselhaft befreit werden können, auf der anderen Seite, um den Menschen im Gazastreifen deutlich besser helfen zu können. Dafür setzen wir uns gerade mit großem Engagement ein.

Vergangene Woche hat die Bundesregierung die Gelder für Humanitäre Hilfe in Gaza um weitere acht Millionen Euro aufgestockt, der Gesamtumfang liegt nun bei 211 Millionen Euro. Was muss nun getan werden, damit die Übergabe von Hilfsgütern schneller und besser verläuft?

Allen, die beteiligt sind und die immer noch diese Nadelöhre verantworten, muss klar sein, dass es in keiner Weise in Ordnung ist, dass die humanitäre Hilfe, die wir zur Verfügung stellen, nicht ankommt. Den Menschen im Gazastreifen geht es furchtbar, die Bedingungen vor Ort sind völlig inakzeptabel. Deshalb müssen wir immer wieder darauf drängen, dass die Güter die Menschen auch wirklich erreichen. Das machen die Amerikaner, das macht die Außenministerin, das macht der Kanzler. Es muss besser funktionieren, und zwar zwischen allen Beteiligten.

Bereits jetzt liegt Gaza in Schutt und Asche. Der Großteil der Bevölkerung ist auf der Flucht und es wird Jahre dauern, die Infrastruktur wiederaufzubauen. Wie realistisch ist vor diesem Hintergrund eine Zweistaatenlösung?

Die Zweistaatenlösung mag im Moment in weiter Ferne liegen. Es gibt aber offensichtlich keine bessere Lösung. Die Palästinenser und Israelis müssen, um in Frieden zu leben, einen Weg finden, wie beide in Würde und ohne Angst davor, ständig angegriffen zu werden, in demokratischen Staaten nebeneinander leben können. Und nur die Zweistaatenlösung lässt zu, dass es sich dabei auch weiter um einen jüdischen und demokratischen Staat handelt.