Ende Januar verkündete Pakistans Premierminister Nawaz Sharif offiziell, Verhandlungen mit den pakistanischen Taliban, der Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP), einleiten zu wollen. Nur wenige Tage später gab er die Zusammenstellung eines Verhandlungsteams bekannt und bereits in der ersten Februarwoche kam es in Islamabad zu einem ersten Zusammentreffen beider Seiten.

Trotz erheblicher Schwierigkeiten ist eine politische Lösung des internen Konfliktes in Pakistan begrüßenswert. Die Option einer militärischen Operation in den Stammesgebieten ist erstmal verschoben. Notwendig ist aber eine umfassende Strategie in Koordination von sowohl politischen als auch militärischen Instrumenten. Dabei geht es auch um die Verbesserung der angespannten zivil-militärischen Beziehungen.

Überaschung mit Ankündigung

Bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen im Mai 2013 hatte Nawaz Sharif – damals  Oppositionsführer –  angekündigt, Verhandlungen mit den Taliban anzustreben. Die militärischen Strategien der vergangenen Jahre seien gescheitert, und ein Friedensprozess könne nur auf der Grundlage von Gesprächen gestartet werden. Neben dringend notwendigen Reformen im Bereich Wirtschafts- und Energiepolitik war die Verbesserung der in weiten Teilen des Landes schlechten Sicherheitslage eines der wichtigsten Versprechen von Nawaz Sharif.

Auf der anderen Seite haben zuletzt auch die Taliban ihre Bereitschaft zu Gesprächen deutlich gemacht. Sie ernannten ebenfalls ein vierköpfiges Komitee von ihnen vermeintlich nahestehenden Repräsentanten, unter ihnen überraschenderweise der ehemalige Cricket-Star und populäre Anführer der in der Nordwestprovinz Khyber-Pakhtunkhwa (KPK) regierenden Partei Pakistan-Tehreek Insaf (PTI), Imran Khan. Khan ist einer der großen Befürworter von Friedensverhandlungen und hatte durch seine öffentlichen Forderungen die Regierung zuletzt unter Druck gesetzt. Die Nomminierung nahm er zwar nicht an, jedoch wurden viele Kritiker in ihrer Skepsis gegenüber der PTI bestätigt.

Die Verhandlungen werden von der Öffentlichkeit begrüßt. Insgesamt war im vergangenen Jahr ein Großteil der Bevölkerung der Meinung, dass die Regierung nun Friedensverhandlungen führen müsse.

Noch vor einigen Wochen schienen solche Gespräche in weiter Ferne zu liegen. Die Taliban hatten während des Wahlkampfs einen nicht zu vernachlässigenden unheilvollen politischen Einfluss ausgeübt. Ihrer öffentlichen Ankündigung, die „säkularen und liberalen politischen Parteien“ und ihre unheilige Allianz mit dem Westen zu bekämpfen, ließen sie Taten folgen: Bei zahlreichen Anschlägen und Attentaten kamen vor allem Kandidaten und Unterstützer der bis 2013 regierenden Pakistan People’s Party (PPP) und der Awami National Party (ANP) ums Leben. Die eher konservativen und religiös orientierten politischen Parteien konnten währenddessen weitestgehend ungestört ihren Wahlkampf führen.

Die Verhandlungen werden von der pakistanischen Öffentlichkeit zumeist begrüßt. Insgesamt war im vergangenen Jahr ein Großteil der Bevölkerung der Meinung, dass die Regierung nun Friedensverhandlungen mit den Taliban führen müsse. Als im Januar allerdings bei verschiedenen Anschlägen in Karachi und in KPK eine hohe Anzahl von Polizisten und Militärs ums Leben kamen, fühlte sich die nach wie vor sehr einflussreiche Armee herausgefordert. So fand Ende Januar 2014 dann die erste offiziell bestätigte Operation der pakistanischen Armee in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze seit 2007 statt, und das Vorhaben der Regierung stand auf der Kippe.

Die Dramaturgie des Dialogs ist nach wie vor offen

Wie die Dramaturgie des gefährlichen Tanzes in den nächsten Wochen und Monaten weitergeht, ist noch offen. Auch die Frage, unter welchen Bedingungen und in welchem Zeitrahmen die nun begonnenen Gespräche stattfinden sollen, ist weiterhin unklar. Während sich die Regierung stets auf ihre zentrale Bedingung bezieht, die Extremisten müssten zuallererst die Waffen niederlegen und die pakistanische Verfassung anerkennen, grassiert die Sorge vor einer schleichenden Islamisierung des Landes. Die Taliban hat bisher öffentlich neben dem Ende der „westlichen Besatzung der Region“ und dem Rückzug des Militärs aus den Stammesgebieten vor allem die Einführung Scharia-basierter Institutionen gefordert.

Vor diesem Hintergrund droht ein baldiges und frustrierendes Ende der Verhandlungen, weil die Positionen und Interessen letztlich doch kaum auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden dürften. Sobald gegen Ende März der Schnee in den Bergregionen schmilzt, wäre der Weg frei für eine breiter angelegte, umfassende militärische Invasion der Stammesgebiete. Vielleicht dreht sich sich bis dahin der Wind der öffentlichen Meinung, und Nawaz Sharif könnte sein Gesicht wahren und sagen, er hätte es zumindest versucht mit der angekündigten „politischen Lösung“.

Vor diesem Hintergrund droht ein baldiges und frustrierendes Ende der Verhandlungen, weil die Positionen und Interessen letztlich doch kaum auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden dürften

Zumindest hat die Aufnahme der „Friedensgespräche“ nun jedoch die Chance eröffnet, endlich eine kritische öffentliche Debatte zu den ungeklärten Fragen des pakistanischen Gesellschaftsmodells zu führen. Die ist bitter nötig.

Es geht um die Identität des Landes

Seitdem hat die gesellschaftliche Debatte um die Friedensverhandlungen eigentlich erst so richtig begonnen. Die progressiven Kräfte fallen über die vernebelte Agenda und die einseitige Zusammensetzung des Regierungsteams her: Es ist weder eine einzige Frau an den Verhandlungen beteiligt noch gibt es Platz für eine der ethnischen oder religiösen Minderheiten. Es brodelt gewaltig in der pakistanischen Gesellschaft: auch unter dem Vorwand des Blasphemiegesetzes werden religiöse Minderheiten unter enormen Druck gesetzt, in manchen Teilen des Landes finden schreckliche ethnische Säuberungen statt.

Darüber hinaus geht es jedoch auch um die Grundkonstruktion des pakistanischen Staates und die Auseinandersetzung um die sicherheits- und außenpolitischen Paradigmen. Seit der Staatsgründung 1947 hatte der Sicherheitsapparat darauf gesetzt, bewaffnete religiöse Gruppen zur inneren Verteidigung im Kriegsfall zu fördern und zur Sicherung des strategischen Einflusses an den Außengrenzen zu protegieren. Was im Konflikt mit Indien um den Kaschmir im Osten begann, wurde im Westen während der verschiedenen Afghanistan-Konflikte in den letzten drei Jahrzehnten fortgesetzt. In Pakistan sagt man, man habe sich verschiedene Monster geschaffen, die nun außer Kontrolle geraten seien. Diese seltsamen Konstruktionen haben auch viel mit der dominanten Rolle des Militärs in der politischen Geschichte des Landes zu tun. Immerhin konnte nun im Mai 2013 historisch erstmalig eine durch Wahlen legitimierte Regierung die Geschäfte an ihre demokratische Nachfolgerin übergeben.

Das Problem liegt aber noch tiefer in den ungelösten Fragen zu Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die meisten politischen Institutionen wurden in der post-kolonialen Unabhängigkeit entlang der britischen Tradition übernommen und nur auf sehr defizitäre und fassadenähnliche Weise mit Leben gefüllt. Am stärksten wird dies deutlich in den Stammesgebieten, die seit Kolonialzeiten einen Sonderstatus hatten. Bis heute existieren Rechtsstaatlichkeit und staatliche Verwaltungsstrukturen dort nur auf dem Papier, und die tatsächlichen politischen Strukturen und Entscheidungen funktionieren nach ganz anderen Regeln. In diesen, vom pakistanischen Staat vernachlässigten Gebieten finden die islamistischen Kräfte mit ihren Forderungen nach mehr Eigenständigkeit und ihrer Interpretation von „sozialer Gerechtigkeit“ durchaus Unterstützung bei der Bevölkerung. Es geht also um nicht weniger als die politische Identität des Landes, um die ersehnte Vertiefung oder das mögliche Scheitern des demokratischen Modells.

Es geht also um nicht weniger als die politische Identität des Landes, um die ersehnte Vertiefung oder das mögliche Scheitern des demokratischen Modells.

Da die beiden Parteien den Tanz eröffnet haben, müssen nun auch die ersten Schritte auf dem rutschigen Parkett gemacht werden. Angesichts des enormen Erwartungsdrucks seitens der Bevölkerung gibt es eigentlich keine Alternative zu den Friedensverhandlungen, aber ohne eine klare Zielsetzung und eine vernünftige politische Steuerung doht ein baldiges Scheitern. Für den Prozess der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Extremismus und letzlich der eigenen Identität könnten die Gespräche mit den Taliban dennoch zum Vorteil sein. Diese Auseinandersetzung ist schmerzhaft und dürfte viele Wunden offenlegen, doch führt auch daran kein Weg vorbei.

Vielleicht läuft es am Ende wie so oft in der Geschichte Pakistans: das Militär wartet noch für eine Weile einen günstigen Zeitpunkt ab, bis die Öffentlichkeit angesichts der mangelnden Überzeugungskraft und Handlungsfähigkeit der Regierung ungeduldig wird, und nimmt dann das Zepter selbst in die Hand. Zumindest bleibt bis dahin noch etwas Zeit für eine bessere Absprache des Vorgehens zwischen  Regierung und Armee. Wenn Nawaz Sharif aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, wird er auch das als einen Teil seiner eigenen Strategie verkaufen.