In Japan geht nach einigen Jahren Zwangspause das erste Atomkraftwerk wieder ans Netz. Wie kam es dazu?
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 beschloss die damalige Regierung unter Premierminister Naoto Kan von der Demokratischen Partei Japans (DPJ) den Ausstieg aus der Atomkraft. Bereits 2012 kam es jedoch zum Sturz der DPJ-Regierung durch eine krude Obstruktionspolitik der Liberaldemokratischen Partei (LDP), die Japan von 1955 bis 2009 fast ununterbrochen regiert hatte. Daraufhin wurde die Politik der Energiewende wieder rückgängig gemacht. Die LDP hatte sich bei den Wahlen 2012 als einzige Partei für die Beibehaltung der Atomkraft ausgesprochen, kann aber nicht ignorieren, dass sich bei Umfragen stets 70 Prozent oder mehr der Befragten für einen Ausstieg aussprechen. Die neue LDP-Regierung unter Shinzo Abe konzentriert sich auf das Ziel der Verabschiedung von Gesetzen zur Erweiterung der militärischen Möglichkeiten Japans und vermied daher bisher die offene Konfrontation. Und so hielt sich die Regierung in Sachen Energiepolitik eher bedeckt, sodass Japans AKWs lange stillgelegt blieben, auch wenn das Kabinett Abe klar als der Industrie nahestehende Regierung gilt.
Nach der Katastrophe von Fukushima wurden binnen kurzer Zeit alle 48 kommerziellen Atomkraftwerke vom Netz genommen. Wie war das eigentlich möglich, womit wurde die Produktionslücke geschlossen?
Die durch den Ausfall der Atomkraft entstandene Lücke in der Stromversorgung wurde vor allem durch Stromsparen und die Reaktivierung und den Ausbau von Kohle- und Gas-Kraftwerken kompensiert. Vor allem in den ersten beiden Jahren nach der Fukushima-Katastrophe, also im Sommer 2011 und 2012, wurde die Bevölkerung zum Stromsparen aufgerufen, was den kritischen Peak der Sommermonate entschärfte. Inzwischen sind die fossilen Kraftwerkskapazitäten so weit ausgebaut, dass die Regierung nicht einmal mehr zum Stromsparen aufruft. Da Öl und Gas weitgehend importiert werden, hat Japan aber seit einigen Jahren mit Außenhandelsdefiziten zu kämpfen, während es traditionell stets schwarze Zahlen im Außenhandel geschrieben hatte.
Die Entscheidung, den Atomreaktor Sendai wieder ans Netz zu bringen, wurde vor Gericht beschlossen. Geht es hier allein um kommerzielle Interessen, oder ist dies auch mit einer ideologischen Debatte verknüpft?
Es geht vor allem um Verantwortlichkeiten. Aufgrund der breiten Ablehnung der Atomkraft in der Bevölkerung möchte die Regierung vermeiden, durch ein allzu krudes Vorgehen im Bereich der Energiepolitik weiter an Popularität zu verlieren. Daher fehlt eine grundlegende politische Entscheidung bezüglich der Wiederinbetriebnahme von AKWs. Dies bedeutet aber auch, dass es keine klaren Verantwortlichkeiten im Falle eines eventuellen Störfalles in einem AKW gibt. Die AKW-Betreiber, die regionalen Energieunternehmen, drängen auf Genehmigungen, ihre Reaktoren wieder in Betrieb nehmen zu dürfen, wogegen Bürgerinitiativen vor Gericht klagen. Im Falle des AKWs Sendai hat ein Gericht entschieden, dass das AKW den neuesten Sicherheitsstandards entspricht und die Inspektionen der Atom-Kontrollbehörde angemessen seien. In anderen Präfekturen haben Gerichte aber anders entschieden und die Wiederinbetriebnahme von AKWs verhindert.
Macht der Atomreaktor von Sendai nur den Anfang und sollen alle Atomreaktoren wieder ans Netz, oder wird dies eine Ausnahme bleiben?
Aufgrund der fehlenden klaren Linie der Regierung sowie der Notwendigkeit, die Inbetriebnahme jedes einzelnen AKW von Gerichten bestätigen zu lassen, wird es auch weiterhin nicht einfach für die Betreiber sein, Atomreaktoren in größerer Zahl wieder ans Netz zu nehmen. Bereits 2012/2013 war ein AKW kurzzeitig am Netz, musste dann aber zwecks regulärer Wartung wieder abgeschaltet werden. Da die Lage der Regierung Abe sich seitdem eher verschlechtert hat, wird es seitens der Regierung kaum Druck in Richtung auf eine Wiederinbetriebnahme weiterer AKWs geben. Für Premierminister Abe ist die Atomkraft zwar ein wichtiges Mittel, sich der Unterstützung der japanischen Industrie zu versichern, als seine „Lebensaufgabe“ bezeichnet er aber die Revision der japanischen Verfassung – insbesondere des „Pazifismus-Artikels“ – und es ist unwahrscheinlich, dass er dieses Projekt durch Debatten über die Atompolitik in Gefahr bringen wird. Die Inbetriebnahme einer gewissen Zahl von AKWs durch Gerichtsbeschluss ist nicht auszuschließen, würde aber ironischerweise eher zu einer weiteren Destabilisierung der Regierung Abe führen.
Die Fragen stellte <link ipg unsere-autoren autor ipg-author detail author hannes-alpen _blank external link in new>Hannes Alpen.
2 Leserbriefe
ausgerechnet Sendai, vor dessen Küste das Tohoku-Erdbeben fast seinen Mittelpunkt hatte. Ich wäre dankbar, wenn Sie noch ein wenig technisch klären könnten, wie die NISA die Genehmigung geben konnte. Nach meinen Informationen gilt.
i) Der Atomenergiebehörde (NISA) gegenüber sei nachgewiesen worden, dass das NPP Sendai Tsunami-Höhen von 13 bis 15 Meter überstehen könne.
ii) das Tohoku-Erdbeben habe Tsunamis ausgelöst, die "an den Küsten vor Sendai und Sanriku bis zu 10 Meter (lokal bis zu 38 Meter)[11] hohen Tsunami" auslöste.
Das sind zugegebenermaßen lediglich Wikipedia-Informationen. Dennoch: Ich sehe nicht, wie angesichts der massiv örtlich unterschiedlichen Tsunami-Höhen eine systematisch überzeugend konzipierte Auslegung des Schutzes gegen Tsunamis überhaupt vorstellbar ist. So sieht es so aus, dass auf Glück spekuliert wird. Dass das von Gerichten durchgelassen wird, das kann ich noch verstehen. Aber irgendwie muss sich die internationale Nuklear-Community dazu doch verhalten. IAEA? WANO?