OSZE-Beobachtern wurde in der vergangenen Woche der Zugang zur Krim verwehrt, der UN-Sondergesandte Serry wurde durch maskierte Bewaffnete zur vorzeitigen Abreise gezwungen. Wie stehen die Aussichten für eine internationale Vermittlung?

Die internationale Vermittlung gestaltet sich sehr schwierig. Zwar sind Russland und die Ukraine Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen und auch Mitglied in der OSZE. Doch im Sicherheitsrat der UN verfügt Russland bekanntlich über ein Vetorecht. Über die Mission des Sondergesandten Serry im Auftrag des UN‐Generalsekretärs hinaus sind deshalb kaum Schritte denkbar, die nicht auf vollem russischen Einverständnis beruhen. Und dies fehlt gegenwärtig vollständig. Für die Aktivitäten der OSZE und ihres Sondergesandten Guldimann gilt ähnliches – ihrer Beobachtermission wird seit Tagen der Zugang zur Krim verweigert.

Wichtigste Initiative ist deshalb das Bestreben, eine OSZE‐Kontaktgruppe einzurichten, die eine gemeinsame Krisenbewältigung im Rahmen dieser pan-europäischen Organisation ermöglichen soll. Aber auch die hängt von der russischen Zustimmung ab. Weitergehende Missionen beider Institutionen sind denkbar, doch damit diese sinnvoll durchgeführt werden können, müssen vorher die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Andernfalls drohen sie Gefahr zu laufen, Feigenblatt einer hilflosen internationalen Krisenbewältigung zu sein. Missionen sind kein Selbstzweck – und schon gar kein Politikersatz.

Das Parlament der Krim hat einen Anschluss an Russland beschlossen und am kommenden Sonntag soll die Bevölkerung darüber abstimmen. Was wäre die Folge?

Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Das – im Übrigen illegale und keinem internationalen Standard entsprechende – Referendum stellt die Vereinigung mit Russland oder eine Republik Krim zur Abstimmung, deren Status dann immer noch interpretationsbedürftig wäre. Beim erwarteten Votum für die Vereinigung könnte Russland versuchen, sofort den sogenannten „anschljus“ zu vollziehen. Die russische Duma bereitet entsprechende Gesetze vor. Andernfalls könnte die Krim-Regierung die abchasisch/südossetische (Bitte um russische Grenzsicherung) oder die transnistrische Option bemühen (Bitte um russische „Peacekeeper“), um eine dauerhafte russische Truppenpräsenz auf der Krim zu garantieren. Für alle diese Varianten müsste sich ein Großteil der jetzt anonym operierenden Truppen nur noch umkleiden.

Ein besonderes Eskalationsrisiko ergibt sich aus der Ankündigung der Machthaber auf der Krim, die dort stationierten und seit Tagen belagerten ukrainischen Streitkräfte seien nunmehr „Besatzer“. Unklar ist auch, ob das Krim-Szenario in der Festlands-Ostukraine wiederholt werden soll – dies wird auch von der internationalen Reaktion abhängen.

Worum geht es Russland?

Zunächst geht es Russland um die Sicherung und Stärkung seiner Einflusszone, die als Zollunion und zukünftig als Eurasische Wirtschaftsunion ihren organisatorischen Rahmen finden soll. Deren Attraktivität ist bei den potentiellen Mitgliedern offensichtlich begrenzt. Doch die Annäherung der möglichen Mitglieder an die Strukturen von EU und der NATO bedeutet nach Moskauer Lesart den Verlust der gerade wieder gewonnenen hegemonialen Macht, die Verhinderung einer vertieften eurasischen Integration und eine stärkere militärische Bedrohung durch den Westen. Auch wenn sich die Länder des Westens fragen lassen müssen, ob sie immer ausreichend auf russische Interessen und Wahrnehmungen eingegangen sind, kann deren Berücksichtigung natürlich nicht auf Kosten der Souveränität der Nachbarländer geschehen.

Die Krise zeigt aber auch, dass der Dialog nicht nur durch kooperative Angebote, sondern auch durch zivile Machtmittel unterfüttert werden muss, im Notfall auch durch glaubwürdige Sanktionen.

Offenbar hat sich in Moskau die Meinung durchgesetzt, dass seine Interessen effektiv nur durch einen „cordon insanitaire“ zu wahren sind, der sich aus schutzbedürftigen Quasi-Staaten und befreundeten Autokratien zusammensetzt.

Die Quasi‐Staaten sind Transnistrien auf dem Territorium Moldawiens sowie Abchasien und Südossetien auf dem Territorium Georgiens. Transnistrien ist international gar nicht, die beiden anderen sind nur durch Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru und Tuvalu anerkannt. Alle drei stehen aber unter besonderem russischen Schutz: in Transnistrien durch eine russische Friedenstruppe, in den beiden georgischen Republiken durch russische Grenzsicherungstruppen. Zusätzlich gibt es dort russische Militärbasen.

Zu den befreundeten Autokratien gehörten bisher Belarus (Lukaschenko) und die Ukraine (Janukowitsch). Die Ukraine hat sich aber bereits 2004 – durch die Orange Revolution – und nun erneut als widerspenstig erwiesen. Deshalb der russische Strategiewechsel.

Auch die Ukraine soll nun durch einen ungelösten Territorialkonflikt vom weiteren Westkurs abgehalten werden. Allen anderen Staaten gilt die drohende Botschaft, dass Russland seine Interessen auch gegen das Völkerrecht militärisch durchzusetzen bereit ist. Ein vollständiger Anschluss der Krim ist dazu nicht unbedingt notwendig, aber auch nicht auszuschließen. Für einen „anschljus“ spricht, dass dieser Fakten schaffen würde, die schwer rückgängig zu machen wären – auch hinsichtlich der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol. Dagegen stehen die möglichen Kosten, die Russland international zu gewärtigen hätte. Die Vorverlegung des Krim-Referendums sprechen dafür, dass Russland die Dinge auf der Krim jetzt maximal vorantreibt – um sich in darauf folgenden internationalen Gesprächen auf die normative Kraft des Faktischen zu berufen.

Welche westlichen Reaktionen sind denn über Vermittlungsversuche hinaus denkbar? Sind Sanktionen wie von den USA beschlossen der richtige Weg?

Um weitere Eskalationen zu verhindern, ist es vollkommen richtig, auf eine militärische Drohkulisse des Westens zu verzichten. Es muss weiterhin darum gehen, auf intensive Gespräche mit Russland zu setzen, und auf die Ukraine einzuwirken, sich nicht provozieren zu lassen. Die gegenwärtige Krise zeigt dabei aber auch, dass der Dialog nicht nur durch kooperative Angebote, sondern auch durch zivile Machtmittel unterfüttert werden muss, im Notfall auch durch glaubwürdige Sanktionen.

Die ersten Schritte des Westens waren noch eher symbolischer Natur – so die Aussetzung der Vorbereitung des im Juni geplanten G8‐Gipfels im russischen Sotschi oder der EU-Verhandlungen mit Russland zu Visa-Erleichterungen. Im Rahmen des jetzt von der EU beschlossenen 3-Phasen-Modells könnten dann gezielte Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt werden, die schon stärker treffen. Alle anderen Sanktionsmaßnahmen brauchen längere Vorbereitung und sollen nur sukzessive eingeführt werden – sie schaffen dadurch Raum für Diplomatie. Ohne Gegenmaßnahmen dieser Art sinken aber die Erfolgschancen der politischen Vermittlung.

Dabei gilt es auch zu bedenken: Die Gefahr, dass ein zu schwaches Handeln des Westens weltweit zur Nachahmung einladen könnte, ist real. Auch im chinesischen Meer gibt es umstrittene Inseln… Der Preis für den Völkerrechtsbruch auf der Krim muss deshalb glaubwürdig hoch sein. Zur Tagesordnung übergehen können wir nicht. Denn wenn sich die Ernüchterung durchsetzt, dass zivile Instrumente im Zweifelsfalle stumpf sind, droht eine unschöne Renaissance der Logik militärischer Abschreckung. Und das kann niemand wollen.

Deshalb stehen wir auch vor der Frage, ob wir bereit sind, für unser Bekenntnis zu zivilen Instrumenten auch dann einzustehen, wenn es bei uns zu wirtschaftlichen Kosten führt. Und ob wir bereit sind, sie in Deutschland und in Europa solidarisch zu tragen.

Denn wenn sich die Ernüchterung durchsetzt, dass zivile Instrumente im Zweifelsfalle stumpf sind, droht eine unschöne Renaissance der Logik militärischer Abschreckung.

Ein Kollateralschaden der Krise steht bereits heute fest: Die Überlegung, dass die zunehmende Verflechtung zwischen Europa und Russland gleichsam automatisch die Schwelle zur zwischenstaatlichen Gewaltanwendung im gemeinsamen europäischen Raum erhöht und das Interesse an gemeinsamen friedlichen Konfliktbeilegungen vergrößert (Stichwort „Modernisierungspartnerschaft“). Vielmehr setzt Russland offenbar darauf, dass die bisherige Verflechtung den Westen reaktionsunfähig macht, weil mögliche Sanktionen auch auf ihn selber zurückfallen. (Dahingehend stimmt die Annahme von der erhöhten Schwelle einer Eskalation.) Dabei wird den Europäern anscheinend auch eine post-römische Dekadenz unterstellt, die lukrative Geschäfte allemal über die unbequeme Verteidigung völkerrechtlicher Werte und Standards stellt. Die Ukraine wird somit zur Nagelprobe der zivilen Konfliktbearbeitung.