Kaum ein Beitrag zur Ukraine kommt derzeit ohne Putin-Psychogramm aus. Ist die Krise wirklich so personenabhängig?
Diese Art der Psychologisierung ist nicht unbedingt zielführend. Wladimir Putin ist sicherlich die wichtigste politische Figur im heutigen Russland. Aber nicht die einzige. Das Problem ist, dass der Kreml eine Black Box ist: Wir wissen schlicht und einfach nicht, wie Entscheidungen dort zustande kommen. Was bleibt, sind Spekulationen. In der Not stürzt sich eine Vielzahl der Kommentatoren auf Putin, als hinge das Schicksal der Welt davon ab, mit welchem Fuß er morgens aufsteht.
Das Problem ist, dass der Kreml eine Black Box ist: Wir wissen schlicht und einfach nicht, wie Entscheidungen dort zustande kommen. Was bleibt, sind Spekulationen.
Dabei ist der Präsident auch ein Medienprodukt: Er wird – für die russische Öffentlichkeit – als starker Führer dargestellt, der alles kontrolliert, was zwischen Kaliningrad und Wladiwostok passiert. Rein intuitiv ist diese Annahme im größten Flächenstaat der Welt nicht sehr plausibel. Wir sollten aufpassen, dass wir für unsere Analyse nicht die mediale Inszenierung des Kreml als Ausgangspunkt nehmen.
Was ist denn die Folge dieses Psychologisierens?
Bei der Psychologisierung bleibt Vieles tendenziell unterbelichtet: Wir wissen beispielsweise relativ wenig über die Kräfteverhältnisse innerhalb der russischen Eliten, über unterschiedliche Positionierungen und die dafür maßgeblichen Gründe. Auch nehmen wir oft an, dass der Kreml einem Plan folgt, während die westliche Politik den Ereignissen hinterherstolpert.
Was wäre denn, wenn dieses Bild trügt und Moskau überwiegend auch nur situativ reagiert? Auch wird wenig darüber gesprochen, wie weit die Autorität des Kreml reicht, die tatsächliche Umsetzung von politischen Entscheidungen zu gewährleisten. In den vergangenen Jahren gab es in Russland immer wieder offene Klagen über die mangelnde Umsetzung von präsidialen Dekreten durch die Bürokratie.
Heute ist schlicht unklar, wie weit die strukturelle russische Autorität derzeit auf die ukrainischen Separatisten reicht. Wenn die am Freitag geschlossene Waffenruhe hält, könnte dies ein Indiz sein, dass die diversen Kommandeure sich an Maßgaben aus Moskau gebunden fühlen. Das vergangene Wochenende hat hier allerdings nur sehr begrenzt Anlass zu Optimismus gegeben.
Ende der vergangenen Woche gab es auf dem NATO-Gipfel in Wales klare Worte. Und Paris verhängte zuletzt einen Lieferstopp des bestellten französischen Trägers. Ist die augenscheinliche Geschlossenheit Anlass zur Freude?
Die Konsequenzen sind zwiespältig: Einerseits sendet der Gipfel wichtige Signale der Geschlossenheit und Solidarität sowohl an die ostmitteleuropäischen Mitgliedsstaaten als auch nach Russland. Andererseits könnte die Rhetorik aus Wales in Moskau Bedrohungsperzeptionen verstärken, die womöglich ein Mit-Auslöser der aktuellen Krise waren.
Die Lieferung der Mistral-Hubschrauberträger wäre zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich nur schwer zu vertreten. Gleichzeitig ist der Stopp aber derzeit sicherlich ein Anlass zur Freude - in russischen Rüstungskreisen. Denn die Entscheidung, Westimporten wie im Falle des französischen Trägers den Vorzug vor der heimischen russischen Produktion zu geben, war in Russland äußerst umstritten. Der Abbruch der Rüstungskooperation gibt den national denkenden, nach Autarkie strebenden Kräften in Russland nun Auftrieb.
Nationalistische Signale gibt es auch aus Kiew. Der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk hat kürzlich vorgeschlagen, einen 1600 km langen Zaun an der Grenze zu Russland zu errichten…
Das Projekt mutet irreal an, nicht nur vor dem Hintergrund der Finanzknappheit der Ukraine. Derartige Wortmeldungen sind nicht besonders geeignet, das Vertrauen in die politische Elite der Ukraine zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre ist dies bei Entscheidungsträgern in der EU ohnehin nicht besonders stark ausgeprägt. Einerseits ist die EU mit der Ukraine solidarisch, andererseits gibt es ein gewisses Unbehagen: Man weiß bei einigen politischen Köpfen in Kiew einfach nicht genau, woran man ist.
11 Leserbriefe
Ihr Beitrag ist auf Ausgleich gedacht, führt uns aber in den heute gegebenen Umständen nicht weiter. Sie attesieren den Akteuren in der Ukraine-Krise "Küchenpsychologie", betreiben sie aber in der erster Linie selbst.
In der Sache möchte ich allerdings auf einen Aspekt von Ihnen eingehen. Sie schreiben: "Denn die Entscheidung, Westimporten wie im Falle des französischen Trägers den Vorzug vor der heimischen russischen Produktion zu geben, war in Russland äußerst umstritten. Der Abbruch der Rüstungskooperation gibt den national denkenden, nach Autarkie strebenden Kräften in Russland nun Auftrieb."
Wenn Sie die Entwicklung der russischen Wirtschaft in Technologien und Rüstung in den vergangenen Jahrzehnten genau beobachtet haben, dann würden Sie feststellen, dass die Entscheidung in Moskau, französische Träger zu bestellen, nicht Europa zuliebe getroffen wurde. Russland ist technologisch unterentwickelt und korrupt. Auch mit "national denkenden" Kräften lassen sich keine modernen Waffen produzieren. Dafür braucht man gut ausgebildete Fachkräfte. Da hat Russland ein sehr ernstes Problem, das gefährlichste für die russische Führung.
Das hatte die Sowjetunion schon und behalf sich mit Spionage. Das wird auch heute versucht! Das half damals nicht und hilft heute nicht.
Vgl. http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews[tt_news]=41100&tx_ttnews[backPid]=685&no_cache=1#.VA73L0gwJPM
(Publication: Eurasia Daily Monitor Volume: 10 Issue: 125, by Roger McDermott)
Mit besten Grüßen
Denis Friedrich
Um es an der Reaktion von D. Friedrich deutlich zu machen (die ja immerhin zu den sachlicheren gehört):
Wo steht in dem Beitrag von F. Hett, dass "die Entscheidung in Moskau, französische Träger zu bestellen, ... Europa zuliebe getroffen wurde"? Hier wird erst einmal ein argumentativer Pappkamerad aufgebaut, auf den dann eingedroschen wird; mit dem ursprünglichen Artikel hat das dann nur noch bedingt zu tun.
Die russische Mentalität ist eine andere als die Westeuropas, das gilt auch für die Ukraine. Dazu kommt die unterschiedliche Vergangenheit und Entwicklung Ost- und Westeuropas. Es sollte also nicht verwundern, wenn die gegenseitige Verständigung, sowie auch das Verständnis füreinander sich schwierig gestalten und zu Spekulationen Anlass geben.
Dieses jetzige 'Unbehagen' Kiew gegenüber haben sich unsere Politiker mit ihrer Fehleinschätzung selbst zuzuschreiben. Vieles hätte verhindert werden können ohne die Einmischung von aussen.
Politiker und andere sind vor allem mit dem Verstand dabei. Nicht wie Ukrainer, Russen und andere Beteiligten mit dem Herzen und einer sehr anders gearteten Mentalität. Das hat hin und wieder ganz unerwartete Ergebnisse zur Folge. Auch im gegenseitigen Verständnis. Sowie infolge der deshalb so ganz anders zu beurteilenden beidseitigen Fehleinschätzungen. Da gebe ich Agneta im Leserbrief hierüber Recht.