Das Gespräch führte Claudia Detsch

Die Wirtschaft muss grüner und digitaler werden – das ist erklärtes Ziel der neuen Bundesregierung. Viele Menschen aber fürchten, das könnte sie ihren Job kosten. Herr Janser, Sie forschen zu den Auswirkungen dieser doppelten Transformation auf Beschäftigung und auf den Arbeitsmarkt. Ist die Angst vor einem massiven Jobverlust berechtigt?

Diese Befürchtungen können wir nicht pauschal bestätigen. Auf der einen Seite gibt es Branchen, Sektoren und Unternehmen, die ihre Abläufe ändern oder auch einen Nachfragerückgang hinnehmen müssen, was partiell zu Arbeitskräfteabbau führen kann. Durch Innovation entstehen auch immer wieder neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Es ist ohnehin nicht so, dass viele Berufe einfach verschwinden werden. Bestehende Berufe unterliegen einem ständigen Wandel. Umweltschutzaspekte und Digitalisierung sind in vielen Berufen wichtiger geworden. Aufgabe der Politik wird es in den kommenden Jahren sein, diesen Wandel zu begleiten, damit er mit möglichst wenig Friktionen verläuft.

Mitunter gewinnt man den Eindruck, als stünde uns durch die grünen Jobs ein kleines Jobwunder bevor.

Es wäre schön, wenn das so wäre. Mit den gängigen Szenarien zwischen moderaten und stärkeren Klimaschutzmaßnahmen bleibt unterm Strich eine leicht positive Beschäftigungswirkung. Von einem grünen Jobwunder würde ich aber nicht ausgehen. Ich glaube, es ist eigentlich schon allen geholfen, wenn wir das Klima schützen und gleichzeitig die Beschäftigten mitnehmen und künftigen Generationen, die auf den Arbeitsmarkt kommen, einen guten und interessanten Arbeitsplatz anbieten können.

Es gibt viele Warnungen vor einem drohenden Fachkräftemangel, der gerade in Deutschland massiv ausfallen könnte. Können Sie ihn beziffern?

Hier geht es meist um partielle Engpässe. Nicht alle Berufe in allen Regionen Deutschlands sind betroffen. Einer neuen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zufolge klagen 66 Prozent der Unternehmen über Fachkräfteengpässe – 2020 waren es nur 55 Prozent. Betroffen sind oft Berufe im mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich, weil wir dort eine doppelte Transformation erleben: gleichzeitig Digitalisierung und Ökologisierung beziehungsweise Dekarbonisierung. Das muss man im Auge behalten.

Aus dem Handwerk kommen Warnungen, dass die rasche energetische Umrüstung des Häuserbestands ins Wanken gerät, weil der Nachwuchs fehlt. Können Sie das bestätigen?

Ja. Der Bausektor ist ausgelastet. In der Baubranche ist ein überdurchschnittlich hoher Fachkräftebedarf festzustellen. Wenn künftig noch ehrgeizigere Ziele verfolgt werden bei der energetischen Sanierung von Gebäuden, dann wird sich dieser Engpass noch verschärfen. Allerdings können wir hier inzwischen von einem europäischen Arbeitsmarkt ausgehen. Daher muss man das Problem auch eher europäisch sehen. Man könnte versuchen, diese Engpässe über Migration oder internationale Zusammenarbeit zu lösen.

Vom Fachkräftemangel besonders betroffen sind oft Berufe im mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich, weil wir dort eine doppelte Transformation erleben: gleichzeitig Digitalisierung und Ökologisierung beziehungsweise Dekarbonisierung.

Auch die Arbeitsmärkte in Osteuropa sind zunehmend vom Fachkräftemangel betroffen. Schließen wir über die Freizügigkeit dann bei uns eine Lücke, die dafür bei den Nachbarn entsteht?

Absolut. In den Nachbarländern laufen ähnliche Prozesse. Diese Aufgaben sollte man grenzübergreifend angehen. Man muss alle Register ziehen und auch über gemeinsame Ausbildungsprogramme nachdenken. Es geht auch darum, möglichst viele Menschen ins Erwerbsleben zu bringen – Frauen wie Männer. Wir müssen auch die Menschen integrieren, die bisher Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt hatten.

Würden Sie sagen, dass der Fachkräftemangel die gesamte Ökowende ausbremsen könnte, oder ist diese Befürchtung übertrieben?

Gegenwärtig sehe ich das noch nicht. Wir erleben einen Strukturwandel. In einigen Bereichen wie der Kohle oder allgemein den fossilen Technologien gehen Tätigkeiten zurück. Das bietet Potenzial für andere Felder. Deswegen sehe ich den klimaneutralen Umbau akut nicht wegen des Fachkräftemangels bedroht. Ein Risiko besteht aber durchaus. Durch die Mischung aus demografischem Wandel, Bauboom, Digitalisierung und den Klimaschutzaufgaben wird ein so hoher Bedarf an Fachkräften auf uns zukommen, dass es auf einen Engpass hinausläuft. Es muss massiv von allen beteiligten Akteuren gegengesteuert werden. Wir kommen derzeit beim klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von der Entscheidungs- in die Umsetzungsphase. Dafür müssen wir jetzt schon antizipieren, welche Qualifikationen und Jobs wir künftig wo benötigen, und den Arbeitsmarkt dafür vorbereiten.

Häufig stehen der Kohle- oder der Automobilsektor im Vordergrund, wenn es um die Auswirkungen des Strukturwandels auf die Beschäftigung geht. Zeugt das nicht von einer Schieflage, dass wir vorrangig über die Jobs sprechen, die verloren gehen könnten, und weniger über die, die wir in naher Zukunft brauchen?

Eine Gefahr rückt stärker ins Bewusstsein als positive Auswirkungen an anderer Stelle. Aber auch weitere Faktoren spielen eine Rolle. So wurde im Rahmen des Kohleausstiegs ein Vorruhestandsgeld vereinbart und vom Staat übernommen, damit die Beschäftigten in den Braunkohlebetrieben früher in Rente gehen können. Das war auch früher bereits gängige Praxis, allerdings durch die Betriebe selbst finanziert. Jetzt wird es staatlich finanziert. Da stellt sich die Frage, ob man dieses Geld nicht sinnvoller verwenden könnte. Diese Finanzierung lässt sich als zusätzliche Ausstiegskompensation betrachten. Wäre es nicht besser, mehr Geld in Weiterbildung und Umschulung zu stecken?

Mit den gängigen Szenarien zwischen moderaten und stärkeren Klimaschutzmaßnahmen bleibt unterm Strich eine leicht positive Beschäftigungswirkung. Von einem grünen Jobwunder würde ich aber nicht ausgehen.

Sind die neuen Jobs, beispielsweise im Sektor der Erneuerbaren, gute Jobs? Also gut bezahlt, tarifvertraglich abgesichert, mit guten Sozialleistungen versehen?

Es kommt natürlich darauf an, in welche Branche man schaut und wie die Rahmenbedingungen aussehen. Im Bereich der erneuerbaren Energien wird eher ein bisschen mehr gezahlt als in anderen vergleichbaren Betrieben innerhalb desselben Wirtschaftszweiges. Ein Stück weit scheint die Förderung der erneuerbaren Energien den Beschäftigten zugutezukommen. Allerdings ist bei den erneuerbaren Energien der Anteil der Leiharbeit höher.

Stichwort gewerkschaftliche Organisation: War es ein Problem in der Wind- und Solarbranche, dass der Organisationsgrad während der ersten Blüte nicht so hoch war wie in den traditionellen Energiesparten und dass es deswegen kaum öffentliche Mobilisierung für den Erhalt dieser Arbeitsplätze gab, als sie vor etwa zehn Jahren unter Druck gerieten?

Das stimmt. Der starke Rückgang der Arbeitsplätze in der Fotovoltaikbranche vor einigen Jahren war tatsächlich viel massiver als beispielsweise beim Kohleausstieg jetzt. Da sind rund 100 000 Jobs weggefallen. Bei den Braunkohle-Beschäftigten sind es jetzt etwa 12 000 in ganz Deutschland.

Haben wir diese Jobs in der Fotovoltaikbranche aufgrund der unterschiedlichen Preisniveaus gegenüber China endgültig verloren oder hat es da zuletzt wieder einen Aufwuchs gegeben?

Die sind meines Wissens nicht mehr zurückgekommen.

Die Wettbewerbsfähigkeit war tatsächlich nicht gegeben?

Da streiten die Gelehrten, was der eigentliche Grund war. Es gibt andere Bereiche, in denen solche Jobs auch unter Druck gehalten werden können oder wo man versucht, sie zu schützen. Es ist eine industriepolitische Frage.

Sollte man Arbeitsplätze auch in nicht wettbewerbsfähigen Branchen zumindest mittelfristig schützen? Oder sollten wir  gerade um die Energiewende voranzutreiben  auf die Anbieter zurückgreifen, die am kostengünstigsten am Markt operieren?  

Das ist eine wichtige Frage. Aktuell wird sie hinsichtlich der Batterieproduktion debattiert. Baut man eigene Kapazitäten auf, um Batterien für Elektromobilität herzustellen, oder kauft man sie? Da wiederholt sich jetzt die Geschichte. Ich hoffe, die Akteure haben Lehren aus den Erfahrungen mit Wind und Solar gezogen. Insgesamt geht der Trend derzeit dazu, eigene Produktionskapazitäten zu stärken.